Die Klinik am See Staffel 3 – Arztroman. Britta Winckler

Die Klinik am See Staffel 3 – Arztroman - Britta Winckler


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in der gleichen Minute beendete Dr. Bernau seinen Kurzbesuch bei Christine Häußler und begab sich zurück in sein Appartement. Zu einem für ihn aufschlussreichen Gespräch mit der Patientin war es nicht gekommen, obwohl diese wach war. Ihre Teilnahmslosigkeit hatte sich noch immer nicht gelegt. Auf seine drängenden Fragen hatte sie kaum geantwortet.

      Aber da war noch etwas, was ihn beschäftigte – nämlich die etwas vagen Andeutungen Dr. Göttlers, der sich am Vormittag die Analyse von Christine Häußlers Blut vorgenommen hatte. Er dachte jetzt in seinen vier Wänden noch einmal darüber nach.

      Dass sich aber zur gleichen Zeit etwas gegen ihn zusammenzubrauen begann, dass ein im höchsten Maße gereizter junger Mann auf dem Weg zur Klinik am See war, ahnte Dr. Bernau natürlich nicht. Seine Gedanken beschäftigten sich nur mit dieser Analyse und mit dem, was der neue Kollege dazu gesagt hatte.

      *

      Obwohl der Eingang der Klinik am See erleuchtet war und auf dem davorliegenden Parkplatz drei Lampen brannten, herrschte doch ein etwas dämmriges Zwielicht in der unmittelbaren Umgebung vor dem ehemaligen Schloss. Mit etwas Fantasie konnte man sich beim Anblick dieses Baues fast in die feudalen Zeiten eines König Ludwigs zurückversetzt fühlen.

      Sekundenlang empfand das auch Dr. Göttler, als er seinen Wagen am äußersten rechten Rand des Parkplatzes anhielt, den Motor abstellte und die Seitentür öffnete. Sekundenlang blieb er noch hinter dem Steuer sitzen und überlegte. Eine Art triumphierendes Gefühl beherrschte ihn. Er freute sich einfach darüber, dass er mit seiner Ahnung recht behalten hatte. Es hatte sich gelohnt, zu seinem Vater in die Klinik nach Rosenheim zu fahren und dort mit dem Spezialmikroskop die Blutuntersuchung vorzunehmen. In seiner Aktentasche befanden sich nun die Unterlagen – das Ergebnis der Analyse also, vergrößert und fotografiert –, die bewiesen, dass die Patientin nicht an Leukämie erkrankt war.

      Um die Mundwinkel des Mediziners huschte ein schwaches Lächeln, als er sich das Gesicht des Kollegen Bernau, den er übrigens sehr sympathisch fand, vorstellte, wenn er ihm das mitteilte. Am liebsten hätte er das auch sofort getan, doch er sah ein, dass das zu dieser Nachtstunde wohl kaum mehr möglich war. Dr. Bernau schlief sicher schon den Schlaf des Gerechten. Ich hätte eben früher von Rosenheim abfahren sollen, ging es Dr. Göttler durch den Sinn. Seinem alten Herrn zuliebe aber war er länger geblieben.

      »Na, es hat ja auch bis morgen Zeit«, murmelte er, griff nach der Aktentasche und stieg aus.

      Dass in der gleichen Sekunde aus einem anderen Fahrzeug – insgesamt standen vier oder fünf auf dem Parkplatz – auch jemand ausstieg, davon merkte Dr. Göttler nichts. Obwohl er die anderen geparkten Wagen vorhin beim Parken bemerkt hatte, war ihm jedoch nicht der Gedanke gekommen, dass in einem dieser Autos jemand sitzen konnte und auf ihn wartete. In diesem Augenblick aber hörte er schnelle Schritte hinter sich. Erstaunt wollte er sich umdrehen, denn ein ankommendes Fahrzeug hatte er nicht gesehen, als er plötzlich einen harten Griff an seiner Schulter spürte. Eine gewaltige Kraft riss ihn herum. Dicht vor ihm stand ein kräftiger Mann, dessen Gesicht er aber nicht erkennen konnte, weil es im Schatten lag. »Was soll das?«, fragte er ärgerlich. »Wer sind Sie und was wollen Sie?« Er versuchte, sich von dem zupackenden Griff an seiner Schulter zu befreien, doch es gelang ihm nicht. Der andere schien Bärenkräfte zu haben.

      »Wo ist sie?« Wie das Knurren eines gereizten Tieres klang diese Frage des Unbekannten. »Was haben Sie mit ihr gemacht, Herr Doktor?«

      »Ich verstehe Sie nicht«, fuhr Dr. Göttler zornig auf. »Wen meinen Sie? Was soll ich mit wem gemacht haben?« Erneut strengte er sich an, aus dem harten Griff freizukommen, und diesmal gelang ihm das auch. Allerdings nicht so sehr durch seine eigene Anstrengung, sondern eher deshalb, weil sich der Griff an seiner Schulter ganz plötzlich gelockert hatte und die zupackende Hand verschwand.

      Einen derben Fluch ausstoßend, trat der Unbekannte ein paar Schritte zurück. »Kruzitürken, Sie sind es ja gar nicht«, stieß er ärgerlich hervor.

