Wilhelm Hauff: Märchen, Romane, Erzählungen & Gedichte. Wilhelm Hauff

Wilhelm Hauff: Märchen, Romane, Erzählungen & Gedichte - Wilhelm  Hauff


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dem Spott meiner Bekannten fürchtete, zugleich versprachen sie auch, mir suchen zu helfen.

      Nach langem Umherirren, wobei wir tausend Lügen ersinnen mußten, um die erwachende Neugierde unserer Freunde zu täuschen, fanden wir endlich in dem entlegensten Winkel der Stadt jene Merkzeichen, die Madonna und den Brunnen. Ich sah das Haus der Holden, ich sah die Bank an der Türe, auf welcher ich hätte selig werden sollen, aber hier ging auch unser Weg zu Ende. Als Fremde hätten wir zu viel gewagt, so weit entfernt von den uns bekannten Straßen, unter einer Menschenklasse, die besonders den Engländern so gram ist, uns in ein fremdes Haus einzudrängen. Wir zogen mehreremal durch die Straße, immer war die Türe verschlossen, immer die Fenster neidisch verhängt. Wir verteilten uns, bewachten tagelang die Promenaden, weder meine Schöne noch mein Ebenbild ließen sich sehen.

      Geschäfte riefen mich in dieser Zeit nach Neapel. So angenehm mir sonst diese Reise gewesen wäre, so war sie mir in meiner gegenwärtigen Spannung höchst fatal. Unaufhörlich verfolgte mich das Bild des Mädchens, im Traum wie im Wachen hörte ich die liebliche Stimme flüstern. Hatten mich die Gesänge in der Kapelle so weich gestimmt, hatte das flüchtige Bild der Schönen vermocht, was der Geist und die Schönheit so mancher andern nicht über mich vermochte?

      Unruhig reiste ich ab. Die Reise, so viele abwechselnde Gegenstände, die ernsten Geschäfte, der Reiz der Gesellschaft, nichts gab mir meine Ruhe wieder.

      Es war die Zeit des Karnevals, als ich nach Rom zurückkehrte. Durfte ich hoffen, im Gewühle der Menge den Gegenstand meiner Sehnsucht herauszufinden? Meine englischen Freunde waren abgereist, ich hatte niemand mehr dem ich mich vertrauen mochte. Ohne Hoffnung hatte ich mehrere Tage verstreichen lassen, ich war nicht zu bewegen, mich unter die Freuden des Karnevals zu mischen.

      Wie erstaunte ich aber, als mich am Morgen des vierten Tages der Karnevalswoche der Gesandte fragte, wie ich mich gestern ›amüsiert‹ habe. Ich sagte ihm, ich sei nicht im Korso gewesen. Er erstaunte, behauptete, mich von seinem Wagen aus mit einer Dame am Arm gesehen und begrüßt zu haben. Er schwieg etwas beleidigt, als ich es wieder verneinte. Aber plötzlich kam mir der Gedanke, wie wenn es die Gesuchten wären? – Man war in allen Zirkeln sehr gespannt auf diesen Abend. Ein prachtvoller Maskenzug, worin Damen aus den edelsten römischen Häusern eine Rolle übernommen hatten, sollte das Karneval verherrlichen. Ich gab dem Drängen meiner Bekannten nach und ging mit in den Korso.

      Erwarten Sie von mir keine Beschreibung dieses Schauspiels. Zu jeder andern Zeit würde ich ihm alle meine Aufmerksamkeit geschenkt haben, nicht nur weil es mir als Volksbelustigung sehr interessant gewesen wäre, sondern weil sich der Charakter der Römer gerade hier am meisten aufdeckt. Aber wenn ich sage, daß von dem ganzen Abend, von allen Herrlichkeiten des Korso nur noch ein Schatten in meiner Erinnerung geblieben und nur ein heller Stern aus dieser Nacht auftaucht, so werden Sie vergeben, wenn ich über das interessante Schauspiel Ihre Neugierde nicht zur Genüge befriedige.

      Die lange, enge Straße war schon gefüllt, als wir durch die Porta del popolo hereintraten; unabsehbar wogten die Wellen der Menge durcheinander; und das Auge gleitete unbefriedigt darüber hinweg, weil es unter der Mischung der grellsten Farben keinen Punkt fand, der es festhielt. Die Erwartung war gespannt. Überall hörte man von dem Maskenzug reden, der sich nun bald nahen müsse. Ein rauschendes Beifallrufen drang jetzt von dem Obelisken auf der Piazza herüber und verkündete die Auffahrt der Masken. Alle Blicke richteten sich dorthin. Von den Balkons und Gerüsten herab wehten ihnen Tücher und winkten schöne Hände entgegen, indem die Equipagen sich in die Seiten drängten, um den Wagen des Zuges Platz zu machen. Er nahte. Gewiß ein herrlicher Anblick. Die Götter der alten Roma schienen wieder in die alten Mauern eingezogen zu sein, um ihren Triumph zu feiern. Liebliche, majestätische Gruppen! Welch herrliche Umrisse in den Gestalten des Apoll und Mars, wie lieblich Venus und Juno, und man konnte es nicht für Unbescheidenheit halten, sondern mußte gerade hierin den schönsten Triumph finden, wenn das Volk mit Ungestüm den Göttinnen zurief, die Masken abzunehmen. Unendlich wurde aber der Beifall, als die Gräfin Parvi, die edlen Formen des Gesichtes unverhüllt, als Psyche sich nahte! Wahrlich, dieser liebliche Ernst, diese sanfte Größe hätten einen Zeuxis und Praxiteles begeistern können.

