Gesammelte Werke. Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem

Gesammelte Werke - Eufemia von  Adlersfeld-Ballestrem


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Sie umhüllte, auf die Leinwand zu bannen. Der Künstler soll, wie man mir sagte, fast jeder der vielen Aufführungen der Satanella beigewohnt haben. Das ist eine Huldigung, die auffallen mußte,« fügte er mit scharfem Blick hinzu, »und die am Ende auch zu denken giebt.«

      Dolores warf das schöne Haupt zurück, und ihre Lippen kräuselten sich verächtlich. »Die Welt ist ja stets geneigt, etwas zu denken,« sagte sie leicht. »Keppler kam, um die Aufgabe, die er sich gestellt, zu studieren. Daß übrigens solche ›Huldigungen‹, wie Sie es nennen, nicht immer der Person, sondern auch der Sache gelten können, mögen Sie aus dem Umstand erkennen, daß Alfred Falkner auch in fast keiner Aufführung der Satanella fehlte!«

      Doktor Ruß sah überrascht auf – davon hatte er nichts gewußt.

      »Wer weiß,« sagte er leise und beziehungsvoll.

      Dolores biß sich auf die Lippen im Unmut, daß sie sich hatte hinreißen lassen, mehr zu sagen, als sie gewollt – hatte sie sich doch vorgenommen, Falkners oftmalige Anwesenheit in der Oper gar nicht zu bemerken.

      »Man kann ja Sache und Person leicht trennen. Davon hat mein Cousin den Beweis geliefert,« sagte sie, ohne des Doktors dazwischen geworfenes Wort zu beachten. »Das Werk kann interessieren, die Person des Darstellers aber antipathisch sein, und nur das Wort oder der Ton, über den sie verfügt, eine Saite, einen Nerv in uns berühren. Dieses interessante Problem menschlichen Nervenlebens hatte ich sehr oft vor mir, denn Herr von Falkner wandte der Bühne stets den Rücken zu, wenn ich sang. Es war also die Antipathie gegen meine Person, während meine Stimme, ohne daß er mich sah, auf seine Nerven wohlthätiger wirkte. Ich habe schon früher von solchen Fällen gehört.«

      Ob sie wohl ihren Begleiter täuschte durch ihre von jedem bitteren oder beleidigten Gefühl freie Besprechung eines, wie es schien, für sie interessanten und doch gleichgültigen Themas? Wer weiß.

      Das Gespräch kam dann auf andere Dinge, indem sie fortwandelten und Dolores ihren Waldblumenstrauß vollendete. Ruß war ein tüchtiger Botaniker und wußte Dolores den Namen jedes Pflänzchens zu nennen, das sie pflückte, und als sie eine kleine, wilde weißblühende Nelkenart brach und dem Bouquet einfügte, sagte er erklärend: »Dies Blümchen wird hier in dieser Gegend vom Volke ›Traumblume‹ genannt. Wer sie bei Vollmondschein allein und im tiefsten Stillschweigen bricht und sie unter sein Kopfkissen legt, der träumt, was er zu wissen wünscht und sonst nicht erfahren kann.«

      »Welch' wunderbarer Aberglauben lebt doch noch unter dem Volke,« bemerkte Dolores sinnend; ihr wundersamer Traum kam ihr plötzlich zu Sinne.

      »Ja, und er wird auch noch lange leben, denn er hat seine unsterblichen Traditionen, die übrigens oft viel Poesie bergen,« meinte Ruß.

      »Glauben Sie an Träume?« fragte Dolores.

      »Ich möchte darauf weder mit ja, noch mit nein antworten,« entgegnete der Doktor nach einer Pause, »denn ich habe darüber noch nicht genügend nachgedacht. Es kann nicht geleugnet werden, daß, während der Körper schläft, die Seele wacht und weiter lebt. Was ihr begegnet, während wir schlafen, nennen wir dann Traum. Andererseits aber macht der vom Körper während des Schlafes unbeherrschte Geist tolle Ausschreitungen – da sind die unsinnigen Träume, die wir einander oft lachend erzählen. So erklärt es wenigstens der Erbprinz von Nordland, der sich viel damit beschäftigt und auch ein Werk über Seelen- und Traumleben schreibt. Natürlich wird er ebensowenig in dieses große Mysterium der Natur eindringen können, als viele vor ihm.«

      »Ich fürcht' es auch,« sagte Dolores seufzend.

