Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie Marlitt

Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte - Eugenie  Marlitt


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gesagt hatte: »Der Mann hat sich verkauft.« ... Er ertappte eine sichtliche Spannung, aber auch kaltlächelnden Hohn in den geistreichen Zügen.

      »Ich bin Ihnen sehr verbunden, Frau Lucian – Sie sind die Barmherzigkeit selbst,« sagte er, ihre indiskreten Fragen völlig übergehend, mit scharfem Spott. »Aber Sie dürfen sich beruhigen, ich kann Ihnen versichern, daß ich an meinem Los nichts auszusetzen habe.«

      Er legte die Hand auf den Türgriff, und José, der sich während der ganzen Zeit fest an ihn geschmiegt, ja, sich hinter ihm förmlich versteckt hatte, trat dicht an die Türspalte, um beim Öffnen sofort hinauslaufen zu können – es sah aus, als brenne dem Kind die Schwelle unter den Sohlen.

      »Wir waren gekommen, Ihnen diesen kleinen Ausreißer heil und unversehrt zuzuführen –« sagte Baron Schilling, auf den Knaben deutend, immer noch mit finsterem Gesicht und eigentümlich harter Stimme.

      »Ach ja –« fiel Lucile ein – »er war ja wohl für einen Augenblick nicht zu finden? Man hat ihn auch bei mir gesucht – War es nicht der Bediente Robert, den du an der Türe abfertigtest, Minna?« Sie zog die Schultern empor. »Ich habe nicht weiter daran gedacht – solch ein großer Bursche kann ja doch wahrhaftig nicht verloren gehen wie eine Stecknadel!« – Sie trat näher und legte die Hand schmeichelnd auf den Kopf des Kindes. »Wo hast du denn gesteckt, mein Junge?«

      Der Knabe, der ihr immer noch den Rücken zukehrte, schüttelte in wilder Aufregung die Hand von sich. »Nein, Mama, nein!« schrie er auf, ohne ihr das Gesicht zuzuwenden – er drückte die Stirne so fest an die Türe, als wolle er sie in das Holz einbohren.«Ziehe deinen langen Schlafrock an – ich kann dich nicht ansehen! – Du bist gar nicht meine Mama – nein!«

      »Einfältiger Junge!« zürnte sie und faßte ihn an der Schulter, um ihn gewaltsam umzudrehen; aber bei dem Kinde machte sich jetzt offenbar die erlittene heftige Nervenerschütterung geltend, sonst so sanft und fügsam, sträubte es sich und verfiel dabei in ein konvulsivisches Weinen und Schreien, in das sein erschrockenes kleines Schwesterchen aus Leibeskräften einstimmte. »Gott im Himmel, das ist ja zum Verrücktwerden!« schrie Lucile, und beide Hände auf die Ohren pressend, floh sie in das Nebenzimmer, dessen Türe sie schmetternd hinter sich zuwarf, während Baron Schilling schweigend den Knaben auf seinen Armen hinaustrug und Donna Mercedes im Verein mit der Kammerjungfer die kleine Paula zu beruhigen suchten ...

      »Mir steht das Getue bis an den Hals – ich mag gar nicht mehr hinsehen,« sagte der Bediente Robert draußen entrüstet und mit verachtungsvollem Blick, nachdem Baron Schilling mit dem Knaben an ihm vorüber in die Kinderstube gegangen war.

      Er stand mit dem Gärtner an der offenen, nach dem großen Garten führenden Türe der Flurhalle, und Mamsell Birkner, die eben aus den unteren Räumen kam, um Deborah das Gebäck für den Teetisch zu bringen, trat auch hinzu.

      »Da haben wir alle Gott gedankt, daß die Gnädige den guten Einfall hatte, ihre Minka einstweilen auswärts in Pflege zu geben –« sagte der Bediente weiter – »und jetzt gäb' ich gleich zehn Taler drum, wenn wir sie wieder da hätten, und es wär' alles beim alten! ... Man versetzte manchmal der schwarzen Kanaille einen heimlichen Knuff und Fußtritt, und da hatte man Ruhe für eine ganze Zeit ... Aber jetzt? – Zum Totärgern ist die Wirtschaft! – Wohin man tritt, liegt das Spielzeug liederlich im Wege – es wäre nötig, man machte in einem fort den Buckel krumm, den Kram wegzuräumen; und vor der wilden Bestie, dem Hund, muß man ewig auf der Flucht sein – ich wüßte schon, was ich dem am liebsten in die volle Fleischschüssel gäbe! ... Und die verzogenen Rangen alarmieren fortwährend unser ganzes Haus. Bald muß man mit Stangen rennen, um nach dem Jungen im Teich zu fischen, bald dem heulenden Ding, dem kleinen Mädchen, beispringen, wenn es auf die Nase gefallen ist, und eben haben sie beide geschrien, daß mir noch die Haare zu Berge stehen. Und dafür kriegt man nicht einen Blick, geschweige denn einen Dank von der hochnäsigen Madame, die nicht einmal ihr Essen bezahlen kann ... Dem Herrn kostet das ein Heidengeld, und dabei tut er doch, als sei er in seinem ganzen Leben noch nicht so glücklich gewesen. Damit soll er aber der Gnädigen nur kommen – sie kann das Kindervolk nicht ausstehen; man sieht ihr die stille Wut an, wenn ihr ein solch kleines Ding unversehens über den Weg läuft –«

      »Ja, weil ihr der liebe Gott keine eigenen beschert,« fiel Mamsell Birkner ein und schob und ordnete an dem Gebäck auf dem Teller, den sie in der Hand hielt.

