Geschichte des Zeitalters der Entdeckungen. Sophus Ruge

Geschichte des Zeitalters der Entdeckungen - Sophus Ruge


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Ort), welche nach den Erkundigungen von Prschewalsky am Tschertschen-Darja liegt, wurde die Oase Lop erreicht, wo man sich von der beschwerlichen Wüstenreise eine Zeit lang erholen konnte und den Thieren Rast gönnte, ehe man die große Wüstenreise zu der ersten chinesischen Stadt antrat. Der Wüstensand liegt hier in beweglichen Massen, die vom Winde aufgewirbelt werden. Bei den Chinesen war dieser Wüstenstrich in früherer Zeit unter dem bezeichnenden Namen Lu-scha, d. h. fließender Sand, bekannt. Er bildet die westliche Fortsetzung der bekannten Scha-mo, d. h. Sandmeer.

      Die Bevölkerung der Oase[30] Lop (Polo bezeichnet diese als eine große Stadt) hat stets isolirt, wenn auch nicht völlig abgesondert von der übrigen Welt gelebt. Prschewalsky hält den Grundstamm für arisch, mit mongolischem und tatarischem Blute gemischt. Sie war schon zu Polo’s Zeit mohammedanisch. Auffällig ist, daß jetzt Kamele nicht mehr vorkommen, während unser Reisender ausdrücklich betont, daß man sich hier zur Weiterreise mit starken Kamelen versorge, denn die Wüstenwanderung währt einen ganzen Monat, und für diese Zeit muß man sich mit Lebensmitteln und Futter versehen. Trinkwasser findet sich an einigen Stellen, wenn auch nicht immer reichlich. Die größten Gefahren der Reise liegen aber nach der Ansicht unseres Berichterstatters in den Tücken böser Geister, die durch Namensruf und allerlei Geräusch die Reisenden in die Irre führen und ins Verderben locken. Bei Tage klingen diese Geisterstimmen wie „süß tönendes Saitenspiel, Pauken und Trommeln“. Chinesische und arabische Schriftsteller wissen gleicherweise von solchen geheimnißvollen Tönen in der Wüste zu erzählen; auch Capitän Wood vergleicht den Ton der Schritte im beweglichen Sande mit fernem Trommelwirbel und zarter Musik. Daß aber, abgesehen von den ungleich erwärmten in Bewegung gerathenen sogenannten klingenden Sandmassen andere eigenthümliche Sinnestäuschungen in den asiatischen Wüsten zu solchem Gespensterglauben veranlassen können, wie ihn der naive Bericht Polo’s kundgibt, dafür mögen hier die Beobachtungen des Botanikers A. v. Bunge eingeschaltet werden, welcher bei der Expedition Chanikoffs die auch von Polo durchschnittene Wüste Lut in Iran durchzog. „Der Tag war glühend heiß gewesen,“ schreibt Bunge, „die finstere Nacht — die Gewitterwolken waren herangezogen, aber sie schwanden über der dürren Wüste, fast ohne daß ein Tropfen herabfiel — war warm; beim gleichmäßigen Schaukeln auf dem Kamel ängstigte — nicht mich allein — eine eigenthümliche Sinnestäuschung, als ritte man in dichtem Walde zwischen hohen Bäumen und müsse sich fortwährend beugen, um den Zweigen auszuweichen. Schon ehe die Sonne aufging, traten die Erscheinungen der Luftspiegelung ein.“ (Petermann, Mitthl. 1860. 223.) Auch Dr. O. Lenz hat bei seiner ruhmvollen Wanderung durch die westliche Sahara von Marokko nach Timbuktu 1880, die Erscheinungen des tönenden Sandes beobachtet als langgezogene dumpfe Trompetentöne, welche, um das Unheimliche dieser Wüstenlaute zu steigern, bald hier, bald dort, immer aus einer andern Gegend herüberklingen. Lenz sucht die Ursache an der Friction der erhitzten Quarzkörner.

      Erst nach 30 Tagen gelangten die venetianischen Kaufleute zur ersten chinesischen Stadt Scha-tscheu (Saciu) d. h. Sand-ort, einem wichtigen Platze, weil alle Wege, welche von China aus nach Westen gerichtet sind, durch diese Stadt führen. Im Jahre 1292 ließ Kublaikaan, zur Zeit, als Polo sich zur Heimkehr nach Europa anschickte, die Einwohner ins Innere von China schaffen, und 1303 legte sein Nachfolger eine Besatzung von 10000 Mann dahin, um den Platz zu sichern. In weitern 10 Tagen erreichte man Su-tscheu (Succiur, Sukchu), welches 1226 von Tschingiskaan zerstört worden war, und weiterhin in südlicher Richtung Kan-tscheu (Campichu), damals die Hauptstadt von Tangut, jetzt Provinz Kan-su, nördlich vom Kuku-nor. Dann folgten die Städte Liang-tscheu-fu (Eritschu), Sining-fu (Sinju), und Ninghia (Egrigaia)[31]. Nicht weit davon lag die Sommerresidenz der ehemaligen Tangutkönige am Fuß des Alaschan (Calaschan). Von Liang-tscheu folgte Polo einer Reiseroute, die den modernen Postweg zur rechten ließ. Die Straße, welche er zog, heißt seit der Zeit des Kaisers Kang-hi die Courierstraße. Nach Tenduc (jetzt Kuku-choto) verlegte Polo den Sitz des Priesters Johann, den er in dem Ung-chan zu erkennen glaubte. Ihm fielen dort die Mischlinge auf, deren Nachkommen wahrscheinlich in den heutigen Dunganen zu suchen sind. Auf diesem Theil der Reise mußte Polo die berühmte chinesische Mauer berühren, aber er erwähnt sie nicht. Man mußte denn, wie H. Yule (Marco Polo I, 283) meint, eine versteckte Anspielung darauf in den folgenden Worten des Reisenden finden: „Hier ist auch der Ort, den wir das Land Gog und Magog nennen, dort heißt es Unc und Mugul.“ Yule deutet diese Stelle dahin: hier sind wir an der großen Mauer, die als Wall von Gog und Magog bekannt sind. Dort zu Lande nennt man sie nach zwei Volkstämmen Ung[32] und Mongolen, welche mit der Vertheidigung der großen Mauer betraut waren.

