Wir Seezigeuner (Abenteuer-Klassiker). Robert Kraft
aber …
Die treueste, die aufmerksamste Mutter, sagte ich. Aber auch die zärtlichste?
Man konnte nicht das Gegenteil merken; was ist denn mehr zu verlangen, als daß eine Mutter Tag und Nacht um ihr Kind besorgt ist? Aber …
Ich kann mich nicht ausdrücken. Es war ein Unterschied dabei. Es fehlte doch etwas. Mit lachenden Augen blickte sie das Kind nie an, nur immer mit tiefernsten, oder mit traurigen, oder mit feuersprühenden, und das war keine Liebe, die daraus sprühte.
Blodwen hatte sich überhaupt recht verändert. Sie war wortkarg geworden, auch gegen mich. Sie beschäftigte sich eben nur noch mit dem Kind. Sie selbst nannte es Darling – Liebling.
Einmal beobachtete ich sie zufällig, wie sie oben auf dem Berge stand.
Das Kind auf dem linken Arm, streckte sie den rechten gegen Norden aus und schüttelte die geballte Faust, und dazu hatte sie schon längere Zeit etwas gemurmelt.
»… mögen dich tausend Flüche …«
Mehr hörte ich nicht. Ich zog mich gleich wieder zurück. Ich wußte ja, woran sie dachte. Sie konnte es eben nicht vergessen.
Ich ließ sie in Ruhe.
Aber bekömmlich konnte solche Milch nicht gerade sein. Und doch gedieh unser Kindchen. – – –
Ja, wo war ich stehen geblieben? Wie ich, angetan mit meiner Bauchbinde, an der Felswand klebe und Vogelnester ausnehme.
Ich habe in meinem Beutelchen, das früher zu Augusts Hemd gehörte, schon ein Dutzend Eier – da muß ich daran denken, daß ich auf einem Felsgrat stehe, und wenn der auch breit genug ist, so daß man keine Gemsenfüße zu besitzen braucht, so darf man darauf doch auch keine Bocksprünge ausführen.
Da sehe ich aus meiner luftigen Höhe unter mir in einem Tale sich zwei Menschlein bewegen, und sie sind mir nahe genug, daß ich erkennen kann, wie die beiden vollständige Anzüge tragen, sogar Hüte auf den Köpfen.
Dann konnten das natürlich auch nicht zwei von meinen Leuten sein. Denn sonst war es doch noch zu weit, um etwas näher unterscheiden zu können.
Alle Wetter, wie mir der Anblick dieser beiden nach allen Regeln der Schneiderkunst gekleideten Menschlein in die Knochen fuhr!
Schnell hinab! Mein Kriegsplan war sofort entworfen. Diese Fremdlinge mußte ich zuerst allein sprechen. Und ich wußte sie abzufangen. Durch das Eiersammeln auf Bergeshöhen hatte ich doch immer einen allgemeinen Ueberblick bekommen, kannte jedes Tal und jede Schlucht.
In zehn Minuten war ich unten, wo ich frei ausschreiten konnte, nun um ein paar Felsen herum, und ich wußte bestimmt: durch diese hohle Gasse muß er kommen!
Ich hatte von einem entworfenen Kriegsplan gesprochen. Wirklich, ich dachte an eine eventuelle Begegnung mit Feinden. Aber mir erst einen Revolver zu holen und ihn in meine Bauchbinde zu stecken – welche, nebenbei bemerkt, um schamhafte Leserinnen nicht zu verletzen, genügend lang war – daran dachte ich nicht. Meine ganze Bewaffnung bestand in dem Säckchen mit dem Dutzend Eiern – und in der Faust, welche sie trug. Sonst aber rechnete ich auch noch mit anderen Angriffsweisen, z. B., mit der Ueberraschung. Doch ich konnte mich ja auch irren – hoffentlich.
Hinter einem Felsen geduckt, spähte ich mit der Nasenspitze hervor. Richtig, da kamen sie schon anpromeniert. Der eine war ein Germane, der andere offenbar ein Indier. Beide trugen weiße Tropenkostüme, der Germane nach Seemannsschnitt, der Indier hatte im Gegensatz dazu recht enge Hosen an, welche die Indier seit alters her geliebt haben.
