Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie Marlitt

Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte - Eugenie  Marlitt


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reckte ihre langen Wedel und Schwertblätter in das blaßrote Licht hinein – dem fieberumflorten Blick des kranken Kindes erschienen sie wie riesige, krallenhaft gekrümmte Finger, die zusehends wuchsen, um nach dem Bett herüber zu greifen.

      Der Knabe schloß die Augen vor Furcht – in der entsetzlichen Dachkammer war ja auch alles lebendig geworden, was er angesehen. Und jetzt knisterte es auch drüben in der stillen, dunklen Fensterecke, als werde im Vorüberstreifen ein bewegliches Stück Papier berührt – war das die große Maus wieder? –

      Er hob den Kopf vom Kissen und starrte auf den Fußboden jenseits der Türe, über den das gefürchtete Tier hinlaufen mußte – da trat ein langer, hellbekleideter Menschenfuß auf einen der Parkettwürfel, die der rote Lichtfleck spiegelnd hervorhob – dieser Fuß ging lautlos auf den Zehen ...

      Instinktmäßig sah das Kind empor und suchte den Kopf des Menschen, der da aus der Fensterecke kam – und es sah in ein bärtiges, ihm flüchtig zugewendetes Gesicht auf schattenhafter Männergestalt, es sah den kurzgeschnittenen, starren Haarschopf, der hartlinig tief in die Stirne ging, und drunter die herabhängenden, buschigen Brauen, unter denen so grimme Augen funkelten – und entsetzt fuhr der Kleine mit dem Kopf unter die Bettdecke, jeden Augenblick fürchtend, die große, braune Hand des Mannes falle auf ihn nieder, um ihn zu züchtigen.

      Er wagte nicht zu schreien, nur ein angstvolles Stöhnen rang sich aus der kleinen schweratmenden Brust. Aber schon bei den ersten Lauten fuhr Mercedes aus ihrem leichten Schlummer empor und eilte an das Bett des Kindes. Sie zog ihm die Decke vom Gesicht und erschrak heftig über die brennenden Händchen, die krampfhaft fest ihre Finger umklammerten, über den verstörten Blick, mit welchem der Knabe ihr zuflüsterte:«Lasse den schrecklichen Mann nicht herein, Tante – du weißt, er will mich schlagen! – Klingle schnell, Jack soll kommen und Pirat auch!«

      »Kind, du hast geträumt,« sagte sie bebend – wie ein Feuerstrom ging die Fieberglut von dem kleinen Körper aus – und jetzt schnellte der Knabe empor; er stieß sie von sich. »Jack, Pirat!« schrie er mit gellender Stimme.

      Donna Mercedes riß an der Klingel. Die schwarzen Diener erschienen voll Bestürzung, und bald darauf stand der herbeigerufene Arzt mit bedenklichem Gesicht am Bett des Kindes, das im vollsten Delirium fort und fort nach Hilfe rief, um den »schrecklichen Mann« fortzujagen.

      Damit begann eine furchtbare Zeit ...

      Der Tod stand lange am Bett des kleinen José und drohte, das Geschlecht der Lucians in seinem letzten Sproß für immer auszulöschen. Oft schien es, als recke er seinen Arm bereits hinüber bis an das junge, wildschlagende Herz; dann lag das Kind im schlafähnlichen Zustande und tiefe Schattenzüge verwischten bis zur Unkenntlichkeit das frühere Gepräge des schönen, blondlockigen Köpfchens. Die Ärzte boten alles auf, den Knaben dem Leben zu erhalten, und es war seltsam zu sehen, wie sie fast instinktmäßig in ihrem Benehmen darin übereinstimmten, als gelte es, ihn einzig und allein zu retten für die junge Frau mit dem südlichen Bronzegesicht, die tränenlosen, starren Blickes, mit fest zusammengepreßten Lippen, ihre Berichte entgegennahm, die nie klagte, aber jede Speise und Labung schweigend zurückwies, und Tag und Nacht nicht von dem Krankenbett wich.

      Die kleine Mama dagegen, die oft mit dickverschwollenen Lidern, in vernachlässigter Toilette am Fußende des Bettes lauerte und unaufhörlich flüsterte und gestikulierte, war ein wahrer Schrecken für die Ärzte. Angesichts des bewußtlosen Kindes brach das Muttergefühl leidenschaftlich durch, aber auch zugleich der ganze Egoismus dieser Frauenseele. Die Angst, die sie folterte, wollte sie nicht ertragen; sie wollte beruhigt sein, sie peinigte die Ärzte mit Fragen, und doch nahm sie jedes besorgte Achselzucken, jeden noch so verhüllten Hinweis auf die Gefahr wie eine beleidigende Schonungslosigkeit auf. Sie warf sich jammernd über den kleinen Kranken hin und erging sich in maßlosen Schmähungen und Vorwürfen gegen diejenigen, die ihr Kind nach Deutschland, in den spukhaften Schillingshof geschleppt und in eine solche Lebensgefahr geflissentlich gebracht haben sollten ... Mit ihrem Gebaren füllte sie den Leidenskelch für Mercedes bis an den Rand – sie mußte selbst überwacht werden, wie ein Kind, und erschwerte die Pflege, die ohnehin eine aufreibende war, da auch Deborah in ihrem unbeherrschten Schmerz durchaus nicht als Stütze gelten konnte.

