Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke. Eduard von Keyserling

Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke - Eduard von  Keyserling


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Bal­len am Him­mel ge­han­gen hat­ten, wur­den zer­ris­sen und als wei­ße Flo­cken über das Blau ge­streut.

      Mit hei­ßen, ver­wein­ten Au­gen blick­te Rosa in den Tag hin­aus, das aus­ge­las­se­ne, le­bens­fro­he Auss­trö­men von Hel­lig­keit tat ihr weh. Sie hät­te ge­wünscht, al­les wäre dun­kel und schwei­gend ge­blie­ben. Sie war zu Ende, und drau­ßen fing al­les wie­der von neu­em an. Den­noch blieb sie am Fens­ter ste­hen, feind­se­lig zu­schau­end, wie sich die an­de­ren zum neu­en Tage an­schick­ten.

      Aus dem Gra­se stie­gen Ler­chen auf. An den Häu­se­r­e­cken bau­ten Schwal­ben. Eine Her­de zog die Stra­ße ent­lang, der Hirt folg­te ihr, ver­schla­fen den Hut über die Stirn zie­hend. Ge­gen­über, in der Schmie­de, öff­ne­te die blei­che Schmieds­frau Fens­ter und Türe und be­gann ihre Schwel­le zu keh­ren. Der Post­bo­te ging vor­über, auf das Land hin­aus; die schwar­ze Le­der­ta­sche bau­mel­te über sei­nem Bau­che hin und her; er gähn­te; den Mund weit dem Son­nen­schei­ne öff­nend, blieb er vor der Schmied­frau ste­hen und sprach mit ihr.

      Ein Bur­sche kam auf das Böhksche Haus zu. War das nicht Gre­thes Ge­org? Recht ro­sig, die Müt­ze auf ei­nem Ohr, pfiff er laut vor sich hin und trug et­was un­ter dem Arm. Jetzt schell­te er an der Hau­stü­re, ihm ward ge­öff­net, im Flur wur­den Stim­men laut, man stieg die Trep­pe hin­an, öff­ne­te Ro­sas Tür. »Leg es dort­hin, Ge­org«, er­klang Frau Böhks Stim­me. »Lie­bes Kind, Sie hät­ten bes­ser ge­tan, ein we­nig zu schla­fen. Der Schrei­ner hat den Sarg ge­schickt; recht hübsch blau an­ge­stri­chen. Se­hen Sie doch!«

      Auf ei­nem Stuhl ne­ben der Wie­ge stand der Sarg, klein und bunt wie ein Spiel­zeug. »Jetzt müs­sen Sie mit hin­un­ter­ge­hen, et­was es­sen«, fuhr die Heb­am­me fort. »Hier oben be­sorgt die Leb al­les. Um neun Uhr müs­sen wir auf dem Fried­hof sein, sonst geht uns der Pfar­rer durch. Er kommt oh­ne­hin nur im Vor­über­fah­ren zu uns.« Rosa ließ sich fort­füh­ren. Die qual­voll durch­wach­te Nacht raub­te ihr jede Wil­lens­kraft. Was nun um sie her vor­ging, drang nur als Bild zu ihr, das kei­ne un­mit­tel­ba­re Be­zie­hung auf sie zu ha­ben schi­en.

      Im Hau­se war al­les vol­ler Ge­schäf­tig­keit. Heu­te zum ers­ten Mal fiel es Rosa auf, dass bei Böhks be­stän­di­ger Lärm herrsch­te und dass die Leu­te ganz ohne er­sicht­li­chen Zweck durch die Zim­mer schos­sen. Plötz­lich hieß es, es sei die höchs­te Zeit; man muss­te zum Fried­hof ei­len. »Kom­men Sie«, sag­te Frau Böhk und nahm Ro­sas Arm so fest un­ter den ih­ren, als fürch­te sie, Rosa kön­ne ihr ent­lau­fen. Vor der Haus­tür muss­ten sie auf die Leb und Herrn Böhk war­ten, die noch oben be­schäf­tigt wa­ren. End­lich stieg Herr Böhk die Trep­pe her­ab, un­ter dem Arm trug er den Sarg. Die Leb folg­te ihm, be­la­den mit Blu­men. Rosa wur­de un­ru­hig: »Oh, bit­te, ge­ben Sie es mir. Hal­ten Sie es nicht so«, fleh­te sie. Frau Böhk drück­te Ro­sas Arm fes­ter an sich und dräng­te zum Ge­hen.

      Der Zug setz­te sich in Be­we­gung. Voran ging Herr Böhk mit dem Sar­ge, ne­ben ihm die Leb. Auf ih­ren Ar­men türm­ten sich Ro­sen- und Jas­min­krän­ze bis an ihr spit­zes Kinn auf. Ih­nen folg­ten Rosa und Frau Böhk; als letz­te ging Gre­the. Hans war da­heim ge­blie­ben, denn er fürch­te­te sich vor dem Sar­ge. Die Hit­ze war drückend in der en­gen, men­schen­lee­ren Gas­se, hie und da blick­te eine Magd, die den Haus­flur kehr­te, auf, wenn der Zug an ihr vor­über­ging, stütz­te das Kinn auf den Be­senstiel und mach­te große Au­gen. Auf dem Wege, der an der Wie­se ent­lang­führ­te, konn­te man frei­er auf­at­men. Zwi­schen den blü­hen­den Hal­men lärm­ten die Feld­gril­len; der We­ge­rich und die Dis­tel­stau­den am We­gran­de wa­ren weiß vom Staub, und fern am Ho­ri­zont stieg es wie vio­let­ter Rauch auf. Das Hinan­klim­men des Kir­chen­ber­ges war sau­er ge­nug. Frau Böhk stöhn­te; die Leb muss­te ih­rem Nach­barn beim Tra­gen des Sar­ges hel­fen. Nun – und als man oben an­lang­te, war die Eile un­nütz ge­we­sen, denn der Pfar­rer war noch nicht da. »Das ist groß­ar­tig!« zürn­te die Heb­am­me. Der Sarg ward ne­ben das of­fe­ne Grab auf den Bo­den ge­stellt. Nicht weit da­von lag der To­ten­grä­ber un­ter ei­nem Ahorn­baum und schlief. Die Leb stieg auf einen Grab­stein, reck­te den Hals und späh­te auf die Land­stra­ße hin­ab.

