Der Bergpfarrer Staffel 8 – Heimatroman. Toni Waidacher
deine Tochter gern’ zur Frau nehmen. Und glaub’ net, daß ich’s auf das Erbe abgesehen hab’. Du weißt, daß ich das meiste von meinem Lohn spar’. Eines Tages möcht’ ich nämlich ein neues Karussell kaufen, ein modernes, so eines, wo die Kinder am liebsten gar net mehr aussteigen wollen.«
Wenzel Ottinger nickte.
Ja, an so ein Karussell hat er auch schon gedacht. Er wußte selbst, daß sein altes Kinderkarussell, mit dem schon sein Vater über die Plätze gezogen war, keine große Attraktion mehr darstellte. Mehr, als die ganz Kleinen konnte er damit nicht gücklich machen. Die Jugendlichen wollten Fahrgeschäfte, mit rasenden Geschwindigkeiten und nervenkitzelnden Schikanen.
Nur, wie sollte er so etwas bezahlen?
Keine Bank der Welt würde es ihm finanzieren. Rücklagen hatte er nicht, nur ein kleines Häuschen im Allgäuischen, wohin er und Christel sich zurückzogen, um zu überwintern, wenn die Saison vorbei war. Doch das Haus stellte einen kaum ausreichenden Wert dar. Als Sicherheit für einen Millionenkredit, den er für ein modernes Karussell benötigte, würde es einer Bank bestimmt nicht reichen. Hinzu kam, daß er viel zu alt war, um noch so einen Neuanfang zu wagen, nicht zu vergessen, die vielen Freizeitparks, die mit ihren Attraktionen, eine recht große Konkurrenz für die Schausteller bedeuteten. Doch die jungen Leute, die konnten es durchaus schaffen.
Mit einem Mal schien die Zukunft doch nicht mehr so düster, wie sie noch am Morgen ausgesehen hatte, als Christel ihm von den mageren Einnahmen des Vortages erzählte.
In Gedanken malte Wenzel sich schon aus, wie er sich ganz aus dem Geschäft zurückzog und einen ruhigen Lebensabend in seinem Haus verbrachte, während Tochter und Schwiegersohn über die ganz großen Plätze zogen – München, Stuttgart, vielleicht sogar bis nach Hamburg hinauf, wo man noch den Winterdom mitnehmen konnte.
Er würde derweil zu Hause in seinem Garten sitzen und nur zu seinem Vergnügen, das alte Karussell für die Nachbarskinder laufen lassen.
Wenzel Ottinger schmunzelte bei dieser Vorstellung. Vielleicht hatte er ja auch noch das Glück, Großvater zu werden...
Aber das stand alles noch in den Sternen. Bisher hatte Christel sich Karsten Steiners Werben widersetzt. Vielleicht mußte er, als Vater, mal mit der Tochter reden.
Er beugte sich zu seinem Gehilfen.
»Also, versuch’ dein Glück«, munterte er ihn auf. »Ich sprech’ mit der Christel. Wie gesagt – ich hab’ nix dagegen, wenn aus euch ein Paar wird.«
Der junge Bursche strahlte.
»Dann weiß ich auch schon, was ich ihr zum Geburtstag schenk«, sagte er. »Bestimmt gibt’s in Sankt Johann ein Juweliergeschäft...«
*
Anton Kaiser schlug mit der Faust an die Tür des Wohnwagens, in dem seine Söhne lebten.
»Ja, Himmelherrgottnocheinmal, wollt ihr Faulpelze heut’ gar net aufstehen?« brüllte er. »Ist ja schon gleich Mittag!«
Nach einer Weile rührte sich drinnen etwas. Kurz darauf wurde die Tür geöffnet, und Wolfgang streckte verschlafen seinen Kopf heraus.
»Kann man net einmal in Ruhe ausschlafen, wenn man den ganzen Tag gearbeitet hat?« fragte er gähnend.
»Gearbeitet?« höhnte sein Vater. »Daß ich net lach’! Im Festzelt seid ihr gesessen und habt euch vollaufen lassen.«
»Das stimmt net«, protestierte der Sohn. »Bloß eine Maß haben wir getrunken.«
Er drehte den Kopf nach hinten.
»Stimmt’s, Tobias?«
Anton Kaiser hört ein zustimmendes Brummen.