      »Der Prinz ist nicht unbedeutend,« meinte Ruß, »nur das Thema, das er sich vorgenommen hat auszuarbeiten, verleitet manche zu dem Glauben, er sei es. Er steht mit bedeutenden Männern der Wissenschaft, Naturforschern und Ärzten, in Verbindung und korrespondiert mit ihnen. Aber schließlich giebt es ja doch Dinge, die für menschliche Weisheit zu hoch sind und zu verhüllt, als daß der jede Schranke durchbrechende Blick der Kultur des neunzehnten Jahrhunderts hineindringen könnte.«

      Hier wurde Doktor Ruß sehr drastisch unterbrochen. Er und seine Begleiterin waren bis zum Ausgange des Waldes gekommen, an welchem eine Schmiede lehnte, die eine offene Werkstatt hatte, in der wiederum ein mächtiges Feuer lohte. Vorn stand ein riesengroßer Mann, mager und knochig wie der selige Don Quixote, und hielt eine Rosinante am Zügel, die offenbar eben beschlagen worden und ihres Besitzers würdig war – ein hochbeiniger, starker Percheron mit struppigem Fell und struppiger Mähne, mit primitivem Sattel und schlechtgeputztem Zaumzeug.

      Das Roß, das für Roland den Riesen wie gemacht erschien, betrachtete mit Interesse seinen Herrn, der in einer sehr großen und sehr leeren grünseidnen Börse herumsuchte. Vor ihm stand der Schmied mit aufgestreiften Ärmeln und ledernem Schurz, eine ebenso kraftvolle, umfangreiche Gestalt, wie jener mager war, ein neues Hufeisen in der Hand.

      »Gnädiger Herr, es ist nicht teuer,« sagte er höflich. »Ich könnte mehr fordern, aber ich hab' nicht immer einen Kreidestrich dort an die Thür gemacht, wenn ich das Pferd da beschlagen habe. Aber wie gesagt, ich muß endlich mein Geld haben und will mit sechs Mark schon vorläufig zufrieden sein.«

      »Sechs Mark!« echote der Herr des Rosses entrüstet, daß sein gewichster Bart sich förmlich in die Höhe sträubte. »Ich will auch Schmied werden, wenn das Geschäft so viel einbringt. Da,« und er kramte ein Fünfmarkstück in Silber aus seiner mageren Börse, »da hat Er fünf Mark für sein elendes bißchen Eisen –«

      »Mein Eisen ist so gut wie irgend eins,« erhob nun der Schmied seine Stimme. »Ich muß sechs Mark haben.«

      »Hier sind fünf Mark, damit Punktum,« schrie der andere, das Fünfmarkstück wütend in die Werkstatt schleudernd.

      Nun warf auch der Schmied sein Hufeisen hin und hob die Münze auf.

      »Ist mein Eisen schlecht, so ist auch Ihr Silber schlecht,« sagte er ingrimmig, und mit einem Ruck brach er die Münze mitten durch.

      Der Herr zog seine Augenbrauen in heller Verwunderung in die Höhe, daß sie fast unter seinem flachen, alten, schiefgesetzten Filzhut verschwanden, aber nur für einen Moment, denn schon im nächsten Augenblick hatte er das am Boden liegende Hufeisen ergriffen.

      »Retourkutschen ziehen nicht,« schrie er, »sein Eisen ist schlecht!« Und mit einer gewaltigen Anspannung seiner Muskeln brach er es mitten durch und schleuderte die beiden Hälften triumphierend von sich. Dann schwang er sich auf sein Roß und ritt hohnlachend davon.

      Gerade als er die Waldecke passieren wollte, traten Doktor Ruß und Dolores, welche die eben beschriebene Scene mit angesehen hatten, daraus hervor. Der Percheron wurde pariert, und der schäbige Filz ward zum Gruß von dem mit borstenartigem, kurzgeschnittenem schwarzen Haar bedeckten Haupt abgenommen.

      »Doktor Ruß? I sehn Sie 'mal an! Was machen Sie denn hier?«

      »Einen Spaziergang, Herr Graf! Gestatten Sie, daß ich Sie der Freiin von Falkner, jetzigen Lehnsherrin auf dem Falkenhofe vorstelle – Graf Schinga, liebe Dolores!«

      Der dürre Riese beugte sich bis auf den Hals seines Pferdes herab. »Furchtbar angenehm, Sie zu sehen, Baronin,« rief er, Dolores mit seinen kleinen, blitzenden Augen musternd. »Schönes Wetter, was?«

      »Sehr schön,« gestand sie lächelnd zu. –

      »Wir haben eben Ihre Kraft bewundert, Herr Graf,« sagte Ruß. »Ein Hufeisen zerbrechen, als sei es von Biskuit, das imponiert!«

      »I, das ist nichts,« meinte Graf Schinga verächtlich, »der Kerl hat mich nur provoziert, zerbricht mir mein schönes Fünfmarkstück mir nichts dir nichts vor der Nase!«

      »Und man sagt, unsere Zeit sei arm an starken Männern,« lächelte Ruß. »Man möchte Sie August den Starken nennen, Graf.«

      Der Genannte riß seine Augen weit auf, soweit es eben ging.

      »I sehn Sie 'mal an, haben Sie den auch gekannt?« rief er erstaunt. »Guter Kerl gewesen, August der Starke! War zehn Jahre Kellner bei Dingsda in Berlin und dick wies Heidelberger Faß – zur Gesundheit, Baronin!«


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