      »Man muss eben war­ten, da hilft nichts«, be­merk­te Herr Böhk phi­lo­so­phisch.

      Das är­ger­te aber sei­ne Frau. »Na­tür­lich muss man war­ten«, brumm­te sie. »Ich mei­ne nur, wenn man von an­de­ren Pünkt­lich­keit er­war­tet, soll­te man selbst auch pünkt­lich sein.«

      Rosa saß auf ei­nem Stein ne­ben dem Sar­ge ih­res Kin­des. Die­ses arme blaue Käst­chen soll­te nicht so al­lein ne­ben dem of­fe­nen Gra­be ste­hen; sie blieb bei ihm. Am liebs­ten hät­te sie es auf ihre Knie ge­nom­men und ihre Wan­ge dar­auf ge­stützt; da­ge­gen hät­te aber Frau Böhk viel­leicht et­was ein­ge­wen­det. So leg­te denn Rosa nur ihre Hand sanft auf den Sarg­de­ckel.

      Hier, im Schat­ten der al­ten Bäu­me, war es kühl und woh­lig, wie in der Kam­mer, wenn Rosa ne­ben ih­rem Kin­de saß und mit dem Er­len­zweig ihm die Flie­gen ab­wehr­te. Ein lau­er Wind strich zu­wei­len vor­über, ließ die Ro­sen auf den Grä­bern ni­cken und streu­te die Frucht­kap­seln der Bäu­me über den Kies. Frau Böhk hat­te sich ins Gras ge­setzt; sehr rot im Ge­sicht, schalt sie Gre­the, dass sie mit­ge­kom­men sei, statt zu Hau­se fürs Mit­tag­mahl zu sor­gen. Herr Böhk lehn­te an ei­nem Baum­stamm, fä­chel­te sich mit sei­nem Hut Küh­lung zu und schiel­te zu Rosa hin­über. Er fand sie heu­te hübsch mit ih­ren fremd­ar­tig blan­ken Au­gen und über­leg­te bei sich, ob er die letz­ten Tage nicht dazu be­nüt­zen soll­te, dem Fräu­lein recht herz­haft die Cour zu schnei­den. »Jetzt ist er da!« rief die Leb. Ein Wa­gen hielt am Fried­hof­git­ter, dann ka­men zwei Män­ner ei­lig den Weg her­auf. Der Pfar­rer in sei­nem be­staub­ten Talar trock­ne­te sich mit dem Ta­schen­tuch den Schweiß von der blan­ken Glat­ze; der Küs­ter trug ihm ein Buch nach. Rosa blieb, in Ge­dan­ken ver­sun­ken, auf ih­rem Stein sit­zen, bis Frau Böhk sich zu ihr ge­sell­te und wie­der fest ih­ren Arm fass­te.

      Alle um­stan­den die Gruft. Ein Son­nen­strahl fiel hin­ein, und Rosa konn­te den röt­li­chen Bo­den des Gra­bes se­hen. Zu­erst sprach der Pfar­rer mit sei­ner lei­sen, fet­ten Stim­me, dann ward ge­sun­gen; plötz­lich schwieg al­les. Frau Böhk zwang Rosa, sich um­zu­wen­den. Rosa wi­der­streb­te, da sie je­doch nichts aus­rich­te­te, wein­te sie. Hin­ter ihr wur­de et­was halb­laut ge­spro­chen, wur­de et­was ge­ho­ben und ge­scho­ben – jetzt sprach der Pfar­rer wie­der. Rosa schau­te auf das Grab und sah in der Tie­fe, dort, wo der Son­nen­strahl den Licht­fleck auf den Grund des Gra­bes warf, eine Ecke des blau­en Sar­ges und ei­ni­ge wei­ße Nar­zis­sen.

      Nach­dem ein je­der der An­we­sen­den Erde mit der Hand in die Gruft ge­wor­fen hat­te, be­gann der To­ten­grä­ber mit ei­nem Spa­ten das Grab zu­zu­schüt­ten. Rosa hör­te die Erd­schol­len auf den Sarg fal­len, und ein schmerz­haf­ter Zorn schnür­te ihr die Brust zu­sam­men. Gott, die­se grau­sa­men Men­schen! Wie hart und roh sie mit dem ar­men Kin­de ver­fuh­ren! Wie gleich­gül­tig sie al­lem zu­sa­hen! Wenn es auch tot war, so blieb es doch ihr Kind, ge­hör­te ihr. Wie durf­ten sie da­mit ver­fah­ren, als sei es eine Sa­che, die sie nichts an­ging? Aber sie ver­moch­te es nicht zu än­dern, alle wa­ren ge­gen sie. Sie konn­te nur wei­nen. Der Pfar­rer rich­te­te ei­ni­ge Wor­te an Frau Böhk, und die­se er­wi­der­te mun­ter: »Ja, sehr schwül. Heu­te gibt es noch ein Ge­wit­ter.«

      »Höchst wün­schens­wert«, mein­te der Pfar­rer.

      Man ging heim. Rosa ließ sich


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