Wachtmeister Studer. Friedrich C. Glauser
Studer standen die Schweißperlen auf der Stirn, und Sonja war nahe am Zusammenklappen. Nur der Bursche Schlumpf hielt sich aufrecht. Er stand an der Wand, er antwortete kurz und klar, wenn eine Frage an ihn gestellt wurde. Dabei schien er gar nicht übermäßig erfreut zu sein, dass er nun bald wieder die Freiheit würde genießen können. Studer verstand ihn so gut. Die Heldenrolle war ausgespielt – und der Bursche Schlumpf hatte sich gar nicht wie ein Romanheld benommen! Er hatte seine Unschuld beteuert, er hatte versucht, sich umzubringen… Nein, er war durchaus keine leuchtende Gestalt… Gott sei Dank, dachte Studer; er hatte nichts übrig für Helden. Er fand bei sich, dass es eigentlich gerade die Schwächen waren, die die Menschen liebenswert machten…
Endlich, endlich war der Untersuchungsrichter fertig. Es war bei der ganzen Fragerei nichts Wichtiges mehr herausgekommen. Hätte man Sonjas Erzählung auf einer Platte aufgenommen, dachte Studer, so wäre der Eindruck lebendiger gewesen, richtiger als das trockene Protokoll in der indirekten Rede… Sei’s drum.
»Ich werde natürlich«, sagte der Untersuchungsrichter, nachdem er Sonja (»Du wartest auf mich, Meitschi«, hatte Studer ihr gesagt, »Ich führ’ dich heim…«) und Schlumpf gnädigst entlassen hatte, »ich werde natürlich mit dem Herrn Staatsanwalt die Sache besprechen, und dann wird einer Haftentlassung des Schlumpf nichts im Wege stehen…«
»Hüten Sie sich, das zu tun, Herr Untersuchungsrichter«, Studer drohte mit dem Finger und ein merkwürdiger Ausdruck saß in seinen Augen. »Lassen Sie den Herrn Staatsanwalt vorläufig ganz aus dem Spiel. Sie brauchen doch Bestätigungen, Sie müssen doch zuerst den Bruder, die Mutter verhören. Sie müssen den Baumschulenbesitzer vorladen. Sie müssen Bestätigungen haben…«
»Aber Studer, um Gottes willen, es ist doch ganz klar, dass es sich um einen Selbstmord handelt…!«
Studer schwieg. Dann sagte er:
»Ich möchte gern den Autodieb sprechen…«
»Ist das nötig?«
»Ja«, sagte Studer.
Der Untersuchungsrichter zuckte die Achseln, als wolle er andeuten, dass man sich allerhand gefallen lassen müsse. Aber er wollte doch einen kleinen Triumph haben, darum sagte er spitz:
»Sie haben vorhin Doktor Locard zitiert, nicht wahr? Aber… Sie…« Vor Studers Blick wusste der Untersuchungsrichter plötzlich nicht weiter. Aber der Wachtmeister sprach den Gedanken seines Gegenübers rücksichtslos aus:
»Sie meinen, ob ich selbst nicht auch ein Halbverrückter bin? Aber mein lieber Herr«, dem Untersuchungsrichter gab es ob dieser Anrede einen kleinen Ruck »– diese Familiarität! – wir haben alle einen Vogel im Kopf. Manche haben sogar eine ganze Hühnerfarm…« Der Untersuchungsrichter beeilte sich, auf die Klingel zu drücken…
Der Autodieb
Er sah aus wie eine Kreuzung zwischen Dackel und Windhund. Vom Dackel hatte er die X-Beine und vom Windhund den nach vorne spitz zulaufenden Kopf. Übrigens hieß er Augsburger Hans, fünfmal vorbestraft. Ihm drohte die Versorgung.
Studer kannte ihn, obwohl Augsburger Hans mehr in anderen Kantonen seinem Beruf nachgegangen war – er war Einbrecher, aber ein vom Pech verfolgter, ein kleiner, mieser Dilettant – denn der Wachtmeister hatte ihn auf Anforderung fremder Behörden schnappen müssen…
»Salü, Augsburger«, sagte Studer. Er stand von seinem Platz an der Schreibmaschine auf, ging auf den Eintretenden zu, schüttelte ihm die Hand. Der Polizist an der Tür zeigte ein leichtes Erstaunen, aber Augsburger ließ sich durch die herzliche Begrüßung nicht aus der Ruhe bringen.
»Eh, der Studer!« sagte er. »Grüß-ech, Wachtmeister!«
Dann zum Untersuchungsrichter gewandt:
»Der Wachtmeister ist nämlich ein Gäbige«, sagte der Augsburger. »Einer, mit dem man reden kann. Wachtmeister, habt Ihr eine Zigarette?«
»Ja, wenn du uns nicht anlügst!«
Und Studer blinzelte dem Untersuchungsrichter zu, er solle ihn das Verhör führen lassen. Der Untersuchungsrichter nickte, suchte auf seinem Tisch nach dem Aktendeckel »Augsburger Hans, Autodiebstahl« und reichte ihn dann Studer hin.
Studer blätterte. Nichts Interessantes. »Bei einem vorgeschriebenen Patrouillengang… vor dem Bahnhof… Fahrer angehalten… kein Fahrausweis… handelt sich um einen im Polizei-Anzeiger Ausgeschriebenen… Leistete keinen Widerstand… ließ sich abführ…«
»Ist das Verzeichnis der Effekten, die dem Augsburger abgenommen worden sind, auch bei den Akten?« fragte Studer.
»Doch, ich glaube«, sagte der Untersuchungsrichter und spielte wieder mit seinem Papiermesser.
»Ah, ja, hier«, und Studer las:
»Portemonnaie mit 12,50 Fr. Inhalt.
1 Nastuch
1 Hemd
1 Paar Hosen…«
Und dann stand da:
»1 Browningpistole Kaliber 6,5«…
Was war das?
»Du, Augsburger, das ist bös. Waffentragen? Seit wann hast du einen Revolver? Willst du lebenslänglich erwischen? Hä?«
Aber Augsburger schwieg.
»Ich möcht’ die Pistole gerne sehen«, sagte Studer.
Der Polizist brachte sie.
»Sie ist geladen«, sagte er.
Studer nahm sie in die Hand, entlud sie. Im Magazin waren noch sechs Patronen, eine im Lauf…
»Hast du eine gebraucht, Augsburger?«
Augsburger schwieg andauernd. Nur die Haut auf der rechten Seite seines Gesichtes zuckte wie bei einem Pferd, das von den Bremsen geplagt wird.
»Nicht einmal geputzt, der Lauf?« Studer sprach immer gedehnter. Der Untersuchungsrichter wurde aufmerksam.
»Sechs Komma fünf«, sagte Studer und nickte. »Das gleiche Kaliber hat die Kugel auch, die in Witschis Kopf stecken geblieben ist…«
»Aber Wachtmeister, wir wissen doch jetzt, dass es ein…«
»Gar nichts wissen wir, Herr Untersuchungsrichter. Wir haben von einem Plan gehört, um auf möglichst rasche Weise zu Geld zu kommen, aber der Plan ist scheinbar nicht so gelungen, wie er hätte ausgeführt werden sollen.« Da Studer