Die Klinik am See Staffel 3 – Arztroman. Britta Winckler

Die Klinik am See Staffel 3 – Arztroman - Britta Winckler


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zu bedanken«, gab der Chefarzt einlenkend zurück. »Ja, das war’s dann wohl.« Ostentativ griff er nach einer auf dem Schreibtisch liegenden Krankenakte und gab damit Dr. Bernau zu verstehen, dass er die kurze Unterredung als beendet betrachtete.

      *

      Mit nachdenklichem Gesichtsausdruck versah Christine Häußler ihren gewohnten Dienst. Ihre drei ihr unterstellten Mitarbeiterinnen in dem Kinderferienheim in Rottach machten sich ihre eigenen Gedanken über das veränderte Wesen der Heimleiterin. Neugierige Fragen wagten sie aber nicht zu stellen.

      Christine, die Kinder sehr gernhatte, war geradezu froh, dass das Heim in diesem Monat nicht voll belegt war. Die laute Lebendigkeit der Kinder, die übersprudelnde Heiterkeit beim Spielen oder bei anderen Aktivitäten hätten sie diesmal doch gestört. Hatte sie sich bisher sehr intensiv um die Betreuung ihrer Schutzbefohlenen gekümmert und mit ihnen gescherzt und bei den Spielen mitgemacht, so hielt sie sich jetzt aber zurück. Die meiste Zeit des Tages verbrachte sie in ihrem Büro und überließ es ihren Mitarbeiterinnen, sich der Jungen und Mädchen anzunehmen, die für zwei Wochen in dem von ihr geleiteten Heim untergebracht waren.

      Die verschiedensten Gedanken gingen ihr durch den Kopf, seit diesem Schwächeanfall am Morgen. Darüber machte sie sich Sorgen.

      Es war das erste Mal gewesen, dass sich ihre schon seit einigen Wochen bestehende merkwürdige Müdigkeit in einem leichten Ohnmachtsanfall ausgewirkt hatte. Das beunruhigte sie. Bisher hatte sie diese seltsame Müdigkeit, die auch mit einem ständigen Fieber, zumindest mit erhöhter Temperatur verbunden war, als vorübergehende Unpässlichkeit betrachtet. Deswegen einen Arzt zu konsultieren, war ihr nicht in den Sinn gekommen, weil sie der Meinung war, dass diese Zustände sich von allein wieder verflüchtigen würden. Nun aber spielte sie ernsthaft mit dem Gedanken, zumindest ihren Hausarzt Dr. Pröll aufzusuchen. Sehr bald sogar wollte sie das tun, denn ihre Müdigkeit und die damit verbundene ständige erhöhte Temperatur zeigte auch bedenkliche Auswirkungen in ihrem privaten Leben – im Zusammenhang mit Hans-Günther Hornegg nämlich. Seit etwa zwei Wochen war ihre Beziehung zu dem 28-jährigen Inhaber eines Sportartikelgeschäftes in Rottach irgendwie gespannt. Zumindest von seiner Seite aus. Hans-Günther Hornegg – sie nannte ihn schlicht Hannes – hatte vor einem knappen halben Jahr ihr Herz erobert. Er war ihre erste große Liebe. Sie mochte ihn sehr, fühlte sich bei ihm geborgen und hatte sich auch schon mit dem Gedanken vertraut gemacht, über kurz oder lang auch seine angetraute Ehefrau zu werden. Er war der Typ des Urbayern, vor Kraft, Energie und Gesundheit strotzend – ein Mann, der außerdem gut aussah und den sich so manches Mädchen als Partner fürs Leben gewünscht hätte.

      Christine sah es auch als Glück an, dass Hannes ausgerechnet sie zur Frau haben wollte, dass er sie liebte. Dass seine Liebe zu ihr manchmal ziemlich anstrengend für sie war, weil sie forderte und sich oft geradezu besitzergreifend zeigte, hatte sie bisher keineswegs stark gestört. Jedenfalls nicht bis vor wenigen Wochen, als ihre seltsame Müdigkeitszustände begonnen hatten. Sie war schließlich eine Frau, die es als wohltuend erregend fand, von dem Mann, den sie selbst auch sehr lieb hatte, begehrt zu werden. Seit aber vor Kurzem diese sonderbare Müdigkeit über sie gekommen war, schien eine Wandlung in ihr vorgegangen zu sein. Nach wie vor galt ihre Zuneigung Hannes, doch in den vergangenen zwei bis drei Wochen waren ihr Hannes’ Zärtlichkeiten und sein Verlangen nach Liebe doch etwas zu viel geworden. Sie war wegen ihrer Müdigkeit und ihrer schwachen Fieberanfälle nicht in der Lage gewesen, auf seine Wünsche einzugehen. Hatte er früher öfters zumindest die Wochenenden gemeinsam mit ihr verbracht, ob nun in ihrer kleinen gemütlichen Wohnung oder aber während eines Wochenendausfluges in irgendeiner Pension im Oberbayerischen oder sonst wo, so war ihr seit Kurzem nicht danach zumute. Natürlich tat es ihr irgendwie leid, immer wieder abweisend zu sein und zu sagen: »Hannes, bitte, warte noch, nicht heute, hab etwas Geduld, ich fühle mich nicht wohl …«