      Der Abend nahte heran, man rüstete sich, die Gerüste zu besteigen, weil das Pferderennen beginnen sollte. Ich stand ziemlich verlassen auf der Straße, musternd mit sehnsüchtigen Blicken die Galerien und Balkone, ob meine Schöne nicht darauf zu treffen sei. Plötzlich fühlte ich einen leisen Schlag auf die Schulter. ›So einsam?‹ tönte in der lieben Muttersprache eine süße Stimme in mein Ohr. Ich sah mich um. Eine reizende Maske, in der Kleidung einer Tirolerin, stand hinter mir. Durch die Höhlen der Maske blitzten jene blauen Augen, die mich damals so sehr überraschten. Sie ist’s – es ist kein Zweifel. Ich bot ihr schweigend die Hand, sie drückte sie leise. ›Du böser Otto‹, flüsterte sie, ›den ganzen Abend habe ich dich vergebens gesucht. Wie mußte ich schwatzen, um die Signora loszuwerden!‹

      Die Wache rückte die Straße herab. Es war hohe Zeit, die Galerien zu suchen. Ich deute hinauf, sie gab mir ihren Arm, sie folgte. Ein heimliches Plätzchen hinter einer Säule bot sich dar, sie wählte es von selbst. Karneval, Pferderennen, alle Schönheiten Roms waren für mich verloren, als mein stiller Himmel sich öffnete, als sie die Maske abnahm. Noch lieblicher, noch unendlich schöner war sie als an jenem Abend. Die zarte Blässe, die sie damals aus der Kapelle brachte, war einer feinen, durchsichtigen Röte gewichen; das Auge strahlte noch von höherem Glanz als damals, und der tiefe, beinahe wehmütige Ernst der Züge, wie sie sich mir damals zeigte, war durch ein Lächeln gemildert, das fein und flüchtig um die zarten Lippen wehte.

      Sie heftete wieder einige Minuten schweigend ihr Auge auf mein Gesicht, strich mir spielend die Haare aus der Stirne, und rief dann plötzlich: ›Jetzt bist du’s wieder ganz! ganz wie an jenem Abend in der Kapelle, den du mir so hartnäckig leugnest! Gestehst du ihn deiner Luise noch nicht?‹

      Welche Pein! was sollte ich sagen? da fiel plötzlich das Signal, die Pferde rannten durch den Korso. Meine Schöne bog den Kopf abwärts, und ich, meiner Sinne kaum mächtig, flüchtete hinter die nächste Säule, um nicht im Augenblick vor dem arglosen Mädchen als ein Tor, oder noch etwas Schlimmeres zu erscheinen. Und was war ich auch anders, wenn ich mich selbst recht ernstlich fragte? Was wollte ich von dem Mädchen, was konnte ich von ihr wollen? Und war nicht eine so weit getriebene Neugierde Frevel?

      Während ich noch so mit mir selbst kämpfte, ob es nicht ehrlicher sei, ein Abenteuer aufzugeben, dessen Ende nur ein törichtes sein könnte, bemerkte ich, daß meine Stelle schon wieder besetzt sei. Ich schlich näher herzu, um wenigstens zu hören, wer der Glückliche sei, da ich ihn, ohne meine unbescheidene Nähe zu verraten, nicht sehen konnte.

      ›Wie magst du nur so zerstreut fragen‹, sagte Luise, ›du selbst hast mich ja heraufgeführt.‹

      ›Ich hätte dich geführt, der ich diesen Augenblick erst zu dir trete? Gestehe, du betrügst mich: wer hat dich hergeleitet?‹

      Mit befangener Stimme, dem Weinen nahe, beharrte sie auf dem, was sie vorhin sagte. ›Du bist auch wie unser Wetter über den Alpen, soeben noch so freundlich, und jetzt so kalt, so finster.‹

      Jener stand schnell auf: ›Ich bin nicht gestimmt, meine Gnädige, das Ziel Ihrer Scherze zu sein‹, sagte er, ›und wenn Sie sich in Rätsel vertiefen, wird meine Gesellschaft Ihnen lästig werden.‹ Er brach auf und wollte gehen. Ich konnte die Leiden der Armen nicht mehr verlängern, trat hervor hinter der Säule, um mich als Auflösung des Rätsels zu zeigen. Aber wie ward mir! Meine eigene Gestalt, mein eigenes Gesicht glaubte ich mir gegenüber zu sehen. Die überraschende Ähnlichkeit –«

      Fünfzehntes Kapitel

      Das Intermezzo – Die Trinker

       Inhaltsverzeichnis

      Ein schrecklicher Angstschrei, ein Gerassel, wie Blitz und Donner einander folgend, unterbrach den Erzähler. Welcher Anblick! Der Jude lag ausgestreckt auf dem Boden des Saales, überschüttet mit Tee, Trümmer seines Stuhles und der feinen Meißner Tasse, die er im Sturz zerschmettert,


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