Jeder hatte einen Bergstock und über der Schulter ein Seilbündel, an der Seite Korbflasche und Proviantbeutel, Waffen sah ich nicht. Doch viel geklettert konnten sie noch nicht haben, das merkte man an ihren noch tadellosen Anzügen und Stiefeletten, hatten es auch noch nicht nötig gehabt; denn von der Seite, von wo sie kamen, führte bis hierher ein ganz bequemer Aufstieg.
Am meisten erkannte ich aus ihrem ganzen Benehmen, wie sie sich so mit behaglichen Spaziergängergesichtern umsahen, daß sie von unserer Anwesenheit hier nichts ahnten.
»Wir können doch nicht mehr weit von der Quelle entfernt sein, Kapitän Simmer?« sagte jetzt der Indier, sich des Englischen bedienend.
»Ich werde gleich einmal eine Bestimmung machen. Es ist schon lange her, daß ich die Quelle besuchte, ich kenne mich doch nicht mehr recht aus.«
»Nicht wahr, es war Kapitän Berkins, welcher inzwischen manchmal hierherfahren mußte, um Ambra zu holen?«
»Kapitän Berkins,« bestätigte der andere.
Hallo, ich hatte schon recht viel zu hören bekommen!
Nun aber mußte ich hervortreten, sonst sahen sie mich in meinem Versteck.
»Good morning, gentlemen!«
Ach, du großer Schreck! Erst zwei Statuen, dann ein Zurückprallen, dann griff der Kapitän in seine Rocktasche und brachte eine silberne Streichholzschachtel zum Vorschein, hatte sich offenbar vergriffen – Feuer wollte er mir vielleicht geben, nur anderes – also er ließ die Streichholzschachtel wieder verschwinden und brachte dafür ein Etui heraus, das offenbar eine Tabakspfeife barg – war auch hiermit noch nicht zufrieden, steckte die Piep wieder ein und hatte jetzt endlich den gesuchten Revolver gefunden, ein niedliches Dingelchen.
Das war natürlich schneller gegangen, als ich hier erzähle. Nur drei Griffe. Aber hübsch hatte es doch ausgesehen.
»Lassen Sie mal ruhig stecken,« sagte ich gutmütig, »ich tu’ Ihnen nichts.«
Der Kapitän hatte sich wieder zusammengerafft.
»Wer sind Sie?« fragte er, und das war allerdings von einem kolossal mißtrauischen Blicke begleitet, obgleich der Mann sonst ganz offene, sympathische Züge hatte.
»Ein Mann,« entgegnete ich, »von dessen Besitztümern nach seinem Schiffbruche nichts weiter übriggeblieben ist als diese Bauchbinde, wegen deren Abgetragenheit ich um Entschuldigung bitte.«
Doch die beiden hatten nur eines herausgehört.
»Schiffbruch haben Sie gelitten?!«
»Yes. Perfectly.«
»Wo?«
»An dieser Insel, auf der ich Sie zu begrüßen die Ehre habe.«
»Mann, wie kommen Sie hierher?«
»Eben auf meinem Schiffe, welches jetzt an der Ostküste dieser Insel in mir unerreichbarer Wassertiefe liegt.«
»Was für ein Schiff war das?«
»Die ›Sturmbraut‹ von New-York – zuerst von London.«
Herr du Gott, machte die Nennung dieses Schiffsnamens auf die beiden einen Eindruck! Sie gerieten ganz aus dem Häuschen.
»Sie sind – Sie sind – doch nicht – der Kapitän der ›Sturmbraut‹?«
»Yes, bin ich.«
»Kapitän Richard Jansen?«
»Bin ich.«
Der Blonde machte einen Schritt mit ausgestreckten Händen, als wollte er mich umärmeln, blieb aber noch vorher stehen, hob dafür die Arme in die Luft.
»Wunder, o, Wunder über Wunder – hier müssen wir ihn finden!! – Mahmud, das ist der Mann, das ist der Kapitän, um den sich seit einiger Zeit unser ganzes Interesse dreht!«
Der Indier, Mahmud angeredet, blieb ziemlich ruhig, betrachtete mich nur mit seinen brennenden Augen.
»Wissen Sie,« wandte sich der Blonde wieder an mich, »daß Sie in aller Welt gesucht werden?«
»Nee. Von wem denn?«
»Von uns.«
»Ja,