Gesammelte Werke. Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem
Doktor Ruß hatte Mühe, über diese falsche Auffassung seines historischen Citates ernst zu bleiben.
»War, offen gesagt, furchtbar neugierig, Sie zu sehen, Baronin,« fuhr der Graf fort. »Daß es mir heute schon glückte, ist wirklich die Möglichkeit! Na ich sage, Ihre Thronbesteigung hat ein höllisches Geklatsche und Gepatsche verursacht! Hoffe, werden gute Nachbarn werden – mein Gut, Arnsdorf, liegt ja im Triangel mit Falkenhof und Monrepos. Nette Lage das. Wenn's Hoheit beliebt, auf Monrepos zu niesen, sagen wir in Arnsdorf und Falkenhof: Zur Gesundheit.«
»Sollte das gerade so angenehm sein?« fragte Dolores lachend.
»I nun, mich geniert's nicht,« meinte Graf Schinga. »Na also, auf gute Nachbarschaft, Baronin! Meine Frau wird sich freuen, Sie zu sehen. Zeigen Sie sich nur recht bald in Arnsdorf. Können dann zusammen reiten, habe, wenn Sie wollen, famoses Pferd im Stalle, geht wie ein Schaf auf der Weide –«
»Doch nicht ein Abkömmling dieses edlen Galliers?« fragte Ruß boshaft.
»Nein, schottische Rasse, lammfromm, prächtiges Maul und preiswürdig, sage ich Ihnen!«
»Ich fürchte nur, die Baronin hat mehr Pferde auf dem Falkenhofe, als sie, ohne Fuchsjagden zu geben, braucht,« wandte der Doktor ein.
»Na, dann nicht,« rief der Graf, »können sich die Sache ja ansehen. Ihr Diener, Baronin, guten Morgen, Doktor Ruß. Na, vorwärts, Zeus, bist ein gutes Vieh!«
Der Percheron setzte sich wiehernd in Trab, der Filz wurde aufgestülpt und fort galoppierte Roß und Reiter.
Nun brach aber Dolores' unterdrückte Heiterkeit ohne Rückhalt los.
»Sagen Sie mir, wer ist dieses verkörperte Ideal eines Landjunkers, der Hufeisen zerbricht und einen Percheron mit Namen ›Zeus‹ reitet?« rief sie lachend.
Ruß stimmte in seiner leisen Art in ihre Heiterkeit ein.
»Ich sagte Ihnen schon, Graf Schinga ist Herr auf Arnsdorf und ebensogut Ihr Nachbar als der Herzog von Nordland auf Monrepos,« erklärte er. »Er ist übrigens ein Original, das man selbst auf den Parketts fürstlicher Schlösser goutiert, und stellenweise von rückhaltloser Grobheit. Von seinen Extravaganzen erzählt man Wunderdinge, verschuldet ist er so tief als möglich, aber jeder Thaler, den er durch den Verkauf irgend eines seiner Pferde, Kühe etc. verdient, wird sofort in Champagner vertrunken. Daher bot er Ihnen, liebe Dolores, gleich seinen alten, steifbeinigen Shetland-Pony an, den er seit Jahren vergeblich in eine Reihe Sektflaschen zu verwandeln strebt. Daß, nebenbei gesagt, Münchhausen einer seiner Ahnen war, ist an ihm nicht verloren – er lügt wie gedruckt, glaubt aber selbst seine eigenen Erfindungen aufs Wort, und das ist das beste daran.«
»Nun, und seine Frau?« fragte Dolores.
»Ist eine polnische Prinzessin, infolgedessen ist auf Schloß Arnsdorf die Wirtschaft auch sehr polnisch. Man sieht sie selten oder nie, und über das Verhältnis zwischen den Eheleuten kursieren haarsträubende Geschichten, die ich indes nicht weiter verbreiten möchte, da ich nicht infolge eigenen Anschauens berichten kann. Thatsache aber ist, daß die Gräfin auf einem öffentlichen Balle in der Kreisstadt von ihrem Gemahl geohrfeigt wurde, weil sie seiner Ansicht nach zu lange mit einem der Offiziere gesprochen hatte.«
»Pfui, wie roh,« rief Dolores entrüstet.
»Nun, das soll einer der geringsten Liebesbeweise sein, die Schinga an seine Gemahlin verschwendet,« erwiderte Ruß. »Ja, es giebt wunderliche Menschenkinder, und mich wundert's nur, daß ein so schönes Mädchen, wie Prinzeß Bradnitzka es war, einen Menschen von Schingas Qualität heiraten konnte. Erklären Sie mir dieses Rätsel des Herzens, wenn Sie können – glauben Sie, daß es aus Trotz geschehen konnte?«
»Vielleicht – ich habe darüber noch nicht nachgedacht,« entgegnete Dolores sinnend. »Aber ich muß gestehen, daß ich eigentlich neugierig bin, die zweite Hälfte dieses Originals kennen zu lernen, um zu entscheiden, ob sie die bessere ist.«
»Die schönere ist sie jedenfalls,« sagte Ruß leise lachend.
