Der Bergpfarrer Staffel 8 – Heimatroman. Toni Waidacher
ihn so schnell kaum wieder geben.
Christel antwortete nichts auf seine Worte. Sie hielt die Augen geschlossen und genoß es, in den Armen des Mannes zu liegen, der sich so klammheimlich in ihr Herz geschlichen hatte.
Sie wollte nicht an morgen denken, nicht daran, was sein würde, wenn die Kirchweih zu Ende war, und sie mit dem Karussell auf den nächsten Platz fuhren. Jetzt und hier wollte sie dieses unsagbare Glücksgefühl auskosten.
Dabei dachte sie auch nicht mehr an Karsten Steiner, der seinen Maßkrug ausgetrunken hatte und das Paar nicht mehr aus den Augen ließ. Brennende Eifersucht loderte in dem jungen Burschen auf, und am liebsten wäre er hinübergegan-
gen und hätte das Madl aus den Armen dieses dreisten Kerls geris-
sen.
Aber er wußte, daß er sich damit sämtliche Sympathien bei Christel verspielen würde. Sie war ja frei und konnte tun und lassen, was sie wollte. Auch wenn sie etwas tat, das ihn unendlich schmerzte.
Schließlich hielt Karsten es nicht mehr länger aus. Er stand auf und verließ das Zelt. Wie benommen lief er über den Festplatz, ohne wahrzunehmen, daß er die Leute anrempelte, die ihm nicht schnell genug aus dem Weg gingen. Die bösen Blicke, die er sich dabei einhandelte, ignorierte der Schaustellergehilfe.
Davon ahnte Christel Ottinger indes nichts, als sie mit Thomas Runde um Runde auf der Tanzfläche drehte. Es war viel zu schön, als daß sie an etwas anderes denken konnte, und schon gar nicht an Karsten Steiner, mit dem sie eigentlich hergekommen war.
Thomas hatte sich ihr inzwischen vorgestellt. Sie waren zwischendurch an den Tresen gegangen und hatten etwas getrunken.
»Prost, Christel«, sagte er. »Ich heiß Thomas.«
Die junge Frau hatte ihn erstaunt angesehen.
»Woher wissen Sie, wie ich heiß...?«
Der Bauernsohn lächelte.
»Das erzähl’ ich dir später«, erwiderte er und ging zum vertraulichen Du über.
Er nahm sie bei der Hand, als sie ausgetrunken hatte, und zog sie wieder auf die Tanzfläche. Erst als die Kapelle das letzte Stück gespielt hatte, setzten sie sich erschöpft an einen Tisch.
Inzwischen war es bedeutend leerer geworden. Die meisten Besucher waren aufgebrochen, nur einige wenige Hartnäckige blieben noch sitzen. Und einige Schausteller fanden sich zum Feierabend
ein.
Christel schaute auf die Uhr. Erschrocken stellte sie fest, daß es schon weit nach Mitternacht war.
»Ich glaub’, jetzt muß ich aber gehn«, sagte sie.
Thomas sprang sofort auf.
»Ich bring’ dich«, sagte er.
Draußen waren kaum noch Leute unterwegs, die Buden und Fahrgeschäfte hatten geschlossen, und Dunkelheit lag über dem Festgelände. Nur vor vereinzelten Wohnwagen brannten ein paar Lampen.
»Du wolltest mir noch erzählen, woher du meinen Namen weißt«, sagte Christel, als sie nebeneinander hergingen.
Es war ganz natürlich, daß sie ihn auch duzte. Beinahe drei Stunden hatten sie zusammen verbracht, und ihr kam es vor, als kenne sie ihn schon lange Zeit.
Thomas Hofstetter schmunzelte. Er war stehengeblieben und nahm ihre Hand.
»Weißt’, daß ich mich schon im letzten Jahr in dich verliebt hab’«, gestand er der völlig überraschten Schaustellertochter. »Da hab’ ich schon immer an eurem Karussell gestanden und gehört, wie dein Vater mit dir geredet hat.«
»Im letzten Jahr schon? Aber warum...«
»Warum ich’s dir erst jetzt gesteh’?«
Christel nickte, Thomas zuckte die Schutern.
»Vielleicht, weil ich’s mich vorher net getraut hab’«, antwortete er mit einem Lächeln.
»Und jetzt, jetzt traust’ dich?« fragte Christel Ottinger und sah ihn mit glänzenden Augen an.
