Die Klinik am See Staffel 3 – Arztroman. Britta Winckler

Die Klinik am See Staffel 3 – Arztroman - Britta Winckler


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schlummerte er ein wenig ein. Es war kein Schlafen, sondern nur eine Art Dösen, ein halb wacher Zustand. Er sprang auch sofort auf, als ihn etwas später eine Schwester holte, damit er seinen turnusmäßigen Rundgang durch die Stationen machte.

      *

      Mit gewohnter Pünktlichkeit erschien Dr. Lindau am Morgen in der Klinik am See. Freundlich und in bester Stimmung begrüßte er seine Sekretärin und die ebenfalls schon anwesende Assistentin.

      »Guten Morgen, Chef«, gaben die beiden Frauen gleichzeitig zurück.

      »Neuigkeiten?« Fragend blickte Dr. Lindau Marga Stäuber an.

      »Ein Neuzugang in der Nacht, wie ich hörte«, erwiderte die Sekretärin. »Das Rapportbuch habe ich Ihnen schon auf den Schreibtisch gelegt.«

      »Danke.« Dr. Lindau betrat sein Büro, das gleichzeitig auch das Sprechzimmer für ambulante Patienten war. Bettina Wendler, seine Assistentin, folgte ihm. »Haben wir Wartezimmerpatienten?«, fragte er die junge Frau, die ihm schon assistiert hatte, als es noch keine Klinik am See gab und er in Auefelden, im Doktorhaus, seine Praxis hatte.

      »Ja, drei …«, antwortete Bettina Wendler und schritt zur Wartezimmertür. »Soll ich die erste hereinlassen?«, fragte sie.

      »Nein, warten Sie noch ein wenig«, erwiderte der Chefarzt und nahm hinter seinem Schreibtisch Platz. »Ich will mir erst das Rapportbuch ansehen.« Das tat er auch sofort, während sich die Assistentin in den Nebenraum zurückzog um einige vor fünf Minuten vom Labor erhaltene Gewebeproben beziehungsweise die Ergebnisse der Untersuchungen dieser Proben zu sortieren.

      Aufmerksam studierte Dr. Lindau die Eintragungen, die in dieser vergangenen Nacht von Dr. Bernau vorgenommen worden waren. Plötzlich stieß er einen erstaunten Ruf aus.

      Bettina Wendler erschien sofort auf der Bildfläche. »Sie haben mich gerufen?«, fragte sie. »Können wir beginnen?«

      »Nein, noch nicht«, gab Dr. Lindau zurück und deutete auf die eine Seite des vor ihm liegenden aufgeschlagenen Rapportbuches. »Haben Sie das gewusst?«, fragte er.

      »Was?« Irritiert sah die Assistentin den Chefarzt an.

      »Dass wir einen Selbstmordfall in die Klinik bekommen haben«, gab Dr. Lindau der Assistentin zu verstehen.

      »Einen Selbstmordfall?«, wiederholte Bettina Wendler erstaunt. Sie schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte sie, »das ist mir neu. Hier aus Auefelden?«

      »Aus Schliersee – eine Frau Christine Häußler«, erwiderte Dr. Lindau.

      »Vergiftung, oder …?«

      »Schlaftabletten laut der Eintragung«, sagte der Chefarzt. Plötzlich stutzte er. »Moment mal«, stieß er hervor. »Christine Häußler – den Namen habe ich doch schon gehört. Da war doch etwas …« Er drückte auf den Knopf des Sprechapparates und bat die sich meldende Sekretärin zu sich herein.

      »Ja?« Fragend blickte Marga Stäuber ihren Chef an.

      »Sagt Ihnen der Name Christine Häußler etwas?«, wollte Dr. Lindau wissen. »Ich meine, dass er mir erst vor Kurzem untergekommen ist.«

      »Ja, natürlich – auf dem Einweisungsschein, den wir gestern von einem Doktor Pröll aus Schliersee erhalten haben«, antwortete die Sekretärin wie aus der Pistole geschossen.

      »Richtig.« Dr. Lindau schlug sich mit der flachen Hand leicht auf die Stirn. »Frau Stäuber, Sie haben ein fast phänomenales Gedächtnis«, lobte er die Sekretärin.

      »Nun ja, als Sekretärin des Chefarztes muss man das ja auch haben«, gab Marga Stäuber geschmeichelt zurück.

      »Wo ist der Einweisungsschein? Bringen Sie ihn mir bitte!«

      Dr. Lindau dachte nach. Er konnte sich im Augenblick tatsächlich nicht richtig an den Grund der Einweisung dieser Christine Häußler erinnern. Gewiss, er hatte den Schein gesehen und gelesen, aber da die Patientin selbst nicht zugegen gewesen war, sondern erst innerhalb dieser Tage kommen sollte, hatte er sein Interesse hinsichtlich der Diagnose eben bis zu dem Erscheinen der Patientin zurückgestellt.

