Gesammelte Werke. Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem

Gesammelte Werke - Eufemia von  Adlersfeld-Ballestrem


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schlaflose Nacht fürchtend. Bald aber überschlich sie das Gefühl des nahenden Schlummers, und wie es kam, mußte sie die Worte aus dem Missale vor sich hinsagen wie ein selbstgesungenes Schlummerlied:

      Die letzte Falkin wird in Schmerzen büßen,

       Die Grabesruh' der Ahne zu versüßen,

       Wenn neu sie auflebt in der Huldgestalt,

       Die einst im Brautgewande ward gemalt – –

      »Bin ich die letzte Falkin?« murmelte sie schlaftrunken. »Bin ich – –«

      Das Wort erstarb auf ihren Lippen – sie war eingeschlafen.

      »Ich habe nur einen Moment geschlummert,« sagte sie, verwirrt sich aufrichtend – und zu ihrem Staunen sah sie, daß das helle Sonnenlicht durch die Ritze der Fensterläden auf den Boden fiel.

      Daß sie nicht alles geträumt, davon überzeugte sie sich durch das Öffnen der Nische – da lagen Buch und Kapsel, wie sie dieselben gestern Abend hineingelegt. Aber der tiefe, traumlose Schlaf hatte sie nicht gestärkt. Ihr Kopf schmerzte, und sie fühlte ihre Nerven gereizt, sie, die fast allen Strapazen mit ihrem stahlgeschmeidigen Körper Trotz geboten, die mehrere Abende hintereinander Wagnersche Opernpartien mit voller Kraft gesungen hatte, ohne ihre Nerven zu erschüttern.

      »Ich war glücklicher, als ich noch nicht die Herrin des Falkenhofes war,« dachte sie schmerzlich. »Da gab es keine Enttäuschung für mich und die Kunst hob mich über die kleinen Miseren des Daseins hinweg, der Neid konnte mir nichts anhaben, denn ich ebnete ihm nicht den Weg zu mir. Hätt' ich wenigstens meinen Flügel hier!« –

      Als Engels nach dem Frühstück erschien zu den Geschäften des Tages, sah er forschend auf das bleiche Antlitz seiner jungen Herrin.

      »Was ist Ihnen, Fräulein Dolores?« sagte er besorgt.

      »Ich weiß es selbst nicht,« entgegnete sie kurz und ergriff den Wirtschaftsbericht. Dann sah sie plötzlich auf zu ihm.

      »Glauben Sie an Träume, lieber Engels?«

      »I Gott behüte,« erwiderte er. »Träume kommen aus dem Magen. Wenn ich zu spät Abendbrot gegessen habe, dann träumt mir immer das verrückteste Zeug. Selbst das Tier träumt, denn was wär es sonst, wenn Knieper im Schlafe leise bellt und winselt und Ida miaut?«

      Jetzt mußte Dolores doch lächeln; die Erklärung für ihren Traum war allerdings drastisch genug.

      »Ja, ja, so wird es sein,« sagte sie resigniert, hier einen Schlüssel zu finden.

      Während sie zerstreut den Berichten Engels zuhörte, klopfte es bescheiden an der Thür, und Mamsell Köhler erschien auf der Schwelle.

      »Herr Doktor Ruß ist oben und frägt, ob gnädige Baronesse einen Spaziergang mit ihm machen wollen – es sei so schön draußen.«

      »Ja, gern,« rief Dolores, froh, eine Gesellschaft zu finden – das Alleinsein war ihr so schwer heut'. »Ich lasse den Herrn Doktor bitten, im Salon oder in der Galerie auf mich zu warten.«

      Mamsell Köhler ging.

      »Was will der nur von Ihnen?« gab Engels seinen Gedanken laut Audienz.

      »Gute Nachbarschaft halten, denke ich,« antwortete Dolores, die Papiere zusammenschiebend.

      »Hm, natürlich, der ist immer da zu finden, wo die Fleischtöpfe Ägyptens brodeln,« murrte der Verwalter.

      »Ich glaube, das ist rein menschlich,« lächelte Dolores. »Was haben Sie nur gegen diesen Mann, dessen Kenntnisse so eminent sind?«

      »Den Kuckuck sind sie,« platzte Engels heraus. »Nichts habe ich gegen ihn, nichts Erwiesenes, und gethan hat er mir auch nichts, aber dasselbe kann ich von der Raupe sagen, die sich auf dem Blatte windet, und die ich auch nicht mag, weil sie mir Widerwillen einflößt; der da drinnen gehört auch zur Gattung der Kriechtiere, denn sein Rücken versteht es prächtig, sich zu drehen. Und wenn der Blödsinn von der Seelenwanderung zwischen Tier und Mensch, von der manche ein Brimborium schwatzen, wahr ist, dann war der früher eine Schlange, das steht fest.«

      »Sind Sie auch nicht ungerecht, lieber Engels?« wandte Dolores ein.

