Leni Behrendt Staffel 5 – Liebesroman. Leni Behrendt
es fand nach Haus.
Es gab einen Jubel ohne Ende, als man am anderen Morgen den Totgeglaubten gesund und munter vorfand. Das erschütternde Wiedersehen zwischen Frau Fröse und Jobst riß die letzte Schranke nieder.
»Nun bist du auch meine Tante Marga?« fragte er bewegt, und sie lachte glücklich dazu.
»Jobst, ich habe nie an deinen Tod geglaubt!«
»Ich auch nicht, Tante Marga. Ich habe meine Hoffnung nie laut werden lassen, weil ich deine mitleidigen Blicke fürchtete.«
»Und ich nicht, weil ich keine Hoffnungen in dir erwecken wollte, die verstandesgemäß töricht waren.«
Dann wurde dem Vater sein Kind gebracht.
Mit dem süßen Lächeln, das diesem Geschöpfchen eigen war, musterte es mit den immer noch übernatürlich großen Augen den fremden Mann.
Erschüttert sah er auf das kleine Wesen, das in seiner Engelhaftigkeit überirdisch wirkte. Es hatte sich in den zwei Jahren, da er es nicht gesehen hatte, fabelhaft herausgemacht.
Und doch! Es konnte mit seinen drei Jahren noch nicht einmal allein sitzen. Es konnte wohl die Gliederchen bewegen und schon einige Worte stammeln, schien auch geistig normal zu sein. Aber was nützte das alles? Es würde immer ein Treibhauspflänzchen bleiben, das überängstlich gehütet werden mußte und dem die Kinderfreuden versagt wären. An Heiraten war schon gar nicht zu denken. Wenn es sich nun später verlieben würde…
Das Herz tat ihm weh. Er war lange nicht so beglückt, wie man erwartet hatte. Es kostete Mühe, die Enttäuschung darüber hinunterzuwürgen. Und das mußte Sölve noch oft; denn das Verhalten des Gatten legte sich wie ein Reif auf ihre Glückseligkeit. Sie mußte erkennen, daß er ihr heißes Herz, das sie ihm in schrankenloser Liebe entgegenbrachte, gar nicht wollte.
Diesem Ungeahnten stand Sölve zuerst fassungslos gegenüber, bis sie dann langsam begriff.
Was wollte sie überhaupt? Er hatte sie doch aus einer barmherzigen Lüge heraus zu seiner Frau gemacht, die er nun bereute. Sie mußte ihr Herz immer wieder fest in beide Hände nehmen, um das Leid, das nun neu in ihr Leben getreten war, ertragen zu können.
Die wundersame Heimkehr des Totgeglaubten wurde überall im Fluge bekannt.
Wie groß war die Freude des Herrn Julius! Er konnte sich gar nicht genug tun, dem Heimkehrer zu bekunden, wie glücklich er sei.
Von Jörn und Ricarda kamen herzliche Glückwunschtelegramme, von den Zwillingen jubelnde Briefe.
Klein Rosenrot konnte sich kaum lassen vor Freude. ›Kluckchen‹ weinte, als wäre ihr ein Leid geschehen.
Nur Frau Fränze schwieg. Und als Jobst sie besuchte, verharrte sie in derselben starren Ruhe, die ihr nun zur Natur geworden war.
Es gibt welche, die behaupten, daß Leid den Menschen veredelt. Das sind wohl die, die wirkliches Leid nie erfahren haben, die gedankenlos nachreden, was sie hörten oder lasen!
In Wirklichkeit macht Leid schlecht. Es verbittert und zerquält, schafft Neid und Mißgunst auf die Menschen, die das besitzen, was man hat hergeben müssen.
So konnte man auch von Frau Fränze nicht verlangen, daß ihr Leid sie veredelt hätte, und Jobst von Götterun packte tiefstes Mitgefühl, als er diese so sehr veränderte Frau wiedersah.
Wenn die Frau doch weinen könnte, so recht von Herzen weinen, dachte er erschüttert. Aber diese Wohltat war ihr wohl versagt.
An einem Tage, als er mit Tante Marga und Sölve beisammen saß, sprach er mit ihnen über Frau Fränze. Bat sie, sich um diese bedauernswerte Frau mehr zu kümmern, worauf sie seinem Wunsch nachkamen.
Schon am nächsten Tag fuhren sie zu ihr und kehrten niedergeschlagen zurück. Die Lust zu weiteren Besuchen war ihnen vergangen.
