Wachtmeister Studer. Friedrich C. Glauser

Wachtmeister Studer - Friedrich C.  Glauser


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ver­an­las­sen…«

      Wei­ter kam der Un­ter­su­chungs­rich­ter nicht.

      »Bit­te«, Stu­der sprach sein schöns­tes Hoch­deutsch. »Das kön­nen Sie ru­hig tun. Ich wür­de Ih­nen aber den­noch ra­ten, sich in der Fachli­te­ra­tur über Ge­ständ­nis­se zu ori­en­tie­ren. Es gibt näm­lich di­ver­se Ge­ständ­nis­se… Üb­ri­gens kön­nen Sie mich ab­be­ru­fen las­sen, wenn es Ih­nen Freu­de macht. Ich habe näm­lich dar­an ge­dacht, Fe­ri­en zu neh­men. Und Ger­zen­stein ge­fällt mir aus­neh­mend. Die Luft ist so ge­sun­d… Vi­el­leicht lass ich mei­ne Frau nach­kom­men. Wann ha­ben Sie den Au­to­dieb er­wi­scht?«

      »Häm­häm«, sag­te der Un­ter­su­chungs­rich­ter. »Den Au­to­dieb? Heut mor­gen hat ihn ein Po­li­zist an­ge­hal­ten. Ein Vor­be­straf­ter…«

      »Hat er mit Schlumpf ge­spro­chen?«

      »Ja… doch… ich glau­be. Wir ha­ben ihn in die glei­che Zel­le ge­leg­t…«

      »Was Sie nicht sa­gen! Also auf Wie­der­se­hen, Herr Un­ter­su­chungs­rich­ter! Auf mor­gen! Ich brin­ge viel­leicht noch einen wich­ti­gen Zeu­gen mit…« Und Stu­der häng­te den Hö­rer in die Ga­bel.

      Es tanz­te nie­mand mehr. Die Ti­sche wa­ren alle be­setzt. Die Kell­ne­rin lief mit Tel­lern her­um, auf de­nen schlan­ke Em­men­ta­ler-, feis­te, fet­t­rop­fen­de Küm­mel­würs­te oder matt­schim­mern­de Cer­ve­lats la­gen. Viel­be­gehrt wa­ren die Glä­ser mit dem hell­gel­ben Senf. Wein er­schi­en auf den Ti­schen, Fla­schen­wein. Ar­min Wit­schi hat­te eine Fla­sche Neu­en­bur­ger be­stellt. Son­ja nipp­te nur an ih­rem Glas. Sie sah ver­schüch­tert und ängst­lich aus.

      Die drei Mann der ›Con­vict Ban­d‹ in ih­ren scharf­gel­ben Uni­for­men – und aus den kur­z­en Är­meln ka­men die Arme her­vor, seh­nig und braun – auch die Ge­sich­ter wa­ren braun ge­gerbt – sa­ßen um einen Tisch, den man ganz nahe an des al­ten El­len­ber­gers Tisch ge­rückt hat­te. Aber El­len­ber­ger thron­te al­lein und steif auf sei­nem Platz – vor den Bur­schen stan­den zwei Fla­schen Wein und eine große Plat­te Schin­ken.

      Stu­der schritt durch die Rei­hen der Ve­s­pern­den, flüch­tig be­merk­te er, dass Ar­min Wit­schi ein höh­ni­sches Lä­cheln auf­ge­setzt hat­te – Son­ja hat­te die Wan­ge ge­gen ih­ren Han­drücken ge­legt und star­te ins Lee­re, ihr Glas war noch voll, un­be­rührt lag die saft­schwit­zen­de Küm­mi­wurst auf ih­rem Tel­ler.

      Und der Wacht­meis­ter nahm wie­der ne­ben dem al­ten El­len­ber­ger Platz. ›The Con­vict Ban­d‹ trank ein­mü­tig dem Wacht­meis­ter zu. Ein lee­res Glas stand plötz­lich vor ihm – da er­hob sich der Schrei­er, hielt die Fla­sche in der Hand und füll­te das Glas…

      »In fünf Mi­nu­ten vor der Post, Wacht­meis­ter«, flüs­ter­te der Bur­sche. »Ich muss Euch et­was zei­gen…«

      Stu­der schiel­te auf El­len­ber­ger, der nichts ge­hört zu ha­ben schi­en, nick­te Schrei­er un­merk­lich zu – was hat­te das wie­der zu be­deu­ten? Was wuss­te der Bur­sche? – stieß mit den drei­en an, dem Bu­cheg­ger, ei­nem ha­gern Men­schen mit ei­nem un­re­gel­mä­ßi­gen Ge­sicht und schau­fel­för­mi­gen Zäh­nen, dem Ber­tel, des­sen Fa­mi­li­enna­me er ver­ges­sen hat­te, aber an den er sich dun­kel er­in­ner­te – hat­te er den Bur­schen auch ein­mal ge­schnappt? Jetzt spiel­te er Bass­gei­ge und hat­te sich ran­giert, schein­bar…

      Laut sag­te der Wacht­meis­ter:

