Emotional gesund leiten. Peter Scazzero

Emotional gesund leiten - Peter  Scazzero


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wieder dem wirklich Wichtigen zuwenden konnten: der Gemeindearbeit. Womit ich nicht rechnete, war, dass Gott uns in dieser Zeit begegnen würde. Er tat es – und es hat unser Leben verändert.

      Was ich erlebte, nenne ich meine zweite Bekehrung. Und wie bei der ersten erlebte ich auch diesmal: Ich war blind gewesen und hatte plötzlich neuen Durchblick. Gott öffnete mir die Augen und ich erkannte: Ich bin nicht nur Arbeiter in Gottes Weinberg. Ich bin sein geliebtes Kind. Entscheidend ist nicht, was ich tue, entscheidend ist, wer ich bin. Mit dieser Erkenntnis kam die Erlaubnis, schwierige Emotionen wie Zorn oder Trauer zuzulassen.

      Außerdem wurde mir klar, wie viel Einfluss meine Ursprungsfamilie auf mein Leben hatte, auf meine Ehe, auf die Weise, wie ich die Gemeinde führte. Anfangs erschreckte mich diese Entdeckung; aber bald fand ich darin eine neue Freiheit. Ich konnte aufhören, jemand zu sein, der ich nicht bin, und machte erste Schritte darin zu lernen, der echte Pete Scazzero zu sein – mit meiner einmaligen Kombination aus Stärken, Leidenschaften und Schwächen.2

      Aber diese zweite Bekehrung konfrontierte mich auch mit schmerzhaften Wahrheiten, die ich nicht länger leugnen konnte. Ich war auf dem emotionalen Entwicklungsstand eines Säuglings, versuchte aber, andere zu Müttern und Vätern im Glauben heranzubilden. Es gab weite Bereiche in meinem Leben, die von Jesus Christus überhaupt noch nicht berührt waren. Ich konnte die einfachsten Dinge nicht: wirklich präsent und wach sein oder einem anderen wirklich zuhören.

      Fast zwanzig Jahre lang hatte ich die emotionale Komponente in meinem geistlichen Wachstum und in meiner Beziehung zu Gott ignoriert. Ich mochte noch so viele Bücher lesen oder Tage im Gebet verbringen – solange ich nicht zuließ, dass Christus selbst mein Leben in der Tiefe weit unter der Oberfläche veränderte, würde ich in meinem Schmerz und meiner Unreife gefangen bleiben.

      Ich entdeckte, dass mein Leben einem Eisberg glich – nur ein kleiner Teil war mir bewusst, aber unter der Wasseroberfläche gab es einen weitaus größeren und meist unerforschten Kontinent. Und dieser unerforschte Kontinent hatte sich höchst unheilvoll auf meine Ehe und auf meinen Führungsstil ausgewirkt. Erst als ich verstand, dass die verborgenen, unterirdischen Aspekte meines Lebens noch gar nicht in Kontakt mit Jesus gekommen waren, entdeckte ich auch, dass geistliche Reife untrennbar verbunden ist mit emotionaler Gesundheit – es ist unmöglich, im Glauben zu reifen und gleichzeitig emotional stehen zu bleiben.

      Das Eisberg-Modell

      Was unter der Oberfläche ist

      Es folgten Jahre, in denen Geri und ich unser Leben und unseren Dienst in der Gemeinde stark veränderten. Wir arbeiteten nur noch fünf Tage pro Woche, nicht sechseinhalb. In allem, was wir für Gott taten, war unser wichtigstes Anliegen, aus der Liebe und in Liebe zu handeln. Wir mussten lernen, was das heißt. Wir nahmen eine Menge Tempo aus dem Gemeindeleben in New Life heraus. Wir unternahmen unsere eigene Entdeckungsreise auf den unbekannten Kontinent unter der Oberfläche – und wir luden die Mitarbeiter der Gemeinde ein, uns dabei zu begleiten. Das Ergebnis war nichts Geringeres als eine kopernikanische Wende – im Blick auf meinen eigenen Weg mit Christus, auf meine Familie, auf meine Leitungsaufgabe. Die Gemeinde New Life Fellowship blühte wieder auf.

      Bekehrung 3: Von Überaktivität zu entschleunigter Spiritualität

      Als ich zum Glauben kam, verliebte ich mich in Jesus. Zeit mit ihm zu haben, Gebet und Bibellesen waren mir wichtig. Aber schon sehr bald überschattete meine Aktivität (was ich für Jesus tat) die kontemplative Seite meines Lebens (einfach da sein vor Jesus, bei Jesus). Und es dauerte nicht lange, da war ich in zahllose Aktivitäten für Gott eingebunden, die sich aber nicht mehr aus meinem Sein bei und vor Gott speisen konnten.

