Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie Marlitt

Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte - Eugenie  Marlitt


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kleinen Frau, und Deborah war hinübergegangen, um dabei zu bedienen.

      Es war um die neunte Stunde, aber schon herrschte die Finsternis der tiefen Nacht – der Himmel hing voll Regenwolken. Nur hinter der weit drüben liegenden Häuserreihe der Straße schoß dann und wann die grelle Lohe des Wetterleuchtens empor, um machtlos in den düfteschweren, schwülen Lüften zu verlöschen.

      Der kleine José schlief – es war der traumlose Schlaf der tiefsten Erschöpfung; ein in den Kissen ruhender Engel von Wachs hätte nicht lebloser daliegen können, als dieses Kind in seinem spitzenbesetzten, weißen Nachtkleidchen ... Donna Mercedes kniete an seinem Bette und hatte die Rechte leise auf das kühle, fieberlose und schlaff hingesunkene Händchen gelegt. Nun war sie allem mit ihm, nun konnte sie ihre Augen wieder werden an dem Gesichtchen unter dem blonden Gelock, wenn es auch noch so unheimlich vertieft und dunkel in den Augenhöhlen, so abgezehrt und blutlos wächsern dalag – es sollte sich ja wieder runden und aufblühen zu seiner früheren Lieblichkeit. – Sie grub die Stirn in die weiße Decke, die den schwachatmenden kleinen Leib halb verhüllte, und ein lautloses, aber heftiges und befreiendes Ausweinen durchschüttelte ihren Körper.

      Der Nachtwind kam über die Rosenbäume des Vorgartens her; er zog heiß und balsamisch durch das Zimmer, und blähte die Vorhänge auf – die Knieende hörte, wie sich die Seidenfalten im Zurücksinken aneinander rieben. Es klang aber auch, als schleife ein Gewand draußen über die Steinmosaik der Säulenhalle, und plötzlich tastete eine Hand auf der Fensterbrüstung.

      Donna Mercedes fuhr empor – und da war das weiße Gesicht wieder. Eine schwere, graue Flechte wie ein Fürstendiadem über der Stirn, um die Schultern einen zurückgesunkenen schwarzen Schal, der jedenfalls das Haupt vermummt gehabt, stand die fremde Frau da und krallte die Hände um den Holzrahmen des Fensters.

      »Gestorben?!« stöhnte sie im wilden, halberstickten Aufschrei.

      Die Knieende erhob sich – dieser Anblick, der Stimmklang, der sich unbeherrscht einer schmerzgefolterten Menschenbrust entrungen, erschütterten sie. Lebhaft verneinend schüttelte sie den Kopf und wollte auf das Fenster zugehen – sofort wich das Gesicht draußen in die Nacht zurück; sie sah noch, wie sich die Brauen über die funkelnden Augen in finsterer Zurückweisung falteten, wie die großen, weißen Hände in wilder Hast das Tuch über den Kopf zogen, dann war die Fremde wie ein Trugbild verschwunden.

      Diesmal wollte und mußte Donna Mercedes Aufklärung haben. Sie eilte in die anstoßende Kinderstube; dort brannte kein Licht, und die Fenster standen offen. Sie bog sich weit hinaus, allein es war unmöglich, in der völligen Finsternis irgend einen Gegenstand zu sehen; nur einen Augenblick später hörte sie das eiserne Gittertor drüben an der Promenade leise klirrend zufallen.

      »Nun weiß ich's ganz genau – es war ein Mann –« sagte plötzlich eine männliche Stimme ganz in ihrer Nähe.

      »Daß du doch immer streiten mußt, alter Dickkopf!« fiel eine andere ärgerlich ein – sie gehörte dem Bedienten Robert. »Willst du nicht auch behaupten, es sei der tote Adam gewesen? – Eine Frau war's und dabei bleibt's – Hab' ich sie doch vor ein paar Tagen beinahe erwischt!«

      Das Fenster, an welchem Donna Mercedes stand, war das letzte der Zimmerreihe, es stieß an die Flurhalle und befand sich nahe der Haupttür, in welche die Männer soeben getreten sein mußten.

      »Wenn ich nur wüßte, was sie eigentlich will,« fuhr der Bediente fort. »Soviel steht fest, sie hat's auf die Säulenhalle abgesehen und guckt in die Fenster. Er lachte leise und höhnisch auf. »Na, dumm ist's gerade nicht; unsereiner tut's ja auch! ... Da drin ist's gerade wie auf dem Theater – schwarze Mohrenfratzen, eine aufgeputzte Schlafstube, als sollte der Kaiser von Marokko drin schlafen, und falsche Edelsteine die schwere Menge ... Und die stolze Madame liegt auf den Knien vor dem kranken Prinzen, und unser Herr sitzt dabei wie eine Schildwache und sieht sich die Knierutscherei an, als wollte er sie auf seine Bilder bringen ... Er treibt's zu arg, Tag und Nacht sitzt er drin, und die Dame muß auch keine Scham und Scheu im Leibe haben, daß sie das leidet und sich vor unsereinem gar nicht geniert – das ganze Haus macht seine schlechten Witze drüber ... Ach ja, ich glaube, der wär's schon recht, wenn die Gnädige gar nicht wiederkäme – im Schillingshofe sitzt sich's warm – aber prosit, damit ist's nichts! ... Guck, Fritz, ich lachte mich tot, wenn die Gnädige einmal unvermutet heimkäme und sähe die Bescherung durchs Fenster.«