      Es war Hannelore, die älteste der drei Mitarbeiterinnen, die Christine erschrocken anstarrte, als sie zu ihr wegen irgendeiner Entscheidung ins Büro kam. »Um Himmels willen, Frau Häußler, sind Sie krank?«, rief sie fragend aus. »Sie haben ja Fieber. Das sieht man Ihnen an.«

      In Christine wehrte sich etwas dagegen, sich als Kranke vor einer ihrer Untergebenen zu betrachten. Ein gequältes Lächeln huschte um ihre Mundwinkel. »Ich fühle mich halt nicht richtig wohl, Hannelore«, stieß sie mit heiserer Stimme hervor. »Wahrscheinlich hat mich eine kleine Grippe gepackt. Oder ein Virus, von dem ja die unterschiedlichsten Gattungen in der Luft sind. Aber das wird schon wieder vergehen.«

      »Sie fühlen sich nicht wohl?«, gab Hannelore zurück. »Das scheint mir doch stark untertrieben zu sein. Sie fiebern ja hochgradig und gehören ins Bett.«

      »Ich kann doch nicht ins Bett gehen, wenn es hier genug zu tun gibt«, widersprach Christine mit gepresst klingender Stimme. »Wir haben immerhin zweiundzwanzig Kinder zu beaufsichtigen und zu betreuen.«

      »Das schaffen wir drei auch allein, Frau Häußler«, gab Hannelore, ein 19-jähriges vollbusiges und sehr resolutes Mädchen energisch zurück. »Sie aber sollten jetzt nach Hause fahren, sich ins Bett begeben und auch den Arzt kommen lassen.«

      »Den Arzt hatte ich mir ohnehin für morgen vorgenommen«, entgegnete Christine leise.

      »Nun gut, tun Sie das!«, wurde Hannelore energisch. »Jetzt aber fahren Sie bitte nach Hause, bevor Sie hier zusammenklappen! Viel fehlt dazu nicht, wenn ich Sie so ansehe. Wir kommen hier schon klar. Sie können sich auf uns verlassen«, fügte sie mit Betonung hinzu.

      Christine überlegte sekundenlang. Ihr war wirklich sterbenselend zumute. Sie sah auf die Uhr. »Vielleicht haben Sie recht, Hannelore«, ergriff sie dann wieder das Wort. »Zwei Stunden noch bis Feierabend«, stieß sie hervor. »Ich bin wirklich so ziemlich fix und fertig«, fuhr sie fort. »Es ist tatsächlich besser, wenn ich …«

      *

      Zum wiederholten Male blickte Alma Wiese aus dem Fenster ihrer in der ersten Etage gelegenen Wohnung auf die Straße hinunter. Ihr Interesse galt dem Wagen ihrer Wohnungsnachbarin, und sie wunderte sich, dass das Auto noch immer vor dem Haus stand. Sie kannte Christine Häußler und wusste, dass diese immer fast auf die Sekunde genau das Haus verließ, um zum Dienst nach Rottach zu fahren. Alma Wiese konnte sich in den zwei Jahren, die Christine nun schon neben ihr wohnte, nicht erinnern, dass die junge Frau auch ein einziges Mal verspätet zur Arbeit gefahren wäre. Ausgenommen davon waren Christines freie Tage, die sie in regelmäßigen Abständen hatte. Von diesen freien Tagen aber erfuhr Alma Wiese immer am Abend vorher – von Christine selbst.

      »Morgen habe ich frei und werde etwas länger schlafen, Frau Wiese.« So ähnlich jedenfalls hatte Christine stets ihren freien Tag angekündigt, weil sie am folgenden Morgen nicht durch das Klingeln der Türglocke geweckt werden wollte.

      Das aber tat Alma Wiese täglich, wenn sie vom nahegelegenen Bäcker die frischen Brötchen geholt hatte – für sich und auch für Christine. Deren Brötchen legte sie dann immer vor Christines Wohnungstür ab und läutete dreimal.

      Das hatte sie auch an diesem Morgen getan und sich wieder in ihre eigene Wohnung zurückgezogen, hatte gefrühstückt und sich dann ans Fenster gesetzt und wie üblich auf Christines Abfahrt gewartet. Beiden war es im Laufe der Zeit zu einer lieben Gewohnheit geworden, sich bei der Abfahrt noch einmal zuzuwinken.

      Es war daher nicht unverständlich, dass Alma Wiese zumindest nachdenklich wurde, als der seit Langem gewohnte Tagesablauf plötzlich eine Störung erhielt. Diese Nachdenklichkeit wurde aber auch sehr schnell zur Besorgnis.

      »Ob sie etwa krank ist?«, murmelte Alma Wiese fragend.

      Minutenlang dachte sie darüber nach. »Das will ich jetzt aber wissen«, fuhr sie resolut in ihrem leisen Selbstgespräch fort. »Vielleicht braucht sie Hilfe.« Ihr Blick fiel auf den Telefonapparat. Doch dann schüttelte sie den Kopf, straffte sich und verließ mit energischen Schritten ihre Wohnung. Vor Christines Wohnungstür blieb sie kurz überlegend stehen und drückte dann aber auf die Türklingel. Einmal, zweimal und ein drittes Mal. Gespannt lauschte sie, konnte aber nichts hören. Ihre Sorge nahm zu. Sie läutete Sturm. Fast zehn Sekunden lang nahm sie den Finger nicht von der Klingel.

      Plötzlich glaubte sie etwas


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