      Sieben Tage weiter kommt man endlich in das große Land Cathay, welches überall von volkreichen Städten und Dörfern dicht besät ist. Ueber die kunstgewerbreiche Stadt Sindatschu[33], welche unter der Kin-Dynastie als Siwant-tschu bekannt war, und jetzt Siwan-hwa-fu heißt, fünf Meilen südlich von Kalgan, gelangten die Reisenden nach Tschagannor (Ciagannor), einem ums Jahr 1280 erbauten Palaste des Großfürsten, wo der Kaan sich gern aufhielt, um der Jagd auf Wasservögel am See obzuliegen. Tschagannor bedeutet „weißer See“, die Ruinen liegen etwa 6 Meilen nördlich von Kalgan. Noch drei Tagereisen weiter gegen Norden lag die Stadt Tschan-du (Ciandu) oder Schang-tu, d. h. oberer Hof, obere Residenz, wo der Kaan gleichfalls einen prächtigen Marmorpalast hatte errichten lassen, dessen vergoldete Zimmer mit kunstvollen Gemälden geziert waren. Dr. S. W. Bushell hat den Platz 1872 besucht. Die Ruinen liegen etwa unter 40° 22′ n. Br., westlich vom Meridian von Peking. Der jetzt verödete, übergrünte Herrschersitz, den Polo mit besonderer Ausführlichkeit beschreibt, erhob sich am sumpfigen Ufer eines Flusses, der noch jetzt den Namen Schan-tu trägt. Bei den Mongolen heißen die Ruinen Djao-Naiman Sume Khotan, d. h. Stadt mit 108 Tempeln. Marmorfragmente von Löwen, Drachen und anderen Bildwerken zeigen die Stätten der ehemaligen Tempel und des Palastes.

      Die bisher genannten Fürstensitze lagen jenseit der großen Mauer auf dem Gebiete der eigentlichen Mongolei. Seitdem China dem mongolischen Weltreiche einverleibt worden, war die erste und größte Residenz, in welcher der Kaiser die Wintermonate, December, Januar und Februar verlebt, hierher verlegt worden. Dieser „große Hof“, als Stadt Tatu oder Taidu genannt, bestand seit 1264. Sein Name Kaan-baligh, „Stadt des Kaan“, war in der abendländischen Form Cambaluc, Canbalu Jahrhunderte lang mit den Vorstellungen größter Fürstenpracht und größten Glanzes verbunden, ehe er dem modernen „Pe-king“ (Nord-Residenz) weichen mußte.

      Der großartigen Hofhaltung des mongolischen Kaisers widmete Polo die eingehendste Beschreibung. Da die Venetianer von Kublai auch bei diesem ihren zweiten Besuche auf das Huldreichste aufgenommen wurden und sich seiner dauernden Gunst erfreuten, so war der jüngere Marco auch mehr als andere in der Lage, bei der Beschreibung des Hofstaates und tatarischen Regiments in China zahlreiche Einzelbeobachtungen und Wahrnehmungen mitzutheilen. Marco Polo gewann in dem Grade das Vertrauen des Großfürsten, daß dieser ihn in besonderer Sendung nach den südlichen Provinzen Chinas und bis an die Grenzen seines Reiches abordnete. Dadurch wurde dem Abendland zuerst der Blick in die Großartigkeit der chinesischen Welt eröffnet. Die Reise ging von Peking in südwestlicher Richtung durch die Provinzen Schansi, Schensi und Szytschuán bis nach Yün-nan und bog dann nach Osten gegen das Meer ab. Den ersten Theil des Weges hat v. Richthofen 1871 verfolgt und seinen Untersuchungen verdanken wir besonders das neue Licht, das auf die Weglinie des Venetianers gefallen ist. Wir begleiten den kaiserlichen Agenten über Tschou-tschou (Juju) zunächst nach T’aiyüan-fu (Taianfu) der Hauptstadt von Schansi, wo im 8. Jahrhundert die Tang- und später die Ming-Dynastie residirte und wo, bei dem sehr bedeutenden Reichthum an Kohlen und Eisen, seit alter Zeit die Eisenindustrie blühte, welche im 13. Jahrhundert namentlich Waffen fertigte. Sieben Tagereisen weiter folgte die in einem breiten Thal des nordchinesischen Lös gelegene Stadt Pingyang-fu (Pian-fu). Nach Ueberschreitung des Hwang-ho, den Polo unter dem mongolischen Namen Caramoran, d. h. schwarzer Fluß, kennt, gelangt man in 10 Tagen zu einer der merkwürdigsten Städte des Landes, nach Si-ngan-fu (Kenjanfu bei Polo, Kansan bei Odorich von Pordenone). Als die Hauptstadt vieler mächtiger Herrschergeschlechter, von deren Bedeutung auch unser Gewährsmann Kunde erhalten hat, vielleicht schon das Θιναι des Ptolemäus, und im 7. Jahrhundert der Sitz blühender Kirchen, kann man diese Stadt wohl als die berühmteste in der chinesischen Geschichte bezeichnen. Dann führt der Weg durch den von wilden Gebirgen erfüllten südlichen District der Provinz Schensi und jenseits Han-tschung durch das Tsinglinggebirge, wo seit alter Zeit die Straßen in Zickzack


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