      »Ich trin­ke auf das Wohl der Mu­sik!« und leer­te sein Glas. Ein dum­mes Sprich­wort fiel ihm ein: »Wein auf Bier, das rat ich dir, Bier auf Wein, das las­se sein…« Er wur­de die Wor­te nicht los, sag­te sie laut, pflicht­schul­digst lach­ten die drei, aber als das La­chen ver­k­lun­gen war, ver­kün­dig­te Stu­der lei­se:

      »Der Schlumpf hat ge­stan­den!«

      Es war merk­wür­dig, die Re­ak­ti­on der vier am Tisch zu be­ob­ach­ten. Der alte El­len­ber­ger räus­per­te sich und sag­te eben­so lei­se:

      »Vous n’y com­pren­drez ja­mais rien, com­mis­sai­re…« (er wer­de nie et­was von der Sa­che ver­ste­hen…)

      Der Ber­tel fuhr auf er sah aus wie ein schlau­es Äff­chen – und schmet­ter­te einen Fluch her­vor, in dem viel vom Hei­land und von Mil­lio­nen Ster­nen die Rede war.

      Bu­cheg­ger, der ma­ge­re Bär, sag­te nur ein Wort:

      »Idi­ot!«

      Schrei­er aber fuhr sich durch das lan­ge schwar­ze Haar, wand­te das Ge­sicht ein we­nig zur Sei­te, so­dass die drei, die am an­de­ren Tisch, in etwa zwei Me­ter Ent­fer­nung, sa­ßen, es deut­lich ver­ste­hen muss­ten:

      »So, so, hat der Schlumpf­li ge­stan­den!« und deu­te­te dem Wacht­meis­ter mit ei­nem lei­sen Ruck des Kop­fes an, er möge die Son­ja, ih­ren Bru­der und den Coif­feur­lehr­ling be­ob­ach­ten.

      Und wirk­lich war die Wir­kung auf die­sen Tisch noch merk­wür­di­ger.

      Son­ja fuhr zu­sam­men, ihre Hand ball­te sich zur Faust, sie setz­te sich ge­ra­de und starr­te ih­ren Bru­der has­s­er­füllt an. Sie frag­te ihn lei­se et­was. Ar­min zuck­te mit den Schul­tern. Der Coif­feur­ge­hil­fe Ger­ber war blass ge­wor­den, sei­ne oh­ne­hin kä­si­ge Ge­sichts­far­be wur­de grün­lich, er tät­schel­te be­ru­hi­gend Son­jas Arm, so, als wol­le er an­deu­ten, das Meit­schi möge sich nicht auf­re­gen, wenn der Schlumpf ver­lo­ren sei, so sei er im­mer­hin noch da… Dann wur­de Son­jas Aus­druck ängst­lich, sie woll­te auf­ste­hen, ihr Bru­der und Ger­ber zo­gen sie auf den Stuhl zu­rück, drück­ten ihr das Glas in die Hand. Son­ja trank. Sie zog ihr Schnupf­tuch aus der Hand­ta­sche, wisch­te sich die Au­gen, blick­te in Stu­ders Rich­tung – ihre Bli­cke be­geg­ne­ten sich, Stu­der hob leicht die Hand in ei­ner be­schwich­ti­gen­den Ge­bär­de – da lä­chel­te Son­ja plötz­lich voll Ver­trau­en, und Stu­der wuss­te, dass er auf die Hil­fe des Mäd­chens ir­gend ein­mal wür­de zäh­len kön­nen.

      »Ich werd’ wahr­schein­lich den Schlumpf fal­len las­sen…«, sag­te Stu­der laut, stand auf, grüß­te in der Run­de und ver­ließ mit großen Schrit­ten den Gar­ten.

      Nach fünf Mi­nu­ten hol­te ihn Schrei­er ein. Er hat­te sei­ne Uni­form ab­ge­legt und trug einen ein­fa­chen An­zug.

      Witschis Schießstand

      Ich kenn’ den Schlumpf gut«, sag­te Schrei­er und pass­te sei­nen Schritt dem des Wacht­meis­ters an. »Und ich hab’ ihm von An­fang an ge­sagt, wie er zum El­len­ber­ger ge­kom­men ist: ›Pass auf‹, hab’ ich ihm ge­sagt, ›nur kei­ne Wei­ber­ge­schich­ten, das kommt im­mer schlecht her­aus. Eine Kell­ne­rin, das macht nichts. Aber nur kein Meit­schi vom Dorf.‹ Hab’ ich nicht recht, Wacht­meis­ter?«

      Stu­der brumm­te, seufz­te. Die Vor­be­straf­ten hat­ten es nicht leicht, wenn sie wie­der drau­ßen Ar­beit ge­fun­den hat­ten. Es brauch­te sie nur ei­ner wie­der zu er­ken­nen, ih­nen »Zucht­häus­ler« nach­zu­ru­fen – was soll­ten sie dann ma­chen? Kla­gen? Man brauch­te ja nicht ein­mal das Wort zu brau­chen, das Wort, das als ärgs­te Be­lei­di­gung galt, ein­fach durch das Ver­hal­ten zu ih­nen konn­te man die Ver­ach­tung zei­gen, die man für sie emp­fand. Im Grun­de wa­ren es ja meis­tens gar kei­ne schlech­ten Teu­fel… Wie Stu­der


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