      Meine dritte Bekehrung erlebte ich in den Jahren 2003 bis 2004, in einer viermonatigen Sabbatzeit. In dieser Zeit besuchten Geri und ich eine Reihe von Klöstern (protestantische, orthodoxe und römisch-katholische) und ließen uns ein auf den klösterlichen Lebensrhythmus von Einsamkeit, Schweigen, Schriftbetrachtung und Gebet. Am Ende unserer Sabbatzeit hatten wir einige radikale Veränderungen vorgenommen, um unser Leben zu entschleunigen. Unsere wichtigsten geistlichen Übungen wurden jetzt Zeiten des Alleinseins, Schweigen, das Beten des Stundengebets und eine bewusste Gestaltung des Sonntags. Die Freude und Freiheit, die wir darin fanden, waren so groß, dass wir uns fragten, ob Gott uns vielleicht aus dem intensiven Großstadtleben in New York City heraus und an einen ruhigeren und beschaulicheren Ort rief. Aber sehr bald wurde deutlich, dass eben diese geistlichen Übungen grundlegend dafür waren, dass wir in Queens bleiben und die Gemeinde weiterhin leiten konnten.

      Ich hörte auf, darum zu beten, dass Gott segnete, was ich mir vornahm. Ich betete stattdessen, dass sein Wille geschah.

      Ich lernte, Gott selbst und seine Nähe im Gebet zu suchen – nicht nur seine Segnungen.

      Ich arbeitete weniger. Gott arbeitete mehr.

      Mein Bild von Gott entwickelte sich: Ich sah ihn jetzt als immanent und transzendent und erkannte mehr und mehr, dass er ebenso in mir wie auch weit über uns hinaus am Werk ist.

      Ich fing an, den Erfolg meiner pastoralen Arbeit nicht mehr am Spendenaufkommen und an der Zahl der Gottesdienstbesucher zu messen, sondern daran, ob es im Leben der Menschen Veränderungen zum Besseren gab. Diese neue Ausrichtung hatte enorme Auswirkungen, sodass es mich drängte, über unsere Erfahrungen zu schreiben. Das Ergebnis war mein Buch Glaubensriesen – Seelenzwerge. Die Gemeinde wuchs. Es gab spürbare Veränderung im Leben von Einzelnen. Ich fühlte mich persönlich und auch beruflich gestärkt. Aber noch immer war ein Territorium meines Eisbergs unberührt: die Frage der Leitung.

      Bekehrung 4: Vom „Durchmogeln“ zu einem integren Führungsstil

      Die Gemeinde gedieh in vielerlei Hinsicht, aber noch immer gab es eine deutliche Kluft zwischen dem, was ich über emotionale und geistliche Gesundheit gelernt hatte, und meinem eigenen Führungsverhalten als leitender Pastor. So bemühte ich mich im Hinblick auf mein persönliches Leben, unsere Familie, unsere Kleingruppen und unser Jüngerschaftstraining um eine emotional gesunde Spiritualität, aber auf mein Führungsverhalten hatte das kaum Einfluss. Mir war wohl bewusst, dass es an der Zeit war, emotional gesunde Spiritualität auch in den Strukturen unserer Gemeinde zu verankern, aber ich wusste nicht, wie das zu bewerkstelligen war.

      Noch immer fühlte ich mich überfordert – ich musste mich um zu vieles kümmern (Predigen, Leitungsentscheidungen, Ausbildung von Mitarbeitern, Krisengespräche mit Mitarbeitern und Gemeindegliedern …). Und so mogelte ich mich um etliche schwierige Aspekte meiner Leitungsverantwortung herum.

       Ich drückte mich um Begegnungen, wenn ich wusste, dass sie schwierig werden würden.

       Ich beschönigte die Wahrheit, wenn es zu unbequem war, ganz ehrlich zu sein.

       Ich drückte mich darum, die Arbeit von Mitarbeitern zu bewerten, wenn sie zu wünschen übrig ließ.

       Ich stellte die notwendigen schwierigen Fragen nicht, wenn etwas offensichtlich schlecht lief.

       Ich ging zu wichtigen Sitzungen, ohne mir vorher die Zeit genommen zu haben, mir über die Tagesordnung und meine Ziele klar zu werden oder wichtige Entscheidungen im Gebet vorzubereiten.

       Ich plante nicht genügend Zeit ein, um übernommene Aufgaben auch auszuführen. Stattdessen gab ich allzu oft den Ball weiter und verhinderte so, dass meine Mitarbeiter ihr Bestes geben konnten.

       An Tagen mit wichtigen Beratungen vernachlässigte ich meine Zeit für Gebet und Stille.

       Und was vielleicht am schlimmsten war: Ich übersah konsequent die schmerzhaften Hinweise, dass mein Leben und mein pastoraler Dienst vielleicht doch nicht so gelungen waren, wie ich hoffte oder mir vormachte.

      All das spitzte sich im Jahr 2007 zu. Verschiedene schmerzhafte Erfahrungen führten dazu, dass meine zwei Jahrzehnte lang betriebene Weigerung, wirklich zu führen, in sich zusammenbrach. Unter anderem musste ich eingestehen, dass die Gemeinde als Ganze an eine Grenze gekommen war. Wir waren zwar zahlenmäßig gewachsen und hatten eine emotional gesunde Kultur und eine


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