Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke. Eduard von Keyserling

Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke - Eduard von  Keyserling


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ist lan­ge schon zu Ende«, un­ter­brach sie der Pfar­rer. »Um fünf Uhr muss ich zum Di­ner im Schloss sein. Nun also schnell. Wo ist das Kind?«

      Er warf einen prü­fen­den Blick auf Rosa, fass­te sei­nen Talar vorn zu­sam­men und ging vor­an in die Kir­che.

      Auf Frau Böhks An­ord­nung muss­te Rosa sich in einen Kir­chen­stuhl set­zen, wäh­rend die an­de­ren mit dem Kin­de vor dem Al­tar stan­den. Durch die ho­hen Fens­ter schi­en die Son­ne voll her­ein und ba­de­te die Holz­ga­le­rie des Chors, die ver­gol­de­ten Holz­blu­men des Al­tar­blat­tes in gel­bem Licht.

      Auf dem Al­tar fun­kel­ten der Kelch und die Leuch­ter; über­all ein re­ges Glim­men und Flim­mern. In den Kir­chen­stüh­len la­gen wel­ken­de Jas­mins­ten­gel und Feld­blu­men, die Kin­der und Mäd­chen mit her­ein­ge­nom­men und dort ver­ges­sen hat­ten. Eine Schwal­be hat­te sich in die Kir­che hin­ein­ver­irrt und zog ihre Krei­se oben an der ge­wölb­ten De­cke, kur­ze sanf­te Rufe aus­sto­ßend.

      Herr Böhk ließ sich das Kind auf die Arme le­gen; Frau Böhk, Gre­the, die Leb stan­den an­däch­tig mit ge­fal­te­ten Hän­den ne­ben ihm. Der Pfar­rer blät­ter­te in ei­nem Buch und zog das Ge­sicht in fet­te Fal­ten, weil die Son­ne ihm in die Au­gen schi­en. Das Kind wim­mer­te – ein lei­ser Ton, wie das Zwit­schern der Schwal­be oben an der Wöl­bung. Hin­ter sich hör­te Rosa vor­sich­ti­ge Schrit­te auf den Flie­sen. Die Leu­te ka­men von drau­ßen wie­der in die Kir­che, stan­den an den Kir­chen­stüh­len und hör­ten zu. Jetzt war der Pfar­rer be­reit. Er wisch­te sich mit zwei Fin­gern die Mund­win­kel und hielt eine kur­ze An­re­de, lei­se und schnell spre­chend, wie je­mand, der bald fer­tig zu sein wünscht. Er mach­te die El­tern und Tauf­pa­ten dar­auf auf­merk­sam, dass ein Kind ein teu­res, ih­nen an­ver­trau­tes Gut sei, über das sie einst Re­chen­schaft ab­le­gen müs­sen. Nicht den El­tern ge­hö­re das Kind, son­dern Gott, und Gott wa­che ei­fer­süch­tig über sein Ei­gen­tum, wie der Bi­bel­spruch es schon be­sa­ge: »Bei dei­nem Na­men habe ich dich ge­ru­fen, in mei­ne Hän­de hab ich dich ge­zeich­net, du bist mein.«

      Rosa ent­sann sich nicht, dass bis­her eine kirch­li­che Hand­lung auf sie großen Ein­druck ge­macht hät­te. Das Frös­teln un­ter der küh­len Kir­chen­wöl­bung war für sie stets der In­be­griff der An­dacht ge­we­sen. Heu­te aber er­reg­te die Stim­me des Pfar­rers in ihr erns­te Rüh­rung. All die from­men Wor­te wur­den ja zu ih­rem Kin­de ge­spro­chen, hat­te auf die­ses Be­zug. Es freu­te sie zu hö­ren, dass ein so all­mäch­ti­ger Be­schüt­zer sich ih­res Kin­des an­nahm, ihr half, es zu ver­tei­di­gen. Da­für nahm Rosa sich vor, recht fromm zu sein, al­les zu tun, wo­von der Pfar­rer Ra­ser im Kon­fir­ma­ti­ons­un­ter­richt ge­sagt hat­te, dass Gott es von den Men­schen ver­lan­ge. Wenn Gott nur auf das Klei­ne recht Obacht ge­ben wür­de.

      Der Pfar­rer schwieg. Frau Böhk nes­tel­te dem Kin­de das Häub­chen auf, und die Tau­fe be­gann. Alle spra­chen das Cre­do; der Pfar­rer eil­te mit sei­ner rou­ti­nier­ten Stim­me vor­aus, Herr Böhk, der Pa­thos hin­ein­le­gen woll­te, blieb stets um einen Satz zu­rück, bis sei­ne Frau ihn mit dem El­len­bo­gen in die Sei­te stieß; da schwieg er är­ger­lich ganz. Nun war es zu Ende. Der Pfar­rer ging ohne Gruß fort, er fürch­te­te, zu spät zum Di­ner zu kom­men.

      »Den Tauf­schein und das üb­ri­ge be­sor­ge ich mor­gen«, mein­te er.

      Die an­de­ren gin­gen auch heim.