      Die Schwarze litt doppelt. Die Leute des Hauses behaupteten einstimmig, das Kind müsse sterben – Adam sei ihm erschienen. Ein panischer Schrecken hatte alle gepackt, seit die gellenden Hilferufe des Knaben Korridor und Flurhalle erfüllt hatten – niemand mochte sich nachts, selbst bei hellster Beleuchtung, bis an die Laokoongruppe, nächst der Tür des Salons mit den Holzschnitzereien, wagen, und Deborah zitterte am ganzen Leibe bei dem leisesten Geräusch im anstoßenden Zimmer, sie warf die Schürze über den Kopf, um nicht zu sehen, wie der »schreckliche Mann« plötzlich auf die Schwelle trete, um die Seele ihres Lieblings zu holen.

      In Haus und Garten des Schillingshofes herrschte Totenstille, die Baron Schilling selbst behütete und überwachte. Keine rauhe Stimme, kein hart auftretender Fuß durfte laut werden; man hatte alle Klingeln im Erdgeschoß abgenommen, das Geräusch des rollenden und rasselnden Kieses auf den Wegen des Vorgartens war gedämpft durch aufgeschüttetes Stroh, kein plätschernder Wasserstrahl sprang aus den geschlossenen Leitungsröhren, und der lärmende Pirat wurde Tag und Nacht in strenger Haft gehalten.

      In diesen schweren Tagen stand das Atelier völlig verwaist, Baron Schilling verließ das Säulenhaus nicht mehr. Er war in der ersten Nacht fast mit dem Arzt zugleich erschienen, und seitdem hatte er ein Hinterzimmer des Oberbaues bezogen, um stets bei der Hand zu sein.

      Anfänglich kam er nur auf Stunden in das Krankenzimmer; er fühlte sehr gut, daß die schweigende Pflegerin in ihrer namenlosen, wenn auch heroisch niedergekämpften Angst nicht beobachtet sein wolle. Nur ganz allmählich verlängerte sich sein Aufenthalt am Bett des Kindes, und er stieß auf keinen Widerspruch; die Kräfte der Pflegerin waren nahezu aufgerieben, und sie mochte einsehen, daß sie eine zuverlässigere Stütze nicht finden konnte, als in dem Mann, der mit Augen voll Schmerz und tiefer Zärtlichkeit ihren Liebling behütete. Sie empfing ihn nicht mehr mit finster abweisenden Blicken, wenn er eintrat; seine nahenden Schritte machten sie nicht mehr zornig emporschrecken aus der Stellung, die sie oft stundenlang, auf dem Teppich knieend, vor dem Krankenbett einnahm ... Sie hatte sich neulich gegen jegliche Art des Zusammengehens verwahrt, und doch kam und ging er jetzt infolge stillschweigenden Einvernehmens und wachte des Nachts bei dem Kranken, während er darauf bestand, daß die tieferschöpfte Pflegerin sich in der anstoßenden Kinderstube zur Ruhe niederlege – und sie fügte sich; angesichts des furchtbaren Unglückes, das über sie hereinzubrechen drohte, versanken alle Bedenken, die sonst die Oberhand in ihrer stolzen Seele hatten.

      Es fiel fast nie ein Wort zwischen ihnen, und doch kamen sich beide näher in der gegenseitigen Beurteilung. Er hatte es freilich mit einer Sphinxnatur zu tun, die oft genug seiner Prüfung entschlüpfte, um ihm plötzlich wildfremde, rätselvolle Züge zuzuwenden. So oft er den Blick vom kleinen Krankenbett hob, wurde ihm ganz märchenhaft zu Sinne. Als hätten Gnomenhände einen ganzen Regen ihrer unterirdischen Schätze hier verstreut, um eine schöne Frau mit kühlem Feuer zu umspielen, so funkelte der Steinschmuck an allem Gerät, selbst vom kleinsten Trinkbecher sprühte Rubinenlicht wie aus halbversteckten, rotglühenden Koboldaugen. Und die weiße Duftwolke mit ihrem eingewobenen köstlichen Blumen- und Blättergerank, die über den weißen Atlas, die Spitzenkanten der Polster herabfloß, die farbenglänzenden Matten auf dem Parkett, die Sitzmöbel, aus kostbaren Hölzern so luftig aufgebaut, als sollten sie auf ihren Seidenkissen nur leichte Feengestalten tragen–das alles war aus einer mit verschwenderischer Pracht ausgestatteten Pflanzervilla über das Meer hergeschwommen, um wenigstens einen Raum des deutschen Hauses für die verwöhnte Tochter des Südens heimisch und erträglich zu machen.

      Für Donna Mercedes war der raffinierteste Luxus sichtlich die Lebensluft, das Element, das ihre ätherische Erscheinung vom ersten Atemzug an auf seinen Wogen gleichsam hoch über der Erde gewiegt und getragen – und dieselbe Frau hatte es gleichwohl verschmäht, in Zeiten der Gefahr auf ihre sturmgeschützte Besitzung zu flüchten – sie hatte sich in andere Wogen geworfen, in die brausende Brandung des erbitterten Kampfes; das verwöhnte Ohr war nicht zurückgeschreckt vor dem Schlachtendonner, es hatte geschärft auf die Signale, die rauhen Kommandos lauschen


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