»Das ist nicht schwer,« schloß Dolores dieses Thema.
Als sie nach dem Falkenhofe zurückkehrte, wurde sie von der eben angekommenen Tereza mit lebhaften Freudenbezeugungen empfangen. Tereza begann sofort die mitgebrachten Koffer auszupacken und sich selbst als erste Dienerin zu installieren, zum großen Verdruß der Dienerschaft, denen die schwarze Haut der armen Tereza ein arger Stein des Anstoßes war.
Die Negerin strahlte vor Stolz, ihre geliebte Herrin hier gebieten zu sehen, wo man sie früher nur geduldet hatte, und sagte ihr mit blitzenden Augen:
»Hier bist du doch viel mehr Königin, als auf dem Theater, mein Goldkind!«
Dolores lächelte dazu, aber es war kein Lächeln des befriedigten Stolzes, es war eher wehmütig zu nennen, und es fuhr ihr durch den Sinn, als sei sie als eine Priestern der Kunst glücklicher gewesen, als sie je hier sein könnte – –. Und doch war sie erst seit wenig Tagen Herrin auf dem Falkenhofe!
Zur Dämmerzeit ging Dolores wieder hinüber nach dem Türmchen und plauderte mit Engels. Sie saß am epheuumrankten Fenster und hatte die schnurrende Ida auf dem Schoß. Knieper hatte sich auf dem Fensterbrett niedergelassen und achtete eifersüchtig darauf, daß die Herrin ihre Gunstbezeugungen gleichmäßig zwischen ihm und seiner Freundin verteilte.
»'s ist, als seien die vergangenen Jahre zurückgekehrt,« meinte Engels behaglich.
»Nun, sehen Sie, daß ich die Alte geblieben bin?« scherzte Dolores.
»Ja, ja, mitunter erinnert ein Blick, ein Wort an die kleine Teufelin von damals,« gestand Engels zu, »aber ich laß mir's nicht nehmen, ein fremder Zug, ein Zug des Ernstes, der Melancholie fast, stiehlt sich manchmal um Ihre Augen, Ihren Mund. O, ich beobachte scharf.«
»Das ist das Alter, lieber Engels.«
»O, Sie Baronin Methusalem von zweiundzwanzig Jahren!«
Dolores lachte, wurde aber gleich wieder ernst.
»Man kann, auch jung, seinen Jahren geistig voraneilen, das macht es,« sagte sie. »Sehen Sie, lieber Engels, ich war von Kindheit an mir selbst überlassen, und das lehrt denken. Ich habe vielleicht doppelt soviel gedacht, als andere meines Alters, ich habe mich nie in Gesellschaft meiner Gedanken einsam gefühlt, aber ich habe sie selbst klären müssen durch eigene Erkenntnis, und da fällt manche Frucht von dem jungen Stamme, die vor der Zeit gereift ist. Zum Glück hatte ich eine treue, ernste und gottgeweihte Gefährtin – die Kunst. Die lehrte mich arbeiten und schaffen, und wer das kann, der mag sich glücklich preisen.«
»Die Kunst,« wiederholte Engels. »Ei ja, das ist recht gut und schön, aber sie führt ihre Jünger auch auf glatten Boden:
Eines schickt sich nicht für alle,
Sehe jeder, wo er bleibe,
Sehe jeder, wie er's treibe,
Und wer steht, daß er nicht falle,
sagt Goethe.«
Dolores erhob stolz ihr schönes Haupt und sah Engels fest ins Auge.
»Gott gab mir neben der Kunst den Stolz mit, der ein Verirren unmöglich macht,« sagte sie laut.
Als sie später nach dem Schloß zurückkehrte, traf sie mit Ruß im Korridor zusammen.
»Hier,« sagte er und deutete auf einen in Pergament gebundenen Folianten, den er unterm Arm trug, »hier ist der Band der Familienchronik, der genaue und authentische Nachrichten giebt über die sogenannte ›böse Freifrau‹. Aber es ist eine Tragödie der Sünde, die Sie da lesen werden!«
Dolores dankte, nahm ihm den Band ab und trug denselben in das Turmzimmer. Aber ehe sie zu lesen begann, holte sie das Medaillon mit den Miniaturen und das Missale herbei, diese auf so seltsame Weise gefundene Dinge sollten die Lektüre, die ihrer harrte, illustrieren, und wie sie sie aus ihrem Verstecke nahm, da fiel ihr's ein, daß dies der rechte Ort sei, ihre Juwelen zu bergen, und Tereza schob die bronzene Kassette hinein in die Nische