Thomas hielt immer noch ihre Hand. Mit der anderen nahm er ihren Kopf und zog ihn an sich. Christel schloß die Augen, als sie seinen Mund auf ihren Lippen fühlte.
»Ja«, sagte er dann, mit rauher Stimme, »jetzt trau’ ich mich, dir zu sagen, daß du das wunderbar-
ste Madl bist, dem ich je begegnet bin. Noch keines hat mein Herz mehr durcheinander gebracht, als du.«
In ihrem Kopf brauste es, das Herz schlug bis zum Hals hinauf, und ihr Blut pulsierte in den Adern. Christel spürte, daß sie sich verlor. Verlor in eine Liebe, die aussichtslos war, denn jetzt, ganz plötzlich, wurde ihr bewußt, daß sie und Thomas aus gänzlich verschiedenen Welten kamen.
Und dennoch erwiderte sie seinen Kuß, leidenschaftlich und voller Hingabe.
Dann riß sie sich schnell von ihm los und lief in das Dunkel, zwischen dem Karussell und den beiden Wohnwagen. Thomas blieb stehen und sah ihr nach, bis sie verschwunden war. Dann drehte er sich langsam um und ging zu seinem Auto.
Christel war vor ihrem Wohnwagen stehengeblieben und blickte der großen schlanken Gestalt hinterher. Sie war wie betäubt und wußte nicht wohin mit ihren Gefühlen. Immer wieder fragte sie sich, ob es richtig war, sich in Thomas Hofstetter zu verlieben. Oder beging sie einen Fehler, den sie schon bald bereuen würde?
Eine ganze Weile stand sie so da, dann öffnete sie seufzend die Tür des Wohnwagens und stieg ein.
Daß Karsten Steiner in dem anderen Wagen am Fenster stand und sie aus brennenden Augen beobachtete, ahnte sie nicht. Christel hatte nur noch für einen Mann Gedanken, und das war nicht der Schaustellergehilfe.
*
Die drei Männer hatten sich eine geschützte Stelle im Wald ausgesucht. Die Gewehre standen, gesichert an einem Baum gelehnt, neben ihnen.
»Mitternacht«, sagte Max Trenker, als die Kirchturmuhr in St. Johann schlug.
Bis hierher konnten sie in der Stille der Nacht den Glockenschlag hören.
»Hoffentlich kommt er überhaupt«, meinte Christian Ruland. »Net, daß wir uns die Nacht umsonst um die Ohren schlagen.«
»Der kommt«, ließ sich sein Schwiegervater vernehmen.
Josef Breithammer sah seinen Schwiegersohn entschuldigend an und zuckte die Schultern.
»Ich weiß ja, wie’s bei mir war«, sagte der ehemalige Wilddieb. »Wenn’s einen erst gepackt hat, dann kommt man nur schlecht davon los.«
Maria Ruland hatte ihnen Thermoskannen mit Kaffee und belegte Brötchen mitgegeben. Christian verteilte die Päckchen, während sein Schwiegervater den Kaffee einschenkte.
»Zum Glück haben wir gutes Wetter«, murmelte der Polizeibeamte und biß in das Brot. »Es hätt’ ja auch regnen können.«
Schon bei dem Gedanken daran, lief es ihm fröstelnd über den Körper, und mißmutig blickte er in die Finsternis vor sich.
Schlimm genug, daß er jetzt hier im Wald steckte, und Claudia auf ihn warten mußte!
Immerhin hatten sie zusammen im Pfarrhaus zu Abend gegessen. Angesichts der Tatsache, daß ihr Liebster noch einmal fortmußte, hatte sich die Journalistin entschlossen, Sebastian Gesellschaft zu leisten. Der Bergpfarrer, der ein geistreiches Gespräch zu schätzen wußte, hatte sich darüber gefreut. Er hatte nicht oft Gelegenheit, mit der hübschen Freundin seines Bruders zu plaudern.
Na, wenigstens hatten die zwei einen angenehmen Abend, dachte Max und trank einen Schluck Kaffee.
Sie hatten sich unweit der Stelle versteckt, an der Nero die Überreste des erlegten Wildes gefunden hatten. Von hier aus war es nicht sehr weit bis zur Kreisstraße, und mit dem Auto konnte man ein gutes Stück noch in den Wald hineinfahren. Das war zwar nicht erlaubt, aber daß sich die Leute nicht an dieses Verbot