Luisas Chance. Carola Wegerle

Luisas Chance - Carola Wegerle


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auf einer Wiese Pferde sah.

      „Ein Pferd, ein Pferd!“, rief sie jedes Mal und war kaum noch zu beruhigen.

      Als sie neun Jahre alt war, hat sie ihre Eltern angefleht: „Ich will reiten, bitte!“

      Doch ihre Eltern blickten sich besorgt an. „Das ist viel zu gefährlich, Luisa“, meinten sie. „Das können wir dir nicht erlauben.“

      Luisa war sehr enttäuscht. Ihre Tränen liefen und liefen. Ihre Eltern wollten ihr den Geburtstag nicht verderben. Sie versprachen ihr, dass sie reiten dürfte, wenn sie Zwölf wäre. Luisa schluckte ihre Tränen hinunter und zählte die Tage, bis sie Zwölf war.

      An ihrem Geburtstag sprang sie morgens aus dem Bett und jubelte: „Reitstunden!!!“

      Ihre Eltern verstanden überhaupt nichts. „Reitstunden? Das ist viel zu gefährlich, und außerdem bist du viel zu jung dafür!“

      „Aber ihr habt es doch versprochen!“

      „Wann?“, fragten sie ungläubig.

      „Na, als ich Neun war!“

      Luisas Eltern lachten. „Da hast du was falsch verstanden“, meinten sie.

      „Das kenne ich“, seufzte Verena, als Luisa es ihr vor einem Jahr erzählte. „Mir haben sie versprochen, dass sie mir das Autofahren beibringen. Vor zwei Jahren war das. ‚Wenn du Zwölf bist‘, sagten sie.“

      „Und?“ fragte Luisa.

      „Genau wie bei dir“, erwiderte Verena und zog einen Flunsch. „Sie konnten sich an nichts erinnern. Sie werfen mit Versprechen um sich, nur um ihre Ruhe zu haben und vergessen es dann gleich wieder. Sie denken nicht daran, dass wir in solchen Dingen ein Elefantenhirn haben.“

      Verena übt seitdem heimlich in Mamas Auto, wenn es in der Garage steht. Das Gangschalten, mehr geht ja nicht, den Rest stellt sich Verena einfach vor. In Gedanken brummt sie Landstraßen entlang, jagt das Auto Berge hinauf und nimmt schwungvoll die Kurven.

      Luisa machte keine Trockenübungen in der Garage. Sie hat einen Reitstall gefunden, der kein Reitclub ist – der wäre zu teuer.

      2

      Sie hebt einen Fladen Pferdemist nach dem anderen auf eine Schubkarre. Dreimal in der Woche macht sie das am Nachmittag. Sie ekelt sich kein bisschen. Im Gegenteil, sie liebt den Geruch von Pferdeschweiß, Mist, Heu und Stroh. Geübt hantiert sie mit der Mistgabel und arbeitet sich Box um Box voran. Die meisten Pferde sind draußen auf der Weide. Es ist still im Stall. Nur die frischgebackene Mutterstute steht im frischen Stroh und säugt ihr schwarzglänzendes Fohlen. Luisa wäre gern bei der Geburt dabei gewesen. Ob sie Tierärztin werden soll? Das ist sicher ein schöner Beruf, denkt sie. Doch dann fällt ihr Johanna wieder ein. Die möchte sie später unbedingt spielen. So eine starke Frau!

      „Mir nach! Auf nach Orleáns!“, ruft sie und reckt die Mistgabel in den Himmel, weil ihr die Fahne fehlt.

      „Die Duse mit der Mistgabel“, lacht jemand. Die Stimme kennt sie. Wie peinlich. Da steht er auch schon vor der Box und grinst bis über beide Ohren. Luisa wird rot.

      „Tag, Daniel“, sagt sie und ärgert sich, weil sie spürt, dass sie rot geworden ist. Daniel ist der Sohn von Herrn Hauser, dem der Reitstall gehört, und schon ziemlich alt: er ist sechzehn.

      „Was ist eine Duse?“, fragt Luisa ihn, als er in die Box gegenüber geht, wo das Fohlen jetzt ungeduldig seine Beine hebt. Behutsam nimmt Daniel einen Fuß des Pferdekinds nach dem anderen in seine Hände. Er prüft, ob es gesund ist. Und gewöhnt es dabei an seine Hände. Luisa gefällt, wie er mit Pferden umgeht.

      „Die Duse“, sagt Daniel. „Eleonora Duse war eine große

      Schauspielerin. Vor hundert Jahren oder so. Sie war damals ein Star.“

      Luisa staunt. Woher weiß er das?

