Die Klinik am See Staffel 3 – Arztroman. Britta Winckler

Die Klinik am See Staffel 3 – Arztroman - Britta Winckler


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Sie ein kleines Ärzteappartement hier in der Klinik beziehen.«

      Dr. Göttler war es sogar sehr recht.

      Plötzlich fiel Dr. Lindau etwas ein. »Ihr Vater ist doch, wenn ich mich recht erinnere, in erster Linie Hämatologe«, setzte er seinen Gedankengang auch sofort in Worte um. »Blutspezialist also.«

      »Das ist richtig«, bestätigte der junge Mediziner. »Fast vierzig Prozent der in seiner Klinik liegenden Patienten sind mit einer Blutkrankheit behaftet.«

      »Haben Sie sich auch damit beschäftigt?«, fragte Dr. Lindau gespannt.

      »Aber ja«, versicherte Dr. Göttler. »Mein Vater wollte das so. Nun aber will ich mich besonders mit Frauenleiden befassen.«

      »Verstehe«, gab Dr. Lindau zurück. In seine Augen trat ein nachdenklicher Ausdruck. »In meiner Klinik haben wir keinen Blutspezialisten«, fuhr er fort. »Ich muss gestehen, dass Sie mir da gerade recht kommen.«

      Dr. Göttler lächelte etwas verlegen. »Nun, ein ausgesprochener Blutspezialist bin ich allerdings nicht – dieses Privileg steht meinem Vater zu«, erklärte er. »Ich habe nur von ihm darüber viel gelernt. Darf ich fragen, weshalb Sie das jetzt ansprechen?«

      »Das hat einen einfachen Grund«, antwortete Dr. Lindau. »Wir haben seit zwei Tagen eine junge Frau in der Klinik – Diagnose akute myeloische Leukämie.«

      »Interessant«, murmelte Dr. Göttler. »Wenn ich jetzt richtig vermute, so wollen Sie mich wahrscheinlich darauf ansetzen, wie?«, fragte er.

      »Ja, das hatte ich vor, Herr Kollege«, räumte Dr. Lindau lächelnd ein. »Sie könnten sich dieses Falles annehmen. Doktor Bernau, den Sie ja für ein paar Monate vertreten sollen und der diesen Leukämiefall übernommen hat, ist in erster Linie auf Chirurgie ausgerichtet. Sie verstehen, was ich damit sagen will?!«

      »Schon verstanden«, entgegnete Dr. Göttler. »Sie sind hier der Chef, und ich habe Ihre Anweisungen auszuführen.«

      Dr. Lindau winkte ab. »Nun, wir wollen das nicht so dramatisch formulieren«, meinte er. »Wir befinden uns in der Klinik am See und nicht in einer Kaserne, in der Befehle erteilt werden.«

      »So habe ich es auch nicht aufgefasst«, erklärte Dr. Göttler und fügte hinzu: »Aber selbstverständlich werde ich mich mit diesem Fall beschäftigen, Herr Chefarzt.«

      »Fein, dann sind wir uns also einig.« Dr. Lindau reichte seinem neuen medizinischen Mitarbeiter die Hand. »Jetzt aber werde ich Sie mit den übrigen Kollegen bekannt machen und in der Verwaltung Ihre Einstellung anmelden. Sie können sich dann erst einmal einrichten und morgen früh gleich mit Doktor Bernau alles Weitere absprechen.«

      *

      Auf den ersten Blick erkannte Dr. Bernau, als er mit dem Kollegen Göttler an Christine Häußlers Bett trat, dass sich in dem Zustand der jungen Frau kaum etwas geändert hatte. Lediglich der Ausdruck in ihren Augen war ein klein wenig lebendiger geworden. Ihre Reaktion auf die verschiedensten Fragen aber war noch die gleiche – Wortkargheit und eine Art von Resignation, die schon fast einer Verzweiflung nahekam.

      »Das ist aber nicht gerade symptomatisch für eine Leukämieerkrankte«, meinte Dr. Göttler, als er etwas später mit Dr. Bernau in dessen Dienstzimmer war. »Normaler wäre es, wenn die Patientin erregter wäre, viel redete und fragte. Ich setze dabei voraus, dass sie über ihr Leiden Bescheid weiß und ihr auch bekannt ist, dass ihre Lebenserwartung begrenzt ist. Ich meine damit, dass sie sich dagegen wehrt, eben in Form einer manchmal oft hektisch wirkenden Redseligkeit, die aber im Grunde genommen nichts anderes ist als eine Angst vor dem Sterben.«

      »Die Patientin hat vor zwei Tagen einen Selbstmordversuch unternommen«, erklärte Dr. Bernau dem neuen Kollegen.

      »Weil man Leukämie bei ihr diagnostiziert hat?«, fragte Dr. Göttler.

