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Hand streichelte den Ärmel des Burschen auf und ab, fand das Handgelenk und blieb dort liegen.
»Bist ein Guter«, sagte Sonja leise. Ihre Augen waren weit offen und blickten in die Augen ihres Freundes. Und auch Schlumpf schaute und schaute. Studer erkannte sein Gesicht kaum wieder. Es lächelte nicht, das Gesicht. Es war sehr ernst und ruhig. Es sah wirklich aus, als sei das Schlumpfli plötzlich erwachsen geworden.
»War’s sehr schwer?« fragte Sonja leise. Beide schienen vergessen zu haben, dass sie nicht allein im Zimmer waren. Plötzlich seufzte Schlumpf tief auf und dann ließ er den Oberkörper nach vorne fallen. Sein Kopf lag auf dem Schoß des Mädchens. Die kleine Sonja schien zu wachsen. Gerade aufgereckt saß sie da, ihre Hände lagen gefaltet auf dem Kopf des Burschen Schlumpf.
»Ja, du bist ein Guter. Weißt, ich hab’ immer an dich gedacht. Immer, immer hab’ ich an dich gedacht.« Es klang wie ein Wiegenlied.
Stockend, kaum zu verstehen, denn Schlumpf ließ den Kopf liegen, wo er war, und das Kleid dämpfte noch die Worte: »Ich hab’s gern für dich getan.« Dann fuhr der Kopf in die Höhe, Schlumpf lächelte. Es war ein merkwürdig verkrampftes Lächeln; und er sagte:
»Weißt, ich bin den Betrieb schon gewohnt.«
Wenn auch der Kopf sich frei gemacht hatte, Sonjas verschränkte Hände lagen noch immer im Nacken des Burschen. Sie zog ihn näher, küsste ihn auf die Stirn.
»Darfst nicht mehr dran denken, gell? Nie mehr! Das ist vorbei…«
Schlumpf nickte eifrig.
Studer hustete. Es ging einfach nicht mehr, der Rauch setzte sich sonst in seiner Lunge fest. Sein Schneuzen klang wieder wie ein Trompetensignal, aber wie ein triumphierendes. Das Gesicht des Untersuchungsrichters war weich geworden. Er spielte mit einem Papiermesser, trommelte auf dem Aktendeckel, auf dem in schöner Rundschrift stand SCHLUMPF ERWIN und darunter in Blockbuchstaben: MORD.
Er legte den Brieföffner leise ab, klopfte das Aktenbündel mit der Kante auf den Tisch. Dann nahm er einen dicken Schmöker, der am Rande seines Schreibtisches lag, schob den Akt Schlumpf darunter und schlug mit der flachen Hand ein paarmal auf den Buchdeckel.
»Ja«, sagte er und es war ein Seufzer. Er war Junggeselle, schüchtern wahrscheinlich. Vielleicht beneidete er den Burschen Schlumpf. »Ja«, sagte er noch einmal, diesmal ein wenig fester. »Und was hat das alles zu bedeuten, Herr Studer?«
»Oh, nüt Apartigs«, sagte Studer. »Sonja Witschi möchte eine Aussage machen.«
Nun war dies sicher eine Übertreibung, denn Sonja Witschi hatte sich bis jetzt immer standhaft geweigert, eine Aussage zu machen. Sie war sogar stumm gewesen wie ein Fisch.
»Fräulein Witschi«, der Untersuchungsrichter war überaus höflich. »Ich werde sogleich meinen Schreiber rufen lassen, und dann werden Sie uns mitteilen, ob Sie etwas über den Tod Ihres Vaters auszusagen haben.« Er sah nicht auf und ärgerte sich innerlich über die Phrase.
Studer meldete sich. Er wolle gern den Gerichtsschreiber machen, sagte er. Dann sei man mehr unter sich. Und er könne ganz gut mit der Maschine umgehen, wenn es sein müsse. Mit zwei Fingern zwar. Aber es werde wohl langen, wenn Sonja nicht zu schnell erzähle. Der Untersuchungsrichter nickte. Schlumpf musste aufstehen, er stand an der Wand und starrte auf Sonja. Und Sonja begann zu erzählen.