Sölve hatte auch mit sich genug zu tun, denn ihr Kummer über die Unzugänglichkeit des Gatten wurde immer größer.
Nicht, daß er sie etwa vernachlässigt hätte. Im Gegenteil, er war aufmerksam und ritterlich zu ihr, verwöhnte sie mit Geschenken, tat alles, was er ihr nur an den Augen ablesen konnte – nur seine Person umgab er mit einem Wall, der nichts an sie heranließ.
Sölve, die wahnsinnig darunter litt, wollte so manches Mal mutlos werden. Und da war es die erfahrene Tante, die sie immer wieder aufrichtete.
Die kluge Frau wußte längst, warum er sich so verschloß, und litt mit den ihr liebsten Menschen. Die Angelegenheit war so überaus zart, daß man sie nicht in Worte fassen durfte, wollte man nicht alles noch schlimmer machen, als es ohnehin schon war.
An einem sonnigen Wintertag stand Götterun in seinem Arbeitszimmer am Fenster und schaute auf die Anlagen hinunter, die das Schloß von dem riesengroßen Wirtschaftshof trennten. Da sah er Sölve kommen. Sie war im Reitdreß. Wie das lachende sprühende Leben, so kam sie daher – rassig, gertenschlank, die Hände in den Hosentaschen und das Mützchen verwegen auf dem schönen Haar.
Rechts und links trabten die beiden großen Hunde, während die beiden kleinen Bösewichter laut kläffend voranjagten. Sölves frisches Lachen, mit dem sie ihnen wehrte, klang bis zu ihm herauf.
Es war ein erfreuliches Bild, das sich seinen Augen bot – und doch stöhnte der Mann auf und drückte seine Augen in die Hände, die den Fensterknauf umspannten.
Am Abend saß Sölve wie so oft am Flügel, spielte und sang. Sie war stets dazu bereit, weil sie wußte, wie sehr Jobst ihre musikalischen Darbietungen liebte. Sie waren beide allein; denn Frau Fröse hatte sich bereits zurückgezogen.
Der Mann lauschte regungslos.
Es entging Sölve nicht, daß er immer wieder die Zähne wie in jähem Schmerz zusammenbiß. Schließlich brach sie ab und trat zu ihm, seine Schulter umfassend.
»Jobst, quält dich etwas?« fragte sie leise.
Er streifte ihre Hand ab – und da straffte sie sich hoch. All der Stolz, den sie immer wieder tapfer niedergezwungen hatte, ließ sich bei dieser schroffen Abweisung nicht mehr beschwichtigen. Heiß flammte er zu voller Größe auf. Er sprühte in ihren Augen, machte das Antlitz eisig und starr.
»Jobst, was habe ich dir getan, daß du mich stets zurückweist? Weißt du denn gar nicht, wie mich deine ganze Art demütigen muß? Ich möchte nun endlich einmal klarsehen, möchte wissen, was du gegen mich hast.«
»Setz dich, Sölve.«
»Nein!«
Betroffen sah er in ihre blitzenden Augen hinein – dann winkte er müde ab.
»Sölve, seit wann bist du trotzig? So kenne ich dich ja gar nicht.«
»Nein, leider! Du bist gewohnt, mich nach jedem Fußtritt gleich wieder wie einen treuen Hund zu deinen Füßen zu sehen.«
Er sprang auf, wollte ihre Schulter umfassen und sie in den hinter ihr stehenden Sessel drücken, doch sie wehrte ab.
»Laß mich – du –! Wenn ich dich nicht berühren darf, dann darfst du es auch nicht.«
Er ließ sich in seinen Sessel zurücksinken, und sie nahm nun doch ihm gegenüber Platz.
»Sölve, laß es uns kurz machen: denn was ich dir sagen muß, wird mir zur Qual. Weißt du, warum ich nicht mehr heiraten wollte?«
»Ja.«
»Du weißt auch, warum du meine Frau wurdest?«
»Ja.«
»Sölve, muß ich wirklich weiter sprechen?«
»Ja«, verlangte sie kalt. »Ich habe mir ja schon so vieles anhören müssen, warum nicht das noch?«
»Es wäre ein Unglück. Für mich und auch für – dich.«
Todblaß saß sie vor ihm. Die blauen Augen erschienen fast schwarz vor Erregung.
»Du willst, – daß