Die Klinik am See Staffel 3 – Arztroman. Britta Winckler

Die Klinik am See Staffel 3 – Arztroman - Britta Winckler


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Blutanalyse. Aber gerade das interessierte Christine sehr. Ihr erster Gedanke war, bei Dr. Pröll anzurufen und Auskunft darüber zu erbitten. Doch dann überlegte sie es sich und redete sich ein, dass es besser wäre, wenn sie persönlich in die Praxis ging und mit dem Arzt redete.

      Ja, sagte sie sich, das werde ich tun – gleich morgen früh, bevor ich wieder ins Heim nach Rottach fahre. Dazu hatte sie sich nämlich entschlossen, denn sie fühlte sich wieder so weit in Form, um ihren Dienst versehen zu können. Zumindest hatte sich ihr Zustand gebessert, war wieder so, wie in den vergangenen drei Wochen. Diese seltsame Müdigkeit war zwar noch nicht vollständig verschwunden, aber sie fühlte sich wenigstens nicht mehr so elend wie noch am Tag vorher. Auch ihre Kräfte hatten sich wieder einigermaßen normalisiert. Anscheinend hatten die von Dr. Pröll verschriebenen Antibiotika-Tabletten doch ein wenig Wirkung gezeigt. Christine gab sich daher auch der stillen Hoffnung hin, bald von dieser Müdigkeitsphase erlöst zu werden.

      Sehr rasch aber beschäftigten sie andere Überlegungen. Ernsthaft fragte sie sich, ob und weshalb denn überhaupt noch klinische Untersuchungen nötig seien, wenn sie andererseits Grund zu der Hoffnung oder Annahme hatte, ihre augenblickliche Krankheitsphase – sofern der Begriff Krankheit überhaupt anwendbar war – in absehbarer Zeit hinter sich bringen zu können.

      *

      Ein grauer Himmel wölbte sich über der Landschaft, als Christine am nächsten Morgen das Haus verließ. Es fröstelte sie ein wenig, und hastig be­stieg sie ihr Auto und fuhr los. Zwei Minuten später hielt sie vor dem Haus, in dem sich die Praxis von Dr. Pröll befand. Eine eigenartige Unruhe war in ihr, als sie das Wartezimmer betrat, in dem schon zwei Patienten saßen. Irgendwo schlug eine Uhr achtmal.

      Christine hielt sich erst gar nicht im Wartezimmer auf, sondern betrat sofort die Anmeldung, in der eine ältere Sekretärin saß.

      »Ja, bitte?«

      »Ich möchte gern Herrn Doktor Pröll sprechen«, brachte Christine ihren Wunsch vor. »Mein Name ist Häußler, Christine Häußler.«

      »Häußler? Ach ja, ich erinnere mich«, gab die Sekretärin zurück. »Auf Ihren Namen lautete ja die Einweisung in die Klinik am See. Die habe ich aber gestern Abend bereits abgeschickt. Direkt an die Klinik.«

      »Das ist nicht der Grund für mein Kommen«, erklärte Christine. »Ich wollte lediglich Doktor Pröll etwas fragen.«

      »Tut mir leid, aber der Herr Doktor ist nicht hier«, entgegnete die Sekretärin. »Er musste vor zwanzig Minuten zu einem dringenden Hausbesuch, und ich kann Ihnen nicht sagen, wann er wieder zurück sein wird. Wenn Sie bitte im Wartezimmer …«

      »Ich habe wenig Zeit«, fiel Christine der Sekretärin ins Wort. »Können Sie mir vielleicht etwas über die Blutanalyse sagen, die Doktor Pröll vorgestern gemacht hat?«, fügte sie fragend hinzu.

      »Das fällt leider nicht in meine Kompetenz«, belehrte die Sekretärin die frühe Besucherin. »Ich bin hier nur Sekretärin. Aber vielleicht kann Frau Hellberg, das ist die Assistentin von Doktor Pröll …« Sie unterbrach sich und rief laut den Namen der von ihr eben Genannten.

      Sekunden darauf öffnete sich die Tür zum Sprechzimmer, und eine junge Frau im weißen Kittel erschien. »Ja? Was gibt es?«, fragte sie die Sekretärin.

      Die deutete auf Christine. »Frau Häußler möchte den Chef sprechen«, sagte sie. »Es ist wegen der Blutuntersuchung. Vielleicht können Sie …«

      »Ja, ich erinnere mich.« Die Assistentin wandte sich an Christine. »Ich habe die Analyse selbst …, also, mit Herrn Doktor Pröll zusammen vorgenommen«, erklärte sie. »Haben Sie denn keinen Bescheid erhalten?«

      »Doch, das habe ich«, erwiderte Christine. »Ich bin nur nicht schlau daraus geworden. Deshalb wollte ich von Doktor Pröll wissen, was mir fehlt. Aus dem Schreiben geht das nicht hervor.«

      Die Assistentin überhörte die unausgesprochene Frage. »Sie wissen doch, dass Doktor Pröll Sie in die Klinik eingewiesen hat«, entgegnete sie ausweichend. »Dort wird man Ihnen dann erklären …«