»Trotzdem«, sagte er ärgerlich, »ihr könnt’ net bis in die Puppen schlafen und eurer Mutter und mir die ganze Arbeit überlassen. Also, beeilt euch, die Gewinne an der Losbude müssen aufgefüllt werden, und du, Wolfgang, mußt die Gewehre noch reinigen. Oder hast’ das etwa schon gestern abend gemacht?«
Der Älteste der Brüder schüttelte den Kopf, doch bevor sein Vater erneut schimpfen konnte, winkte er ihm zu. »Komm mal rein«, sagte er und schaute sich nach allen Seiten um. »Wir wollen dir was zeigen.«
Neugierig geworden kletterte der Alte in den Wohnwagen. Tobias hatte sich aus seinem Bett gewälzt, und jetzt standen seine beiden Söhne grinsend vor ihm.
»Was tut ihr denn so geheimnisvoll?« fragte Anton Kaiser ungehalten. »Habt ihr wieder was ausgefressen?«
Warnend hob er die Hand.
»Paßt bloß auf«, sagte er. »Der Polizist hat euch ohnehin im Visier. Denkt an das letzte Jahr...«
Wolfgang schüttelte den Kopf.
»Keine Angst, wir sind nirgendwo eingestiegen«, erwiderte er. »Wir haben bloß dafür gesorgt, daß unser Speisezettel ein bissel abwechslungsreicher wird.«
Damit zog er die Tür des Kühlschranks auf.
Ihr Vater machte große Augen. In dem recht geräumigen Schrank lagen mehrere Fleischstücke, fein säuberlich portioniert.
»Was ist das denn?« wollte der Alte wissen.
»Ein Rehbraten«, erklärte Tobias grinsend. »Was hältst’ davon, hm? So richtig schön, mit leckerer Sahnesauce und Blaukraut. Da kann die Mama uns doch ein herrliches Abendessen zubereiten.«
Anton Kaiser leckte sich die Lippen.
»Hat euch jemand gesehen?« fragte er.
»Sind wir blöd?« gab Wolfgang zurück. »Natürlich net. Dazu sind wir doch viel zu clever. Und überhaupt, bevor der Förster vom Ainringerwald darauf kommt, daß in seinem Revier gewildert wird, sind wir doch längst wieder über alle Berge.«
»Seid aber trotzdem vorsichtig und übertreibt’s net«, befahl ihr Vater. »Wie gesagt – dieser Trenker hat ein Aug’ auf euch.«
»Keine Angst«, versicherte Wolfgang großspurig. »Der merkt nix.«
Er reckte sich und gähnte vernehmlich.
»So, jetzt brauch’ ich aber erstmal einen Kaffee und was zu beißen.«
»Eure Mutter wartet längst mit dem Frühstück«, tadelte Anton Kaiser seine Söhne. »Und dann geht’s an die Arbeit!«
Tobias öffnete das Abteil im Wohnwagen, in dem sich eine enge Dusche befand. Während er das Wasser über seinen Körper laufen ließ, dachte er an den nächtlichen Streifzug zurück. Es hatte wunderbar geklappt. Schon nach einer knappen Stunde war ihnen das Reh vor die Flinte gelaufen. Noch an Ort und Stelle hatten sie es ausgenommen und abgezogen. Das Fell und das Gekröse hatten sie vergraben und später, zurück in ihrem Wohnwagen, das Tier zerteilt.
Wolfgang saß schon beim Frühstück, als der jüngere Bruder hinzu kam. Der Ältere hielt nicht viel von Wasser und Seife, und es bedurfte schon einiger heftiger Ermahnungen seitens der Mutter, damit er nicht ganz so ausschaute, wie ein Landstreicher.
Tobias hatte gerade Platz genommen, als ein Auto über den Kirchweihplatz gefahren kam. Der junge Bursche wandte kurz den Kopf, und sein Herz schlug schneller, als er erkannte, wer in dem Fahrzeug saß.
Christel Ottinger.
Von allen Madln, die Tobias Kaiser kannte, begehrte er Christel am meisten. Aber bisher hatte er nicht gewagt, sich ihr zu offenbaren, und schuld daran war dieser elendige Streit, den der Vater mit dem alten Ottinger ausfocht, wo immer sich die beiden begegneten. Dabei wußten weder der eine, noch der andere, warum sie sich dauernd beharken mußten. Tobias glaubte sogar zu wissen, daß seinen und Christels Vater früher eine enge Freundschaft verbunden hatte. Er meinte sich zu erinnern, damals sehr oft mit Christel gespielt zu haben, wenn sie sich während der Saison begegneten.
Aber damals waren sie eben noch Kinder, und inzwischen war Christel eine gestandene Frau. Und eine hübsche dazu. So eine, wie man sie sich als Mann nur wünschen konnte!