Der Fall Witschi zum dritten und vorletzten Male
Hinter allem habe der alte Ellenberger gesteckt…
»Das ist der Baumschulenbesitzer in Gerzenstein«, warf Studer ein.
»Woher wissen Sie das?« fragte der Untersuchungsrichter.
»Der Vater hat’s mir erzählt. Vor vierzehn Tagen, das weiß ich noch genau. Wir sind zusammen spazieren gegangen, es war ein Sonntag, schön war’s. Wir sind durch den Wald gelaufen. Der Vater hat gesagt, er halte es daheim nicht mehr aus, die Mutter quäle ihn so, und auch der Armin, wegen der Versicherung, die er verpfändet habe, und da habe der Vater gesagt, hinter allem stecke der alte Ellenberger. Der reize die Mutter immer auf.«
»Versicherung?« fragte der Untersuchungsrichter.
»Wissen Sie, die Heftli!…« sagte Studer, als ob damit alles erklärt wäre. »Und…«
»Und dann haben wir auch noch eine Unfall und Lebensversicherung bei einer Gesellschaft gehabt…«
Studer unterbrach wieder:
»Und die war dem alten Ellenberger für fünfzehntausend Franken verpfändet worden, nicht wahr?«
Sonja nickte.
»Das war vor zwei Jahren«, sagte sie. »Damals hat das ganze Unglück begonnen. Das Vermögen der Mutter war in fremden Aktien angelegt, ich weiß nicht mehr, wie sie geheißen haben, sie haben viel Zinsen gebracht…«
»Dividenden ausgezahlt…« stellte der Untersuchungsrichter fest.
»Ja, und dann sind die Papiere keinen Rappen mehr wert gewesen. Da hat der Vater seine Lebensversicherung genommen und hat sie beim Ellenberger verpfändet.
Damals war der Vater viel mit dem Schwomm zusammen, mit dem Lehrer Schwomm. Der Lehrer Schwomm hat einen Verwandten gehabt im Elsaß. Und der war bei einer Gesellschaft, einer deutschen, die versprach 10% Zinsen. Ja, ich glaub’, so war es. Und der Vater war so froh, er sagte noch, jetzt könne er das verlorene Geld wieder zurückgewinnen und ist zum Ellenberger gegangen und hat auf seine Versicherung Geld aufgenommen. Das Geld hat der Verwandte vom Lehrer eingesteckt und ist damit nach Deutschland gefahren… Aber wir haben nie wieder etwas von ihm gehört – vom Geld mein’ ich. Der Mann ist in Basel verhaftet worden. Er hat nicht nur in Gerzenstein die Leute betrogen, auch in den Städten. Die Gesellschaft hat schon bestanden, in Deutschland, er aber hat gar nichts mit ihr zu tun gehabt. Der Lehrer Schwomm hat den Vater gebeten, nichts von der Sache zu erzählen. Und der Vater hat auch geschwiegen…«
»Ich glaube, diese ganze Geschichte brauchen wir nicht ins Protokoll aufzunehmen, Herr Studer«, sagte der Untersuchungsrichter.
»Gewiss, gewiss…« antwortete Studer, drückte ein paarmal auf den Umschalter und faltete dann die Hände. »Jetzt ist es ganz bös geworden«, erzählte Sonja weiter. »Es war kaum mehr auszuhalten daheim. Kein Geld, viel Schulden… Der Armin, der nicht weiter studieren konnte und jeden Tag hässiger wurde, die Mutter, die vom Morgen bis zum Abend klagte… Damals kam der Onkel Äschbacher oft. Er konnte sehr lieb sein, der Onkel Äschbacher. Ich hatte ihn fast so gern wie den Vater. Als er sah, dass ich immer trauriger wurde,