      »Na, vielleicht betet sie deshalb in Rom,« lachte der Bediente.

      »In Rom ist sie ja gar nicht mehr,« flüsterte der Gärtner. »Sie ist zu Besuch in einem Kloster –« er verstummte plötzlich verlegen, und auf die erstaunten Fragen der anderen hin sagte er ausweichend, er habe »ein Vögelchen davon singen hören –« daß er bei Ausübung seiner Obliegenheiten im Wintergarten und Atelier in einen offen daliegenden Brief der Gnädigen geschielt hatte, konnte er freilich nicht sagen. – »Ich glaube, sie kommt bald wieder,« meinte er mit verständnisvollem Augenzwinkern,– »nachher sollt ihr aber sehen, was geschieht! Die amerikanische Gesellschaft fliegt aus der Türe, daß es eine Art hat – denkt an mich!« –

      »Das leidet der Herr nicht,« sagte die Hausmamsell ganz erregt.

      »Ich bitte Sie, reden Sie doch kein dummes Zeug, Mamsell Birkner!« versetzte der Bediente grob. »Wem gehört denn der Schillingshof?«

      »Uns!« platzte sie erbittert heraus. »Uns gehört er, und nicht den Steinbrücks ... Wie wir noch zusammen waren, der alte Freiherr und der Arnold – der gnädige Herr wollt' ich sagen – und ich, da gab es keine Gnädige bei uns, und wir haben auch gelebt und sind in unserem Gott vergnügt gewesen. Aber das Haus hier hatte der alte Herr allein zu befehlen, da ist er geboren und gestorben... Und gut und kreuzfidel waren alle, und die Kellerschlüssel sind auch nie auf die Reise mitgenommen worden, als wäre das Haus voll Spitzbuben –« sie hielt plötzlich inne und trat respektvoll zur Seite ...

      Die schöne, stolze Frau kam mit der kleinen Paula von Luciles Gemächern her. Wie ein breiter, schwarzer Schatten lagen die Wimpern tief auf ihren Wangen; sie schritt vorbei, als seien die Leute an der Türe von Stein, wie die Statuen in den Nischen, und der lose herabhängende Spitzenbesatz ihres Kleides rieselte auf den Mamorfliesen nach wie zerflatternder Schnee ...

      »Bettelprinzeß!« murmelte der Bediente Robert grimmig zwischen den Zähnen, während sie in der Türe nächst der Laokoongruppe verschwand.

      20.

       Inhaltsverzeichnis

      Lucile hatte sich nach der stürmischen Szene wie ein erbostes, trotziges Kind in ihre Zimmer eingeschlossen und war auch nicht zum Tee im Salon erschienen. Die Kammerjungfer hatte eine Platte voll Erfrischungen aus der Küche holen und ihrer Herrin für den Rest des Abends Gesellschaft leisten müssen – auch sie war nicht wieder zum Vorschein gekommen. So hatte die kleine Frau nicht erfahren, daß der Hausarzt auf Baron Schillings Wunsch noch spät am Abend dagewesen war, um José ein beruhigendes Mittel zu verschreiben, weil sich die fieberhafte Aufregung des Knaben eher steigerte, als verminderte.

      Donna Mercedes hatte sein kleines Bett in ihr Schlafzimmer tragen lassen, um ihn selbst zu überwachen. Er war auch unter der Wirkung der Medizin eingeschlafen, zur Beruhigung aller. – Aber nun, gegen Mitternacht, wachte er plötzlich auf. Er glühte, als schlügen Flammen aus dem Bettzeug über ihn hin, und sein heftig schmerzender Kopf lag mit hämmernden Schläfen schwer wie Blei auf dem Kissen. Mühsam hob er die Lider und sah sich fremd um – er hatte ja noch nie hier geschlafen.

      Dort an der gegenüberliegenden Wand stand Tante Mercedes' Bett – sie lag unausgekleidet auf der weißatlassenen Steppdecke und schlummerte. Das ganze Zimmer schwamm in einem sanften Rosaschein, den die Glasampel an der Decke verbreitete. – Er färbte die weiße Spitzenwolke, die vom Betthimmel herab das Lager der schlafenden Frau umfloß, er weckte ein seines Sprühen aus dem steinfunkelnden Gerät des Toilettentisches, quoll durch die offene Türe schräg über das blanke Parkett des anstoßenden großen, unbeleuchteten Salons und ließ drüben den breiten Pfeilerspiegel zwischen den Fenstern wie einen bleichen


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