      »Möglich,« sagte er achselzuckend, »kann mir einmal nicht helfen. Aber sei es, wie es immer sei, Fräulein Dolores, jedenfalls bitte ich Sie, den guten, wohlgemeinten Rat eines Freundes nicht zu verachten: Vertrauen Sie dem Ruß nichts, keines Ihrer Geheimnisse an!«

      »Ich bin keine Plaudertasche, lieber Engels,« erwiderte sie freundlich, »ich gehöre nicht zu den Personen, die ihren lieben Nächsten sofort zu ihrem Vertrauten machen und ihm das Blaue vom Himmel herunter schwatzen.«

      »Aber er ist scharf, glauben Sie mir, und holt aus Ihnen heraus, was er wissen will!«

      »Ich werde auf der Hut sein!« –

      Engels ging, und Dolores fand den Doktor in der Galerie ihrer wartend – er stand vor dem Bilde der Ahnfrau.

      »Wie wunderbar doch die Natur spielt, daß sie nach Jahrhunderten die nämlichen Züge dem Antlitz eines Gliedes desselben Stammes verleiht,« rief er ihr entgegen. »Das ist ja eine frappierende Ähnlichkeit zwischen Ihnen und dem Bilde da!«

      »Ja,« sagte Dolores, »und Sie können sich denken, daß ich mich infolgedessen sehr für das Original interessiere. Wissen Sie Näheres über ihr Leben?« –

      »Nein, nur, daß sie ›die böse Freifrau‹ heißt und die stets gut dotierte Stelle eines Schloßgespenstes inne hat,« erwiderte Ruß scherzend. »Aber wenn Sie's interessiert, so will ich gern den betreffenden Band der Familienchronik hervorsuchen und danach forschen – –«

      »Ach ja, und ich will Ihnen gern dabei helfen,« rief Dolores.

      »Abgemacht! Aber vorher wollen wir einen Spaziergang machen. Sie sollen sehen, wie herrlich der Wald an einem Maienmorgen ist!«

      Dolores stimmte fröhlich ein, holte sich Hut, Handschuhe und Schirm, und dann schritten sie davon, dem Walde zu.

      ***

      Draußen war's wonnig! Wald, Feld und Wiese trugen noch ihren frischen, jungen Frühlingsschmuck, den erst der Juni vergessen macht mit seinem neuen Schmucke von Blumen. Die Föhren hatten noch frischgrüne Triebe, die Laubbäume helle, zarte Blätter, und die Tannen, die am Waldbach wuchsen, sproßten noch so licht empor, daß das Moos zu ihren Füßen sich fast schwarz dagegen abhob. Aus dem weichen, erdbeer- und heidelbeerbesäeten Boden quoll jener frische, kräftige Erdgeruch, der gemischt mit den Düften von Waldmeister, Thymian, Lavendel und wilden Hyacinthen den tiefatmenden, staubgesättigten Lungen der Städter so wohl thut. Leis' murmelnd zog der silberhelle Waldbach in raschem Laufe dahin, als könne er nicht schnell genug den Ort seiner Bestimmung, den großen Strom, erreichen, in welchem er, selbst nur ein winziger Tropfen, ungekannt und unerkannt seiner Ewigkeit, dem Meere, zueilt. So thut er, dem selbstgebahnten oder geebneten Bette folgend von der Quelle aus, wie der Mensch von der Wiege an, dem Grabe zueilt mit jeder Stunde seines Lebens.

      »Wie schön ist's hier,« sagte Dolores, den frischen Waldesduft mit tiefen Zügen einatmend, »und wie lange ist's her, daß ich keinen deutschen Wald betreten!«

      Sie nahm den Hut ab und ließ die kühle Luft um ihre Stirne wehen und mit den goldigen Löckchen darüber spielen.

      »Beim wunderbaren Gott, das Weib ist schön,« citierte Doktor Ruß in Gedanken mit halbem Seitenblick auf seine Begleiterin, »ob sie wohl zu einer Eboli veranlagt ist?«

      In Rückerinnerungen verloren, schritt Dolores dahin, und in der That war der parkartige Wald vom Falkenhof dazu geeignet, Entzücken zu erregen. Man hatte die Natur nirgends eingedämmt, der Bach floß in seinem natürlichen Bette dahin, und auf dem Boden wuchsen Waldmeister, Erdbeeren und Heidelbeeren, aber es waren breite, gutgepflegte Kiesgänge kreuz und quer gezogen, und wo der Wald eine Blöße hatte, da zogen sich smaragdgrüne, tadellose Rasenflächen hin, plätscherten kühle Brünnlein oder sprangen Federfontänen in scheinbar ungekünstelten Steinbassins, emporgesprudelt von


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