Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie Marlitt

Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte - Eugenie  Marlitt


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vertauscht worden – statt der Spitzenwolke des Betthimmels hatte sich das feucht niederschauernde Nachtgewölk über die am Lagerfeuer Rastende hingebreitet.

      Ja, sie war rücksichtslos und unbeugsam hart gegen den eigenen verweichlichten Körper, angesichts großer Fragen, wie sie unerbittlich, ja fanatisch gehässig denen gegenüberstand, die »unberechtigt« ein menschenwürdiges Dasein erstrebten. »Menschen?!« hatte sie neulich im Hinblick auf die aufrührerischen Schwarzen mit empörendem Hohn gerufen – man hätte damals glauben müssen, sie habe auch zu jenen raffiniert grausamen Plantagenherrscherinnen gehört, die das Fleisch ihrer Sklavinnen als Stecknadelpolster benutzen sollten, und doch – kamen die sanften, gütevollen Laute, mit denen Jack und Deborah stets und immer angeredet wurden, wirklich von den stolzen Lippen? ... Deborah war infolge des Schreckens und Kummers selbst erkrankt; sie lag in der Kinderstube und sträubte sich in kindischer Furcht gegen die verordnete Arznei. Baron Schilling hörte, wie ihr Donna Mercedes besorgt, in unerschöpflicher Geduld und Langmut zuredete – sie litt es nicht, daß eine andere Hand als die ihre der »alten, treuen Dienerin« die Labung reicht, ihr das Lager aufschüttle.

      Sie zeigte seiner offenbaren Haß gegen das Germanentum, seit sie deutschen Boden betreten hatte, deutsche Luft atmete; aber sie las und kaufte fast nur deutsche Bücher; auf dem Flügel lagen Bach, Beethoven und Schubert, und verschiedene Schriftstücke auf dem Schreibtisch bewiesen, daß sie vorzugsweise in deutscher Sprache schreibe ... Diesem Arbeitstisch kam Baron Schilling nur nahe, wenn einer der Ärzte dahinter saß, um ein Rezept zu schreiben. Da wurde flüsternd über den Zustand des kleinen Patienten verhandelt, manchmal vielleicht einen Augenblick länger als nötig, denn die Fensterecke hinter den grünen Seidenvorhängen war höchst interessant. Donna Mercedes hatte auch hier in enggezogener Schranke ein kleines Stück ihres amerikanischen Heims aufgebaut.

      Da hing das Ölbild ihrer stolzen spanischen Mutter. Von derselben undinenhaften Schönheit wie die Tochter, das herabflutende »Zigeunerhaar« an den Schlafen leicht mit Perlenschnüren zurückgenommen, ließ diese Frau ihre feine, biegsame Gestalt, nach Fürstenart, von schwerem, violettem Samt umbauschen; Perlenspangen rafften da und dort die Faltenwucht zusammen, und da, wo der köstliche Marmorton der Schultern und Anne hervortrat, sah es aus, als strebe ein hellgeflügelter Schmetterling der erdrückenden Last zu entschlüpfen ... Ja, der Urtypus des Hochmuts war sie gewesen, diese zweite Frau, die sich der imposant schöne Major Lucian, nachdem er im Leben schon halb und halb Schiffbruch gelitten, noch zu erobern gewußt hatte ... Seine Photographie hing unter dem Ölbild, daneben sein Sohn Felix, beide Porträts umringt von herrlichen kleinen Landschaftsbildern in Wasserfarben, Ansichten von Lucianschen Besitzungen vor dem Kriege. Und auf dem Schreibtisch selbst, inmitten kostbarer Gerätschaften von Edelmetall, stand im ovalen Bronzerahmen die Photographie eines jungen Mannes, ein Kopf von großer Schönheit, aber ziemlich unbedeutend im Ausdruck. – »Der arme Valmaseda« – hatte Lucile, Baron Schillings Blick nach dem Bilde verfolgend, in ihrer verletzenden Art eines Tages geflüstert – »er war ein netter, ein bildhübscher Mensch, aber – es war doch gescheit von ihm, zu sterben. Wissen Sie – ein großes Licht war er gerade nicht ... Mercedes hatte sich mit fünfzehn Jahren verlobt, da paßten sie noch zusammen; aber nachher tat sie ja so furchtbar geistreich, und da konnte der arme Schelm nicht mehr mit – in der Ehe hätte das kein Jahr lang gut getan – mein Gott, was sage ich – nicht vier Wochen! – Die brave Feindeskugel kam gerade recht noch in seine Bräutigamsträume hinein – Mercedes ist an seiner Seite gewesen und hat ihn in ihren Armen aufgefangen. »Ein himmlisches Sterben!« soll er gesagt haben.«

