Wilhelm Hauff: Märchen, Romane, Erzählungen & Gedichte. Wilhelm Hauff

Wilhelm Hauff: Märchen, Romane, Erzählungen & Gedichte - Wilhelm  Hauff


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ihm beizustehen. Er selbst aber blieb sekundenlang liegen, ohne sich zu rühren und schaute verwundert herauf.

      Ich sprang auf, ihm beizustehen, ich hob ihn auf und sah mich nach einem andern Stuhl um, auf welchen ich ihn setzen könnte. Aber ein Verwandter des Hauses raunte mir in die Ohren, ich möchte machen, daß wir fortkommen, mein Hofmeister scheine sich nicht in dieser Gesellschaft zu gefallen.

      Wir folgten dem Wink und nahmen unsere Hüte. Als ich mich von der gnädigen Frau beurlaubte, sagte sie mir viel Schönes und lud mich ein, sie recht oft zu sehen; meinen armen Hofmeister würdigte sie keines Blickes. Sie neigte sich so kalt als möglich, und ließ ihn abziehen. Gelächter schallte uns nach, als wir den Saal verließen, und ich hatte mit meiner Inkarnation so viel menschliche Eitelkeit angezogen, daß mich dieses Lachen ungemein ärgerte.

      Wie gern hätte ich die Erzählung jenes interessanten jungen Mannes zu Ende gehört, wieviel Wichtiges und Psychologisches hätte ich noch von dem »Gardeuniform-liebenden« Fräulein erlauschen können; und war ich selbst nicht ganz dazu gemacht, junge Herzen an jenem Abend zu erobern? Ein junger, reicher, ich darf sagen, hübscher Mann auf Reisen, findet, wo er hinkommt, freundliche Augen, durch welche er so leicht in die Herzen einzieht – und dies alles hatte mir das ungeschliffene Wesen des alten Menschen verdorben. Ich hätte ihn würgen mögen, als wir im Wagen saßen.

      »War es nicht genug«, sagte ich, »daß du mit deinem scharfen Judenbart die zarte Hand der Gnädigen empfindlich bürstetest? mußtest du auch noch die Frau von Wollau durch dein unzeitiges Gelächter beleidigen? und kaum hast du es wieder gut gemacht, so bringst du aufs neue alles gegen dich auf? was gingen dich denn die Schwabenmädel an, daß du ihre Schönheit an den Teetischen Berlins predigest? darfst du denn sogar in China einer Schönen sagen, sie habe ein Teegesicht? Und jetzt, nachdem du die spitzigen Worte der ungnädigen Frau eingesteckt hattest, jetzt als alles auf das erste vernünftige Thema, das diesen Abend abgehandelt wurde, lauschte, jetzt fällst du, wie der selige Hohepriester Eli im zweiten Kapitel Samuelis, rücklings in den Saal, und zerschmetterst – nicht den eigenen hohlen Schädel, wie jener würdige jüdische Papst – nein! einen zierlich geschnitzten Fauteuil und eine Tasse von Meißner Porzellan; sage, sprich, schlechter Kamerade, wie fingst du es nur an?«

      »In Eurer Stelle, Herr Satan, wäre ich nicht so arrogant gegen unsereinen«, antwortete er verdrießlich, »Ihr wißt, daß Euch keine Gewalt über meine Seele zusteht, denn seit anderthalb tausend Jahren kenne ich Eure Schliche und Ränke wohl. Was aber die Elis-Geschichte betrifft, so will ich Euch reinen Wein einschenken, vorausgesetzt, Ihr begleitet mich in eine Auberge, denn der läpperichte Tee hier, mit dem man in China kaum die Tassen ausspülen würde, mit dem noch schlechtern Arrak, haben mir ganz miserabel gemacht.«

      Ich ließ vor einem Restaurateur halten und führte den verunglückten Doktor Mucker hinein. Es war schon ziemlich tief in der Nacht, und nur noch wenige, aber echte Trinker in dem Wirtszimmer. Wir setzten uns an einen Tisch zu vier oder fünf solcher nächtlichen Gesellen; ich ließ für den alten Menschen Burgunder auftragen, und in geläufigem Malabarisch, wovon die Trinker gewiß nichts verstanden, forderte ich ihn auf, zu erzählen.

      Nachdem der Ewige Jude durch etliche Schlucke sich erholt hatte, begann er:

      »Ich glaube, es ist ein Teil des Fluches, der auf mir ruht, daß ich, sobald ich mich in höhere Sphären der Gesellschaft wage, lächerlich werde; ein paar Beispiele mögen dir genügen:

      Du weißt, daß ich, um mir die Langeweile des Erdenlebens zu vertreiben, zuweilen einen Liebeshandel suche – nun verziehe dein Gesicht nur nicht so spöttisch, ich bin eine Stereotypausgabe von einem kräftigen Fünfz’ger, und ein solcher darf sich schon noch aufs Eis wagen –; nun hatte ich einmal in einem kleinen sächsischen Städtchen eine Schöne auf dem Korn. Ich hatte schon seit einigen Tagen Zutritt in das elterliche Haus und die kleine Kokette schien mir gar nicht abgeneigt. Ich kleidete mich sorgfältiger, um ihr zu gefallen, ich scherwenzelte um sie her, wenn sie spazierenging, kurz, ich war ein so ausgemachter Geck, als je einer über das Pflaster von Leipzig ging. In dem Städtchen gehörte es zum guten Ton, morgens um neun Uhr an dem Haus seiner Schönen vorbeizugehen; schaute sie heraus, so wurde mit Grâce der Hut gezogen, und etwas weniges geseufzt.