      Dr. Bernau wiegte den Kopf hin und her. »Das weiß ich eben nicht genau«, erwiderte er. »Ich vermute aber, dass der Grund für ihre Lebensüberdrüssigkeit unglückliche Liebe ist. Vielleicht fühlte sie sich in ihrer verständlichen Verzweiflung über die Diagnose, die für sie ja wahrscheinlich wie ein Todesurteil gewirkt hat, von dem Menschen, den sie liebt und von dem sie gerade jetzt in ihrer Not Zuspruch erwartete, allein gelassen. Wie gesagt, ich bin noch nicht dahintergekommen.«

      »Nun muss allerdings Leukämie nicht gleich als der Beginn des Sterbens betrachtet werden«, meinte Dr. Göttler. »Wie wir wissen, können Leukämiekranke – es kommt natürlich auf die Art dieser Krankheit an – oft noch eine Reihe von Jahren normal leben, sofern das Leiden richtig erkannt ist und eine rechtzeitige und gezielt abgestimmte Behandlung vorgenommen wird.«

      Dr. Bernau nickte. In seinen Zügen zeigte sich ein etwas unwilliger Ausdruck. So sympathisch er den neuen Kollegen auch fand, so wenig aber gefiel es ihm, von dem um etliche Jahre Jüngeren medizinisch belehrt zu werden.

      »Haben Sie schon Blutuntersuchungen vorgenommen?«, ergriff Dr. Göttler schon wieder das Wort, ehe Dr. Bernau dazu kam, etwas zu äußern.

      »Zwei Blutanalysen liegen vor«, erwiderte er. »Eine wurde vom Hausarzt der Patientin gemacht und die andere von unserem Labor.«

      »Und?«

      »In beiden Fällen veränderte Lymphozyten …«

      »Was sagt das Röntgenbild?«, wurde Dr. Göttler neugierig.

      »Nichts, und das ist ja das Sonderbare«, gab Dr. Bernau zurück.

      »Rückenmark?«

      Dr. Bernau schluckte. Diese Art der Befragung machte ihn nervös. Hätte Dr. Lindau ihm derartige Fragen gestellt, so wäre das völlig normal für ihn gewesen. Aber dass dieser Neue sich gleich am ersten Tag seines Hierseins wie ein Examinator aufspielte, begeisterte ihn nicht gerade. »Worauf wollen Sie hinaus mit Ihren Fragen, Herr Kollege?«, fragte er. »Mir ist sehr wohl bekannt, was für Untersuchungen in einem solchen Fall vorgenommen werden müssen, auch wenn ich nur Frauenarzt bin.«

      »Um Himmels willen, Herr Doktor Bernau, ich wollte Sie keineswegs belehren«, stieß Dr. Göttler hervor. »Ich frage nur, weil der Chefarzt mich gerade auf diesen Fall besonders aufmerksam gemacht hat.«

      »Warum das?«, entfuhr es Dr. Bernau erstaunt.

      Dr. Göttler lächelte fein. »Weil ich bei meinem Vater in seiner Klinik auf jeden Fall die Grundbegriffe der Hämatologie gelernt habe. Zumindest habe ich vieles mitbekommen.«

      »Göttler …«, murmelte Dr. Bernau verdutzt. »Jetzt weiß ich, woher mir Ihr Name bekannt vorkam, als der Chefarzt Sie vorstellte«, kam es überrascht über seine Lippen. »Natürlich – Professor Göttler, der bekannte Blutspezialist …«

      »Ja, das ist mein alter Herr«, bestätigte Dr. Göttler lächelnd.

      »Das ist natürlich etwas anderes«, meinte Dr. Bernau. »Ich fasse Ihre Fragen nun nicht mehr als Belehrung auf. Verzeihen Sie, wenn ich das sekundenlang dachte.«

      »Schon gut, Herr Kollege.« Dr. Göttler winkte ab. »Aber nun wieder zur Sache, wenn Sie erlauben, und …«

      »Ich erlaube«, warf Dr. Bernau leise lachend dazwischen.

      »… wenn es Ihnen nichts ausmacht, dann würde ich gern einmal die Analysen der Blutuntersuchungen sehen«, vollendete der neue Mitarbeiter seinen unterbrochenen Satz.

      »Selbstverständlich«, gab Dr. Bernau zurück. »Nur – wir haben nur eine Analyse, nämlich die von unserem Labor. Die vom Hausarzt der Patientin, nach der auch die Diagnose gestellt wurde, befindet sich nicht bei uns.«

      »Macht nichts«, entgegnete Dr. Göttler. »Die eine genügt.«

      »Gut, dann begeben wir uns ins Labor«, meinte Dr. Bernau, obwohl er sich ein wenig darüber wunderte, dass der Kollege so sehr an dieser Blutanalyse interessiert war. Für ihn selbst gab es keine Zweifel, hatte er doch selbst die Blutprobe unter dem Mikroskop betrachtet. Aber bitte, dachte er, der verehrte Kollege soll seinen Willen haben. Schaden konnte es ja nicht.


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