      »Ich hätte es aber gern schon jetzt gewusst«, fuhr Christine auf. »Sie als die Assistentin von Doktor Pröll müssten mir doch auch darüber Auskunft geben können. Oder?«

      Die Assistentin wand sich ein wenig. Sicher, sie hätte der jungen Frau das Ergebnis der Blutanalyse sagen können, aber etwas in ihr hemmte sie. Sie brachte es einfach nicht fertig, der sympathischen jungen Frau die schockierende Wahrheit zu sagen. »Das ist Sache des Arztes, Frau Häußler«, erklärte sie der Besucherin. »Ich bin dazu nicht befugt. Das müssen Sie verstehen.«

      Christine bekam einen leichten Schrecken. Die Worte der Assistentin lösten ein banges Gefühl in ihr aus, das ihr sagte, dass mit ihr etwas los sein musste, was nicht auf die leichte Schulter zu nehmen war. Sie dachte an die Einweisung in die Klinik, und ihr wurde klar, dass ein Klinikaufenthalt ein zumindest ernst zu nehmendes Leiden voraussetzte. Was aber war das für ein Leiden, das Dr. Pröll veranlasste, sie zur klinischen Behandlung zu schicken?

      »Sie können natürlich gern auf Doktor Pröll warten, Frau Häußler«, unterbrach die Assistentin die blitzartigen Gedanken Christines. »Ich kann Ihnen aber nicht sagen, wann er kommt.«

      »Schon gut, ich habe verstanden«, stieß Christine erregt hervor. »Sie wollen mir nichts sagen und …«

      »Ich kann nicht«, unterbrach die Assistentin die junge Frau, die ihr leidtat. In ihren Augen war ein Ausdruck des Bedauerns, ja fast des Mitleids.

      Christine erkannte, dass sie jetzt nichts erreichte. »Ich werde morgen wiederkommen«, sagte sie, und es klang resigniert. Grußlos verließ sie Sekunden später die Praxis von Dr. Pröll, setzte sich in ihr Auto und startete zur Fahrt nach Rottach. Schwere Gedanken beschäftigten sie und verstärkten noch ihre innere Unruhe, die sie schon beim Betreten der Praxis befallen hatte. Sie hatte das Gefühl – nein, sie wusste es – dass die Assistentin ihr etwas vorenthalten hatte. Etwas, was sehr ernst sein musste. Was aber war das?

      Diese Frage rumorte von nun an in Christines Kopf herum – während der Fahrt nach Rottach und auch noch den ganzen Vormittag im Heim. Es kostete sie große Mühe, sich einigermaßen auf die verschiedenen Belange des Heims zu konzentrieren und mit ihren Mitarbeiterinnen die einzelnen Phasen des Heimbetriebes zu besprechen. Erst als die Mittagszeit begann, fand sie etwas Ruhe in ihrem Büro. Die Gedanken an eine ihr noch nicht bekannte Krankheit, die anscheinend in ihr steckte, blieben jedoch.

      Ein Klopfen schreckte Christine aus ihren Überlegungen hoch. Es war ihre Mitarbeiterin Hannelore, die das Büro betrat.

      »Ein Doktor Bernau möchte zu Ihnen«, sagte sie. »Haben Sie Zeit?«

      »Bernau? Kenne ich nicht«, entgegnete Christine mit schwacher Stimme. »Was will er? Ist er der Vater eines unserer Schutzbefohlenen?«, fragte sie.

      Hannelore zuckte mit den Schultern. »Er sagte nur, dass er Sie sprechen möchte, sofern Sie ein paar Minuten Zeit für ihn hätten.«

      Christine überlegte kurz. Große Lust hatte sie nicht, sich jetzt in ihrer deprimierten Stimmung mit einem fremden Mann zu unterhalten. »Also meinetwegen«, entschloss sie sich dann aber, »bitten Sie ihn herein!«

      Hannelore nickte nur, öffnete die Tür, bat den Besucher einzutreten und entfernte sich wieder.

      Christine sah den Besucher irritiert an. Etwas an ihm kam ihr so bekannt vor. »Sie wollten mich sprechen, Herr …?«, kam es zögernd über ihre Lippen.

      »Bernau ist mein Name – Doktor Werner Bernau«, kam die Erwiderung. »Da ich zufällig in der Nähe war, dachte ich mir, dass es nicht schaden könnte, mich einmal nach Ihrem Befinden zu erkundigen.« Natürlich stimmte es nicht, dass Dr. Bernau nur zufällig in Rottach war. Es hatte ihn einfach danach gedrängt, diese junge Frau, die eine so ungeheure Ähnlichkeit mit Vera hatte, wiederzusehen.

      »Mein Befinden?«, wiederholte Christine fragend und überlegte blitzschnell, woher ihr dieser gut aussehende Mann so bekannt vorkam. »Wie kommen Sie darauf, Herr Doktor?« Etwas verwirrt sah sie den


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