      Daniel hat einen Frosch im Hals. Er räuspert sich umständlich, während er der Mutterstute Melasse mit Vitaminen vor die Nase hält. „Meine Mutter guckt ARTE“, es klingt fast entschuldigend, findet Luisa, „und wenn Erdnüsse auf dem Tisch stehen, diese scharfen, kennst du die? Dann guck‘ ich mit. So lange, bis sie weg sind. Die Nüsse.“ Mit sehr viel Schwung wirft er der Stute eine Decke über.

      „Eleonora Duse“, wiederholt Luisa ehrfürchtig. Morgen wird sie die Bücherei durchstöbern, um alles über diese Frau zu erfahren. Bilder will sie sehen, wissen, wie sie gelebt hat. Schade, dass sie die Stimme nicht mehr hören kann. Früher war die Stimme das wichtigste für eine Schauspielerin. Sie riefen nämlich ihren Text, sangen ihn beinah. Heute würde jeder finden, dass das übertrieben und unnatürlich klingt. Aber damals hat es den Leuten gefallen. Vielleicht sollte ich Stimmübungen machen, überlegt Luisa. Daran hat sie noch gar nicht gedacht. Aber sie singt sehr gern, fällt ihr dann ein. Ob das genügt?

      Sie schwingt den letzten Fladen Pferdemist auf die volle Schubkarre und stellt die Mistgabel in die Ecke, damit sie sich ausruhen kann. Die Mistgabel. Luisa ist nicht müde.

      „Fertig“, sagt sie zu Daniel, der jetzt im Stroh kniet und von unten über den Bauch der Mutterstute streicht. Ganz langsam macht er das. Vorsichtig hält Luisa dem Fohlen ihre Hand hin, damit es sich an ihren Geruch gewöhnt. Neugierig schnüffelt es daran.

      „Es mag dich“, stellt Daniel fest. Dass er Pferde ebenso liebt

      wie Luisa, kann jeder sehen, denkt sie.

      „Darf ich Racker reiten?“

      Daniel nickt. „Klar. Der freut sich auf dich, hat er mir heute Morgen erzählt.“

      Luisa lacht. Warum ist ihr gerade so warm geworden? Und so leicht … Fast hüpft sie, als sie Rackers Sattel und Zaumzeug aus der Kammer holt und damit auf die Weide stürmt.

      „Racker!“

      Das Pferd mit dem fuchsbraunen Fell hat sie schon gewittert. Es trabt auf sie zu und schnaubt aufgeregt, als es vor ihr steht. Glücklich streichelt Luisa seinen Hals und seine Nüstern, die sich anfühlen, als wären sie aus Samt, und Racker stupst sie an die Wange. Brav lässt er sich von Luisa satteln.

      Dann fliegen die beiden über die Wiesen. Luisa jubelt, als Racker über einen kleinen Bach springt. Sie sitzt dabei sehr sicher im Sattel. Wie schnell sie reiten gelernt hat, freut sie sich und denkt dabei an Johanna, die Jungfrau von Orléans. Die konnte überhaupt nicht reiten, aber sie hat sich einfach aufs Pferd gesetzt.

      Weiter oben am Bach machen sie Rast. Das ist Luisas Lieblingsplatz. Eine alte Weide lässt dort ihre Äste tief über den Bach hängen, weiches Moos bedeckt das Ufer. Daneben wächst ein Strauch mit blassgrünen Blättern, an dem Racker gern knabbert, und er hat noch nie Bauchweh davon bekommen. Also lässt sie ihn knabbern.

      „Ach Racker“, seufzt sie, „es gibt keine Theater-AG.“ Das Pferd blickt sie aufmerksam an. „Und ich möchte doch so gern spielen!“, vertraut sie ihm an. Racker schnaubt, und der Bach gluckert tröstend. Luisa streckt sich auf dem Moos aus und blickt in den Himmel, der durch die Äste der Weide schimmert und eingerahmt vom Grün ganz besonders blau aussieht. Wenn sie draußen in der Natur ist, fühlt sie sich immer gut, selbst, wenn sie mal sehr traurig ist oder sich über jemanden geärgert hat. Sie mag es, wie der Wind in den Blättern spielt. Die erzählen dann überraschend viel, aus ihrem Baum-Leben, von den Tieren, den Menschen und der Welt. Luisa ist ziemlich sicher, dass auch Elfen und Gnome im Wald wohnen. Natürlich darf sie das in der Schule nicht erwähnen, auch nicht Verena gegenüber, die würden sie sonst alle für durchgeknallt halten. Es bleibt ihr Geheimnis. Sie lächelt und hört den leisen Geschichten der Blätter zu, während Racker sich den Bauch vollschlägt. „M-hm“, sagt sie manchmal und

      „Ach je“ und „Na sowas!“ und „Das finde ich auch.“

      Plötzlich fährt sie auf. Schritte! War sie eingedöst? Sie sind schon ganz nah. Luisa rollt sich auf alle Viere und greift nach einem Ast, der im Moos liegt. Sie hält den Atem an: Jemand biegt die Zweige des


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