      Dies hatte ich mir bald abgemerkt, und zog nun pflichtgemäß, wenn die Glocke neun Uhr summte, an jenem Haus vorüber, und ich hatte die Freude, zu sehen, wie mein Engel jedesmal zum Fenster herausschaute und huldreich lächelte. Eines Morgens war es sehr kotig auf der Straße; ich ging also, um die weißseidenen Strümpfe zu schonen, auf den Zehenspitzen und machte Schritte wie ein Hahn. Aber vor dem Haus meiner Schönen war der Schmutz reinlich in große Haufen zusammengekehrt, denn der Papa war eine Art von Polizeiinspektor und mußte den Einwohnern ein gutes Beispiel geben; wie freute sich mein Herz über diese Reinlichkeit! ich konnte dort fester auftreten, ich konnte mit dem rechten Bein, wenn ich mein Kompliment machte, zierlich ausschweifen, ohne mich zu beschmutzen. Mein Engel schaute huldreich herab, freudig ziehe ich den Hut von dem schönfrisierten Toupet, schwenke ihn in einem kühnen Bogen und – o Unglück – er entwischt meiner Hand, er fährt wie ein Pfeil in den aufgeschichteten Unrat, daß nur noch die Spitze hervorsieht.

      Wie schön sagt Schiller:

      ›Einen Blick

       nach dem Grabe

       seiner Habe

       sendet noch der Mensch zurück.‹

      So stand ich wie niedergedonnert an dem Unrat. Sollte ich in zierlicher Stellung mit den Fingerspitzen den Hut herausziehen? aber dann war zu befürchten, daß er ganz ruiniert sei; sollte ich völlig chapeau bas weiterziehen, wie einer, der ohne Hut dem Galgen oder dem Tollhaus entsprungen?

      Wie ein silbernes Feuerglöckchen schlägt jetzt das lustige Lachen meiner Dulcinea an mein Ohr; brummend wie die schweren Totenglocken, das Grabgeläute meiner Hoffnung, antworten zehn Bässe aus dem gegenüber stehenden Kaffeehaus, Husarenlieutenants, Schreiber, Kaufleute brüllen aus den aufgerissenen Fenstern, und ›Hussa, Sultan, such verloren!‹ tönt die Stimme meines furchtbarsten Rivalen, des Grafen Lobau. Eine englische Dogge von Menschenlänge stürzt hervor, packt den verlornen Hut mit geübter Schnauze, rennt auf mich zu, stellt sich auf die Hinterbeine, tappt mit seinen Pfoten auf meine Schultern und präsentiert mir das triefende corpus delicti.

      Was ich dir hier mit vielen Worten erzähle, mein Bester, war das Werk eines Augenblicks; wie angefroren war ich dagestanden, und erst die Zudringlichkeit des höflichen Hundes gab mir meine Fassung wieder. Wieherndes, jauchzendes Gelächter scholl aus dem Café, und auch bei ihr waren alle Fenster mit Lachern angefüllt; und als ich einen zärtlichen Blick, den letzten, hinauflaufen ließ, sah ich, wie sie das battistene Schnupftuch in den Mund schob, um nicht vor Lachen zu bersten; da verlor ich von neuem die Fassung. Wütend ergriff ich den Hut und schlug ihn der Dogge ins Gesicht; aber die Bestie verstand keinen Spaß, sie packte mich an der zierlichen Busenstreife, ich ließ ihr diese Spolien und machte mich eilends davon, durch dick und dünn galoppierend, aber die Bestie folgte, und andere Hunde und Gassenjungen stürzten nach und die schreckliche Jagd nahm erst ein Ende, als ich atemlos in das Portal meines Gasthofes stürzte.

      Daß es mit meiner Liebe aus war, kannst du denken, besonders da ich nachher erfuhr, die Kokette habe alle ihre Anbeter um diese Stunde in das Kaffeehaus bestellt, um täglich meine Fensterparade zu bewundern!«

      Ich bedauerte den Armen von Herzen, er aber griff ruhig nach seinem Glas, trank und fuhr dann fort:

      »Kann dich versichern, so hundsföttisch ging es mir von jeher, besonders aber in der neuern aufgeklärten Zeit, wo man so ungemein viel auf das Schickliche hält und verzweifeln möchte, wenn der vortreffliche Reifrock der Etikette ein wenig unsanft berührt wird. Darum ist es mir bei einem Gastmahl immer höllenangst. Wird fette Sauce umhergegeben, so sehe ich schon im Geiste, daß ich damit zittern und sie verschütten werde; kömmt dann der Bettel an mich, so bricht mir der Angstschweiß aus, die Saucière klappert in meiner zitternden Hand fürchterlich, sie schwankt, ich fahre mit der andern Hand darnach und – richtig meine freundliche Nachbarin hat die ganze Bescherung auf dem neuen drap d’or, oder genuesischen Samtkleid, daß alles im schönsten Fett schwimmt. Habe ich aber endlich eine solche Fegefeuertour durchgemacht, ohne Sauce


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