      Er sprach in gedämpften Lauten, fast flüsternd, und doch war es, als schlüge jedes dieser hämische« Worte wie ein tönender Hammer auf das Ohr der jungen Dame. Die Stimmen draußen schwiegen, und noch stand sie, die Unterlippe zwischen die seinen, scharfen Zähne geklemmt, wie zu Stein erstarrt.

      Sie sah durch die offene Tür Deborah in das Krankenzimmer treten und ging hinüber, und als sie in den grünen Lichtschein trat, da erbebte die arme Schwarze – so hatte die verstorbene Herrin daheim ausgesehen, wenn sie zürnte; so dämonisch flimmernden Auges, so blaß, als rolle nicht ein Tropfen färbenden Blutes in dem schönen Leibe, hatte sie grausame Strafen über die Schuldigen verhängt, und nie ein Jota von dem zurückgenommen, was sie einmal ausgesprochen.

      Donna Mercedes wischte sich mit dem Taschentuch über die Lippen, die sie sich wund gebissen, und bedeutete schweigend der Negerin, sich an das Bett des schlafenden Kindes zu setzen, dann ging sie hinaus, hinaus in die Luft wollte sie – in diesem Hause mußte sie ersticken ...

      21.

       Inhaltsverzeichnis

      Sie schritt an den hellbeleuchteten Steinbildern hin; die Gestalten der Liebe, der losen Schelmerei lächelten als Aphrodite und Eros von dem einen Piedestal auf die lautlos vorübergleitende schöne Frau nieder, die mit dem hartgeschlossenen Mund, den ausdrucksvoll geschwellten Nasenflügeln und dem sprühenden Blick unter den tiefgesenkten Brauen recht gut als Statue des Hasses da droben hätte stehen können.

      Die Männer standen noch an der offenen Haupttür: sie stellten sich unwillkürlich in Positur, als die schwebende, weiße Erscheinung um die Korridorecke kam, und der, welcher sie eben noch verlästert, der Bediente Robert, machte den tiefsten Katzenbuckel.

      Donna Mercedes wandte sich nach dem Ausgang, der in den großen Garten führte; aber als sie die Hand nach dem Türschlosse hob, da hörte sie Männertritte draußen die Freitreppe heraufkommen; sie wich um einen Schritt zurück und gleich darauf öffnete sich die Türe, und Baron Schilling trat herein ... Wie er so aus der hinter ihm lagernden tiefen Nacht auftauchte, das krause, dunkle Haar unbedeckt, und den überraschten Blick auf die unerwartet vor ihm stehende junge Dame geheftet, da lag es wie eine hohe Freudigkeit auf dem gedankenvollen Gesicht – er war ja zum erstenmal nach so vielen, bangen Tagen in seinem Atelier gewesen, er hatte ein Wiedersehen mit geliebten Gestalten gefeiert und sich offenbar neue Begeisterung vor den eigenen Meisterschöpfungen geholt. Er hielt einige farbenprächtige, wohl eben erst im Glashause gepflückte Gloxinen in der Hand und bot sie der jungen Dame schweigend, mit einer leichten Verbeugung.

      »Ich danke, mein Herr – ich liebe die Blumen nicht,« sagte sie schneidend, ohne auch nur einen Finger der lässig herabhängenden Hände zu heben, und ihr feindselig funkelnder Blick glitt von seinem Gesicht auf die Blumen nieder. Sie trat noch um einige Schritte zurück, damit er vorübergehe und ihr den Weg nach dem Garten freimache; in demselben Augenblick jedoch erschien einer der Ärzte in der Flurhalle, um, wie stets in den späten Abendstunden, noch einmal nach dem kleinen Kranken zu sehen. Sie war gezwungen, im Haus zu verbleiben und die Herren in das Krankenzimmer zu begleiten.

      Baron Schilling sprach ruhig und höflich mit dem Arzt, und im Vorübergehen legte er sorgsam die verschmähten Blumen auf das kühle Steinpostament zu Füßen einer Ariadne.

      »Und bis wann glauben Sie, daß José eine Übersiedlung aus dem Krankenzimmer erträgt?« fragte Donna Mercedes im Salon den Arzt, nachdem er mit Befriedigung festgestellt hatte, daß all und jede Spur des Fiebers erloschen sei.

      Er sah überrascht empor–er hatte diesen harten Metallklang noch nicht von den Lippen gehört, die sonst fast immer


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