Die Klinik am See Staffel 3 – Arztroman. Britta Winckler

Die Klinik am See Staffel 3 – Arztroman - Britta Winckler


Скачать книгу
schon den Nachtrapport und meine Eintragungen gelesen.«

      »Hat er«, bestätigte die Assistentin.

      »Also schön …« Dr. Bernau nahm noch einen Schluck von dem heißen Kaffee und erhob sich. »Wann und wo?«, fragte er. »Bei ihm unten?«

      Bettina Wendler nickte.

      »Na, dann mal los«, brummte Dr. Bernau und verließ gemeinsam mit der Assistentin des Chefarztes das Zimmer.

      Minuten später waren sie unten im Büro des Klinikleiters.

      »Ich habe Herrn Doktor Bernau beim Kaffeetrinken angetroffen«, meldete Bettina Wendler ihrem Chef.

      »Fein«, entgegnete Dr. Lindau, begleitete eine Frau – es war die letzte der Wartezimmerpatienten – noch bis zur Tür und wandte sich dann an Dr. Bernau.

      »Tut mir leid, dass ich Sie um den Schlaf bringe«, sagte er, »aber ich wollte mit Ihnen noch rasch über Frau Häußler reden, die gestern Abend eingeliefert wurde. Was wissen Sie über sie? Ist Ihnen das Motiv für ihren Selbstmordversuch bekannt?«

      »Leider nein«, erwiderte Dr. Bernau. »Ich wollte nachher, ehe ich mich schlafen lege, noch einmal zu ihr, um zu erfahren, was sie zu ihrer Handlungsweise veranlasst hat.«

      »Ist sie überm Berg?«, wollte Dr. Lindau wissen.

      »Ihr Zustand ist zufriedenstellend, hat sich normalisiert«, antwortete Dr. Bernau und gab dem Klinikchef einen kurzen Bericht. »Vor einer halben Stunde hat sie ruhig geschlafen. Herz und Kreislauf sind stabilisiert. In etwa einer Viertelstunde wollte ich noch einmal zu ihr«, schloss er seine kurze Rede.

      »Na, dann gehen wir doch gemeinsam hin«, meinte Dr. Lindau. »Das interessiert mich ja auch.« Prüfend sah er seinen Mitarbeiter an. »Sonst wissen Sie nichts über die junge Frau?«, fragte er.

      Dr. Bernau stutzte kurz. Was sollte diese Frage nun wieder bedeuten? Wusste der Chefarzt etwa von dem Besuch bei der Heimleiterin? Kaum anzunehmen, dachte er. »Nein«, beantwortete er die Frage des Klinikleiters. »Gibt es etwa etwas, was ich wissen sollte?«, fügte er fragend hinzu.

      »Nicht unbedingt«, erwiderte Dr. Lindau. »Allerdings ist Frau Häußler bereits gestern mit Einweisungsschein avisiert worden.«

      »Als Patientin?«, fragte Dr. Bernau.

      Der Chefarzt nickte. »Wegen akuter myeloischer Leukämie«, nannte er Dr. Bernau die auf dem Einweisungsschein angegebene Diagnose.

      »Das wusste ich nicht«, stieß Dr. Bernau überrascht hervor. Hinter seiner Stirn arbeitete es. Er fragte sich, ob die junge Heimleiterin von diesem Leiden gewusst hatte und ob das dann etwa das Motiv für ihren Versuch, aus dem Leben scheiden zu wollen, gewesen war.

      Dr. Lindau schien Gedankenleser zu sein. »Sie denken, dass die Patientin deshalb in Panik und Angst geraten ist und sich aus diesem Grund das Leben nehmen wollte, wie?«, unterbrach er die blitzartigen Überlegungen seines Mitarbeiters.

      »Wäre ein solcher Gedanke denn so abwegig?«, gab Dr. Bernau fragend zurück.

      Dr. Lindau gab keine Antwort. Er zuckte nur mit den Schultern, sah Dr. Bernau auffordernd an und sagte: »Gehen wir, und sehen wir uns mal die Patientin an.«

      Wortlos folgte Dr. Bernau dem Chefarzt, der seiner Sekretärin im Vorbeigehen nur noch sagte, dass er in wenigen Minuten mit der Visite beginnen werde.

      *

      Verwirrt blickte Christine Häußler um sich. Vor wenigen Minuten war sie aufgewacht. In ihrem Kopf summte es wie in einem Bienenhaus. »Wo bin ich?«, kam es flüsternd über ihre Lippen. Sie versuchte nachzudenken, zu überlegen, aber es wollte ihr einfach nicht gelingen, einen klaren Gedanken zu fassen. In ihrem Kopf war eine geradezu schmerzhafte Leere. Ihre Blicke glitten durch den Raum. Es dauerte eine ganze Weile, bis ihr bewusst wurde, dass sie sich im Bett eines Krankenzimmers befand.