      Über die Wie­se wa­ren zahl­rei­che Spa­zier­gän­ger ver­teilt, vie­le bun­te Punk­te, die sich be­weg­ten und durch­ein­an­der­rann­ten. Ti­glau lag ganz im Laub ver­steckt da, und über all­dem web­te ein bläu­li­cher Dunst, der zu le­ben schi­en, blick­te man hin­ein.

      Ge­müt­lich, mit klei­nen Schrit­ten, ging die Tauf­ge­sell­schaft heim. Herr Böhk er­zähl­te sei­ne Er­leb­nis­se: Er hat­te ge­fürch­tet, das Kind fal­len zu las­sen. Der Pfar­rer hat­te ihm den Frack mit Tauf­was­ser be­sprengt. Die Leb fand die hei­li­ge Hand­lung sehr er­bau­lich, was Herr Böhk be­stritt.

      »Das Glau­bens­be­kennt­nis schleu­der­te er nur so hin.«

      Frau Böhk zuck­te die Ach­seln.

      »Es war heu­te ge­ra­de so wie im­mer«, sag­te sie.

      Für sie, die so vie­le Tau­fen mit­ge­macht hat­te, war eine Tau­fe kein Er­eig­nis mehr.

      Zu Hau­se trank man Scho­ko­la­de. Frau Böhk und Gre­the nes­tel­ten sich die en­gen Fei­er­tags­ja­cken auf. Herr Böhk steck­te sich eine Ser­vi­et­te hin­ter den Hemd­kra­gen.

      »Du soll­test den Frack lie­ber aus­zie­hen«, riet sei­ne Frau.

      Er ent­geg­ne­te je­doch sehr ge­reizt: »Wa­rum? Lass mich doch.«

      Er fand so sel­ten Ge­le­gen­heit, den Frack an­zu­le­gen; jetzt, da sie sich bot, woll­te er sie aus­nut­zen.

      »Sehr gut«, mein­te die Leb und nick­te ih­rer Tas­se zu. »Auch der Stol­len ist gut. Zu­wei­len ge­lingt es dem Bä­cker. Der Arme! Weiß Gott, wen er hei­ra­ten wird! Denn hei­ra­ten muss er – mit so vie­len klei­nen Kin­dern.«

      Nun sprach man von der Bäcke­rin. Ein je­der gab zwi­schen ei­nem Schluck Scho­ko­la­de und ei­nem Bis­sen Stol­len sei­ne Mei­nung ab. Durch die ge­öff­ne­ten Fens­ter sah man auf den stil­len Hof und den Gar­ten hin­aus, wo Feu­er­li­li­en und ei­ni­ge Ro­sen­bü­sche re­gungs­los im Abend­son­nen­schein stan­den. Von der Wie­se tön­ten Rufe und Stim­men der sonn­täg­li­chen Spa­zier­gän­ger her­über.

      Rosa schwieg und ließ sich von ei­nem an­ge­neh­men Fei­er­tags­ge­fühl wie­gen. Die hel­le Welt rings­um be­ru­hig­te sie. Hier war es be­hag­lich und son­nig. Die rech­te Welt für den klei­nen Ernst. Eine lan­ge, licht­vol­le Zu­kunft, ver­lo­ren in der stil­len Ebe­ne, ein un­ge­stör­tes Zu­sam­men­sein mit ih­rem Kin­de, ein Le­ben voll war­mer Lie­be tat sich ihr auf und trös­te­te sie. Oben bei ih­rem Kin­de woll­te sie die­sen Traum wei­ter­träu­men.

      »Ah, Sie ge­hen zu un­se­rem jun­gen Chris­ten?« frag­te die Leb ge­fühl­voll.

      »Ar­nold­chen wird wohl schla­fen«, füg­te Herr Böhk hin­zu.

      »Ernst wird er ge­nannt«, ver­bes­ser­te Gre­the.

      Herr Böhk aber mach­te eine weg­wer­fen­de Hand­be­we­gung. Er wuss­te wohl, was er tat. Er war der Pate, er nann­te das Kind Ar­nold; die an­de­ren konn­ten es hal­ten, wie sie woll­ten, für ihn gab es kei­nen Ernst.

      In ih­rer Kam­mer drück­te Rosa das Kind fest an ihre Brust und sprach ihm lei­se zu:

      »Wei­ne nicht. Hör­test du nicht, wie der Herr Pfar­rer sag­te, dass der lie­be Gott mir hilft, dich be­wa­chen! Sei nur ru­hig, groß und schön wirst du wer­den. Du wirst nie­man­den be­trü­gen. Du wirst zu lie­ben ver­ste­hen – wirst dei­ne alte Mut­ter sehr – sehr treu lie­ben, denn sie hat es nö­tig. Du wirst von al­lem Gars­ti­gen, das sie er­lebt hat, nichts wis­sen, und wenn du bei ihr bist, wird sie al­les, was sie ge­tan und ihr an­de­re an­ge­tan, ver­ges­sen. Nicht wahr?«

      Viertes Kapitel

      Auf die Tau­fe folg­ten böse Tage für Ernst und sei­ne Mut­ter. Die Krämp­fe wie­der­hol­ten sich. Das Kind ma­ger­te ab und be­fand sich in ei­nem be­sorg­li­chen Zu­stand der Schwä­che. Der Arzt vom Schloss ward her­bei­ge­ru­fen, denn in Ti­glau selbst wohn­te kei­ner.


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