      Dr. Göttler begriff sofort. Der Fremde hätte ihn mit jemand anderem verwechselt. Aber mit wem? »Was dachten Sie denn, wer ich bin?«, fragte er. Sein Ärger verflüchtigte sich.

      Als Antwort erklang nur ein erneuter Fluch. Dann drehte sich der Unbekannte um, hastete zu einem etwas weiter entfernt stehenden Wagen und stieg ein. Eine Sekunde später sprang der Motor an, und mit aufgeblendeten Scheinwerfern jagte der Wagen davon.

      Dr. Göttler blickte den Schlusslichtern nach, bis sie in der Dunkelheit verschwunden waren. »Merkwürdige Begegnung«, murmelte er. »Mit wem mag der mich wohl verwechselt haben?« Kopfschüttelnd schloss er seinen Wagen ab, klemmte sich die Tasche unter den Arm betrat wenig später die Klinik.

      »Guten Abend, Herr Doktor«, grüßte die Nachtschwester, die gerade aus der Aufnahme kam und zum Aufzug wollte.

      »Guten Abend, Schwester«, gab Dr. Göttler den Gruß zurück und wollte zu dem kleinen Personalaufzug, der ihn zur obersten Etage fuhr, als ihm doch die Frage nach Dr. Bernau über die Lippen kam.

      »Herr Doktor Bernau?« Die Schwester schüttelte den Kopf. »Der hat doch dienstfrei und liegt sicher schon im Bett.«

      »Danke, Schwester – es ist ja auch nicht wichtig«, entgegnete Dr. Göttler. »Ich sehe ihn ja morgen früh.« Der Schwester einen Gutenachtgruß zurufend, betrat er gleich darauf den Aufzug und fuhr nach oben, dorthin, wo sich nun sein Appartement befand.

      Eine Weile dachte er dann noch über das vorherige sonderbare Intermezzo vor der Klinik nach, schob dann aber diese Gedanken beiseite und legte sich schlafen. Im Augenblick interessierte ihn weder der Unbekannte auf dem Parkplatz noch derjenige, für den ihn der Mann gehalten hatte.

      Im entfernten Rottach aber zerbrach sich Hans-Günther Hornegg zu dieser Stunde noch den Kopf, weshalb er an den Verkehrten geraten war. »Himmel noch mal«, brummte er, »ich hab doch seinen Wagen genau erkannt.« Daran, dass es noch mehr Autos dieses Typs und in der gleichen Farbe gab, dachte er nicht. Dafür zuckte es ihn in den Händen, nach dem Telefon zu greifen und Christine anzurufen. Doch er unterließ es, denn nun war er nicht sicher, ob Christine zu Hause war oder nicht. Da er diesen Dr. Bernau nicht getroffen hatte, war durchaus anzunehmen, dass er mit Christine noch irgendwo zusammen war. Das aber wollte er nicht noch durch einen Anruf bei ihr, der dann ja vergeblich sein würde, bestätigt bekommen. Er hatte genug Ärger bis jetzt gehabt. Für diesen Tag reichte es ihm. Außerdem musste er am nächsten Tag einen klaren Kopf haben, denn ihm standen geschäftliche Verhandlungen in Salzburg bevor. Gegen Mittag musste er dort sein. Begeistert war er davon nicht gerade, denn er würde erst in zwei Tagen wieder zurück sein. »Dann aber …«, stieß er hervor, und in seinen Augen zeigte sich ein harter Glanz, »nehme ich mir diesen Doktor Bernau ernsthaft vor. Christine gehört zu mir. Das werde ich dem studierten Herrn unmissverständlich beibringen.«

      *

      Pünktlich zum Dienstbeginn trafen sie sich im Dienstzimmer Dr. Bernaus. Die Begrüßung der beiden fast gleichaltrigen Ärzte war schon etwas mehr als nur kollegial. Beide gestanden sich ein, dass sie den anderen mochten, obwohl ihre Bekanntschaft erst kaum 48 Stunden alt war. Vielleicht lag das auch ein wenig daran, dass sich Dr. Bernau ebenso wie Dr. Göttler wie eine Art Verschwörer fühlte. Im Grunde genommen war es ja auch eine gewisse Verschwörung, harmloser Art natürlich, was sie beide getan hatten. Eine Verschwörung dem Chefarzt gegenüber, denn die von Dr. Göttler ohne Wissen und Einverständnis Dr. Lin­daus außerhalb der Klinik am See vorgenommene Blutuntersuchung einer Klinikpatientin stellte immerhin eine gewisse Art von Affront dar. Auf jeden Fall war ihrer beider Initiative nicht ganz korrekt gewesen.

      Darüber war sich vor allem Dr. Bernau klar, und es war nur zu verständlich, dass er nun auf das Ergebnis dieses Alleingangs gespannt war. »Nun?« Das war alles, was er den Kollegen fragte.

      »Bestens«, erwiderte Dr. Göttler lächelnd. »Ich habe gute Nachricht.«

      »Lassen Sie hören!« Man sah Dr. Bernau das Interesse an.

      »Gern«, gab Dr. Göttler zurück. »Zuerst aber möchte ich Ihnen erzählen, was mir gestern bei meiner Rückkehr in die Klinik widerfahren ist.« Er wartete erst keine Antwort ab, sondern berichtete


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