      Wie kam sie hierher und weshalb? Diese Frage bohrte hinter ihrer Stirn. Ganz plötzlich aber kam dann die Erinnerung. Vor ihrem geistigen Auge erlebte sie die Stunden des vergangenen Tages. Sie sah sich wieder in ihrer Wohnung im Badezimmer stehen und nach den Schlaftabletten greifen.

      Von einer Sekunde auf die andere wurde sie sich wieder ihres Elends bewusst. Das Gespräch mit Hannes fiel ihr wieder ein, und sie war nahe dran, in Tränen auszubrechen. Die Enttäuschung darüber, dass er sie wie eine heiße Kartoffel hatte fallen lassen, konnte sie einfach nicht überwinden. Sie war für sie noch schlimmer als das Wissen, über kurz oder lang dieser Welt für immer Ade sagen zu müssen. Seit diesem furchtbaren Gespräch mit Hannes wusste sie eigentlich erst richtig, wie unendlich viel ihr dieser Mann bedeutete, und dass ihr ein Leben ohne ihn sinnlos erschien. Was spielte es da noch für eine große Rolle, ob sie nur noch einige Monate zu leben hatte?

      »Warum hat man mich nicht für immer einschlafen lassen?« Flüsternd und in klagendem Ton stellte sich Christine diese Frage. Ernsthaft bedauerte sie, dass man sie wieder ins Leben zurückgeholt hatte. Ihre Gedanken begannen sich zu verwirren, und mehr und mehr versank sie in einen apathischen Zustand, in dem ihr alles gleichgültig wurde.

      Als etwas später die Tür zu ihrem Zimmer aufging und zwei Ärzte an ihr Bett traten, reagierte Christine gar nicht. Sie sah wohl die beiden Mediziner, aber in ihren Augen war ein leerer Ausdruck.

      »Frau Häußler, können Sie mich verstehen?«, sprach Dr. Lindau fragend die Patientin an. »Ich bin der Chefarzt der Klinik am See, in die Sie gestern zu später Stunde eingeliefert wurden.«

      Ausdruckslos sah Christine den Chefarzt an, aber kein Ton kam über ihre Lippen.

      Dr. Lindau gab nicht auf. »Sie haben Schlaftabletten genommen, Frau Häußler«, redete er weiter auf die junge Frau ein. »Warum? Wollten Sie denn nicht mehr leben?«

      Da zuckte es in Christines Zügen. »Hannes«, gab sie flüsternd von sich. Nur dieses eine Wort sagte sie, aber es klang so unendlich verzweifelt, dass Dr. Lindau etwas verwundert den neben ihm stehenden Dr. Bernau ansah. Also nicht wegen der Leukämie, dachte er dabei, sondern anscheinend wegen einer unglücklichen Liebe.

      Dr. Bernau hatte aufgehorcht, als er den Namen hörte. So hieß doch jener eifersüchtige junge Mann, mit dem er fast aneinandergeraten wäre. Hatte sich etwa wegen seines Besuches zwischen den beiden ein ernsthaftes Zerwürfnis entwickelt, das beinahe zu einer Tragödie geworden wäre? Dr. Bernau gefiel das ganz und gar nicht, als ihm diese Frage in den Sinn kam. Er fühlte sich plötzlich irgendwie mitschuldig daran, dass Christine Häußler sich das Leben hatte nehmen wollen.

      Nur Sekunden beschäftigten Dr. Bernau diese kurzen Überlegungen. Den erstaunt fragenden Blick des Chefarztes ignorierend, ergriff er die Initiative und wandte sich an die Patientin. »Frau Häußler, ich bin Doktor Bernau aus der Klinik am See«, sagte er. »Erinnern Sie sich nicht an mich?«

      Wieder blickte Dr. Lindau den jungen Kollegen bei dieser Frage verwundert an, enthielt sich aber einer entsprechenden Frage – im Augenblick jedenfalls.

      In Christines Augen blitzte es ganz schwach auf. »Ja …«, hauchte sie. Im nächsten Augenblick aber starrte sie wieder teilnahmslos vor sich hin.

      »Weshalb haben Sie Schlaftabletten eingenommen?«, wollte Dr. Bernau wissen. »Sagen Sie es mir bitte!«

      Ohne den Arzt anzusehen, stieß Christine nur den Namen Hannes hervor.

      »Wer ist dieser Hannes?«, fragte Dr. Lindau interessiert. Die Frage war mehr an die Adresse Dr. Bernaus gerichtet als an die der Patientin.

      »Es handelt sich um den Freund und wahrscheinlich späteren Ehemann der Patientin«, erklärte Dr. Bernau dem Chefarzt mit verhaltener Stimme.

      »Sie kennen ihn?«, gab Dr. Lindau ebenfalls leise fragend zurück.

      Dr. Bernau nickte nur.

      »Ich glaube, Sie haben mir einiges zu erklären, Herr Kollege«, bemerkte Dr. Lindau und sah Dr. Bernau missbilligend an. »Nach der Visite, wenn ich bitten darf«, fügte er hinzu und wandte sich wieder der Patientin zu. Von diesem Augenblick


Скачать книгу