      »Hier, bitte …« Marga Stäuber hatte den verlangten Einweisungsschein geholt und legte ihn dem Chefarzt auf den Schreibtisch.

      »Danke, Frau Stäuber – es ist gut!« Dr. Lindau griff nach dem Schein, und die Sekretärin zog sich wieder zurück.

      »Es scheint sich tatsächlich um dieselbe Frau zu handeln«, murmelte Dr. Lindau vor sich hin. Seine Miene wurde ernst. »Akute myeloische Leukämie«, las er laut die Diagnose von dem Einweisungsschein ab.

      »Leukämie – das ist doch eine Art Blutkrebs«, stieß Bettina Wendler erschrocken hervor.

      »Das ist nicht nur eine Art – es ist Blutkrebs«, erklärte Dr. Lindau mit Betonung seiner Assistentin.

      »Tödlich?«, fragte Bettina Wendler leise.

      »Bei rechtzeitigem Erkennen und entsprechender Behandlung nicht unbedingt«, erwiderte Dr. Lindau. »Lebensbedrohlich wird es aber, wenn eine Schwächung der Abwehrkräfte eintritt. Dann können gewöhnliche, ansonsten relativ harmlose Infektionen zu einem tödlichen Risiko werden.« Mit einer mechanischen Bewegung klappte er das Rapportbuch zu und reichte es seiner Assistentin. »Bringen Sie es bitte wieder nach oben«, bat er sie. »Versuchen Sie auch, den Nachtarzt …, das war Doktor Bernau …, zu erreichen. Falls er sich noch nicht zur Ruhe begeben hat. Ich möchte so bald wie möglich mit ihm sprechen.«

      »Ja, Herr Doktor.« Die Assistentin klemmte sich das Rapportbuch unter den Arm. »Wollen Sie jetzt mit den Wartezimmerpatienten …?«

      »Ja, lassen Sie die erste herein«, fiel Dr. Lindau der Assistentin ins Wort.

      *

      Obwohl sein Nachtdienst schon beendet war und er jetzt eigentlich ein paar Stunden in seinem Bett hätte schlafen können, ließ sich Dr. Bernau dazu noch Zeit. Ihn interessierte jetzt mehr, was Christine Häußler veranlasst hatte, sich das Leben nehmen zu wollen. Kurz vor Ende seines Nachtdienstes war er noch einmal bei ihr im Zimmer gewesen, aber da hatte sie noch geschlafen. Mit Zufriedenheit jedoch hatte er registriert, dass sich der Zustand der jungen Frau wieder normalisiert hatte. Durch die schnellen Gegenmaßnahmen war ihr Selbstmordversuch glücklicherweise gescheitert. Das hieß natürlich nicht, dass sie schon vollkommen außer Gefahr war. Als Arzt wusste er, dass durchaus eine Wiederholungsgefahr bestand, sofern nicht herausgefunden wurde, was für Motive die Patientin zu ihrem Handeln veranlasst hatten. Diese Motive aber interessierten ihn, die wollte er herausfinden.

      Er trank in seinem Dienstzimmer gerade einen Kaffee, den ihm eine Schwester gebracht hatte, als die Assistentin des Chefarztes bei ihm erschien.

      »Nanu, Frau Wendler, haben Sie sich in der Tür geirrt?«, fragte er die junge Frau.

      »Nein«, kam die Antwort, »denn ich habe Sie gesucht, Herr Doktor.«

      In Dr. Bernaus Augen trat ein wacher Ausdruck. Er ahnte sofort, dass das Auftauchen der Chef-Assistentin etwas mit dem Chefarzt zu tun hatte. Ob das dann aber etwas Angenehmes oder Unangenehmes zu bedeuten hatte, war eine andere Sache. »Ehe Sie weitersprechen, Frau Wendler, muss ich Ihnen jedoch sagen, dass ich seit gut zwanzig Minuten dienstfrei bin«, hielt er der Assistentin entgegen. »Ich hatte Nachtdienst.«

      »Ich weiß, Herr Doktor«, entgegnete Bettina Wendler. »Der Chef hat mir aber aufgetragen, Sie zu suchen und zu finden. Tut mir leid, dass ich Sie nun um den sicher verdienten Schlaf bringen muss.«

      Dr. Bernau schluckte. »Na, dann bringen Sie es schon hinter sich«, brummte er. »Was liegt an? Was möchte der Chef von mir?«

      »Er möchte mit Ihnen reden, und zwar so bald wie möglich.«

      »Das heißt sofort«, gab Dr. Bernau zurück. »Worüber?«, fragte er. »Habe ich etwa etwas verbockt?«

      Bettina Wendler musste über Dr. Bernaus Ausdrucksweise lächeln. »Das glaube ich nicht«, erklärte sie. »So weit ich es mitbekommen habe,


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