      An den Verhandlungen in der Fensterecke beteiligte sich Donna Mercedes später nicht mehr – aus Furcht vor der eigenen Schwäche, die sie allmählich überkam; sie ließ sich deshalb die Aussprüche der Ärzte durch Baron Schilling berichten ... Es war ein seltsam neues Gefühl, das sie immer mehr beschlich, das Bewußtsein eines Haltes, der ihr von außen kam. Bis dahin hatte sie sich stets nur auf die eigene Kraft verlassen und ihre Selbständigkeit eifersüchtig wie ihre Tugend; so hatte sie nie gewußt, was es heiße, Schutz zu genießen – jetzt fühlte sie ihn als eine Wohltat. Sie sagte sich, daß der Mann, der sich mit ihr in den Krankenwärterdienst teilte, aufmerksamen Auges zugleich ihr Wohl und Wehe behüte, aber das stolze verächtliche Lächeln, mit dem sie gewohnt war, unbegehrte Teilnahme zurückzuweisen, spielte ihr dabei nicht um die Lippen ... Wenn der nichts weniger als schöne, aber kraftvoll stattliche Mann mit dem Ausdruck stillen Ernstes am Krankenbett saß, dann schöpfte sie Trost aus seinem Anblick, dann war ihr, als sei ihr Liebling geborgen, als müßten alle finsteren Gewalten zurückweichen. Sie wurde unruhig, wenn er fortging, und atmete freudig klopfenden Herzens auf, sobald sie seinen nahenden Schritt draußen im Korridor hörte. Sie dachte nicht mehr an die Frau, die in Rom betete, um die verhaßten Eindringlinge möglichst schnell los zu werden, an diese Klosterschülerin, welche im finsteren Aberglauben ihr eigenes Heim mit spukhaften Seelen bevölkerte, und alle Wohnräume bis auf die verrufene Zimmerflucht verschlossen hatte, jedenfalls, damit der unsaubere Geist den ungewünschten Besuch austreibe.

      Etwas Unheimliches hatte diese Erdgeschoßwohnung allerdings auch für Donna Mercedes – es waren die mächtigen, tief auf den Boden herabgehenden Fenster. Die Brüstung zwischen den Zimmern und der draußen hinlaufenden Säulenhalle war so niedrig, wie kaum ein Balkongeländer, das man mühelos übersteigen kann ... Der erstickenden Hitze wegen durften abends die inneren Läden nicht vorgelegt werden; die Fensterflügel des Krankenzimmers standen auf Anordnung der Ärzte meist offen, und damit kein helles Licht von außen hereinfalle, hatte Baron Schilling das Anzünden der Gasflammen im Vorgarten verboten. Es herrschte somit gähnende Finsternis unter der Wölbung der Halle? nur ganz fern glühten drüben auf der menschenleeren Promenade vereinzelte Gaslichter, der Nachtwind zog schwach seufzend an der Säulenreihe hin, und vom Klostergut kamen die Fledermäuse herüber und schwammen scheu in dem schwachen grünen Licht, das die kleine Flamme durch den Lampenschirm des Krankenzimmers hinauswarf.

      Aber dieser blasse Schimmer, den die Nacht draußen schon aufsog, ehe er nur die nächste Säule erreichte, er hob auch andere Erscheinungen aus der Finsternis, und das war unheimlich, visionenartig ... Donna Mercedes sah zweimal dasselbe, als sie regungslos im Dunkel hinter dem Spitzenbehang ihres Bettes sitzend, das phantasierende Kind behütete. Kein Schritt war draußen auf dem Steingetäfel hörbar geworden, nicht das leiseste Geräusch hatte Menschennähe ahnen lassen, und doch hatte sich plötzlich ein Antlitz über die Brüstung hereingeneigt, ein totenweißes, schönes Frauengesicht mit Zügen wie in Stein gemeißelt, mit dunkelglühenden Augen, die starren, verzehrenden Blickes auf das kranke Kind gerichtet waren, als wollten sie ihm die Seele aussaugen ... Bei dem unwillkürlichen Emporschrecken der Pflegerin aber war das Gesicht jedesmal verschwunden, als sei es von einer schwarzen Tafel weggelöscht worden.

      Donna Mercedes hatte das weibliche Dienstpersonal des Schillingshofes nie beachtet; aber sie meinte, dieses in Schmerz und Gram förmlich versteinerte Antlitz müßte ihr doch bei der Begegnung notwendig aufgefallen sein. Sie forschte jedoch nicht nach, wie sie überhaupt während der ganzen schweren Prüfungszeit nur über das Allernötigste sprach.

      So waren viele Tage in unbeschreiblicher Angst und Aufregung verstrichen – nun eine furchtbare Nacht noch, in der man jeden Augenblick fürchtete, den schwachen Kindesodem für immer verlöschen zu sehen, dann brach ein rosig schöner Morgen an, und das goldene Tageslicht flammte auf, um ein junges Menschenkind wiedergewonnen in seine lebenatmende Flut zurückzunehmen – der kleine José war gerettet. Der Jubel darüber war groß. Die beiden Schwarzen gebärdeten sich wie toll, und Lucile war in ihrer Freude so maßlos wie vorher in ihrer Angst. Zum erstenmal wieder sorgsam frisiert, in hellseidenem Kleide, die Locken voll frischer Rosen, einen Rosenstrauß an der Brust und in den Händen, kam sie geschmückt und grazienhaft wie eine Bajadere früh in das Krankenzimmer geflogen und machte Miene, sich stürmisch über den Knaben hinzuwerfen und sein Lager mit den starkduftenden Blumen zu bestreuen; allein die anwesenden Ärzte verbaten sich energisch derartige Freudenausbrüche, was die kleine Frau durchaus nicht begreifen wollte und als ein gänzliches Mißverstehen ihrer Zärtlichkeit sehr übel nahm. Sie kehrte ihnen trotzig den Rücken und lief schmollend hinaus – die Gefahr war ja vorüber – nun konnte man ja wieder naiv und unartig sein.

      Donna Mercedes war tagsüber standhaft geblieben; sie hatte den Tränen des Glückes,


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