Wilhelm Hauff: Märchen, Romane, Erzählungen & Gedichte. Wilhelm Hauff

Wilhelm Hauff: Märchen, Romane, Erzählungen & Gedichte - Wilhelm  Hauff


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Hauses die größten Sottisen zu sagen, wenn ich höflich und pikant sein will, so faßt mich irgendein Unheil noch zum Schluß, daß ich mit Schande abziehe wie heute.«

      »Nun«, fragte ich, »und was warf dich denn heute mitten ins Zimmer?«

      »Als der langweilige Mensch seine Erzählung anhub, wie er ein paar Pfaffen habe singen hören, und wie er einem hübschen Mädchen nachgelaufen sei – was man überall tun kann, ohne gerade in Rom zu sein – da übermannte mich die Langeweile, die eines meiner Hauptübel ist, und so setzte ich, um mich zu unterhalten, meinen Stuhl rückwärts in Bewegung und schaukelte mich ganz angenehm, auf einmal, ehe ich mich dessen versah, schlug der Stuhl mit mir rückwärts über und ich lag –«

      »Das habe ich leider gesehen, wie du lagst«, sagte ich, »aber wie kann man nur in honetter Gesellschaft so ganz alle gute Sitte vergessen und mit dem Stuhl schaukeln.«

      »Sei jetzt ruhig und bringe mich nicht auf mit der verdammten Geschichte, ich habe heute abend kein Glück gemacht, das ist alles. Bibamus diabole!« sagte der alte Mensch, indem er selbst mit tüchtigem Beispiel voranging und dann schmunzelnd auf das dunkelrote Glas wies: »Der ist koscher, Herr Bruder, guter Burgunder, echter Chambertin und wenigstens zwanzig Jahre alt. Du magst mich jetzt auslachen oder nicht, aber ein gutes altes Weinchen vom Südstamme ist noch immer meine Leidenschaft, und ich behaupte, die Welt sieht jetzt nur darum so schlecht aus, weil so viel Tee, Branntwein und Bier, aber desto weniger Wein getrunken wird.«

      »Du könntest recht haben, Jude!«

      »Wie stattlich«, fuhr er im Eifer fort, »wie stattlich nahmen sich sonst die Wirtshäuser aus; breite, gedrungene, kräftige Gestalten, den dreispitzigen Hut ein wenig auf die Seite gesetzt, rote Gesichter, feurige Augen, ins Bläuliche spielende Nasen, honette Bäuche – so traten sie, das hohe mit Gold beschlagene Meerrohr in der Faust, feierlich grüßend ins Zimmer; wenn der Hut am Nagel hing, der Stock in die Ecke gestellt war, schritt der Gast dem wohlbekannten Plätzchen zu, das er seit Jahren sich zu eigen gemacht hatte, und das oft nach ihm getauft war; der Wirt stellte mit einem ›Wohl bekomm’s‹ die Weinkanne vor den ehrsamen Trinker, die gewöhnlichen Becher-Nachbarn fanden sich zur bestimmten Stunde ein, man trank viel, man schwatzte wenig und zog zur bestimmten Stunde wieder heim; so war es in den guten alten Zeiten, wie die Menschen sagen, die nach Jahren rechnen, so war es, und nur der Tod machte darin eine Änderung. Jetzt hängen sie alles an den Putz, machen Staat wie die Fürsten, und sitzen den Wirten um zwei Groschen die Bänke ab. Luftiges unstetes Gesindel fährt in den Wirtshäusern umher, man weiß nie mehr, neben wen man zu sitzen kömmt, und das heißen die Leute Kosmopolitismus. Höchstens trifft man ein paar alte weingrüne Gesichter von der echten Sorte, aber dies Geschlecht ist beinahe ausgestorben!«

      »Schau nur dorthin«, fiel ich ihm ein, »du Prediger in der Wüste, dort sitzen ein paar echte; sieh nur das kleine Männlein dort in dem braunen Röckchen, wie es so feurig die roten Augen über die Flasche hinrollen läßt; er scheint mir ein rechter Kenner, denn er trinkt den Nierensteiner Kirchhofwein, den er vor sich hat, in ganz kleinen Zügen, und zerdrückt ihn ordentlich auf der Zunge, ehe er schluckt. Und dort der große dicke Mann mit der roten Nase, ist er nicht eine Figur aus der alten Zeit? Nimmt er nicht das Glas in die ganze Faust, statt wie die Heutigen den kleinen und den Goldfinger zierlich auszustrecken? Ist er nicht schon an der vierten Flasche, seit wir hier sind, und hast du nicht bemerkt, wie er immer die Pfropfen in die Tasche steckt, um nachher zu zählen, wie viele Flaschen er getrunken?«

      »Wahrhaftig, diese sind echt!« rief der begeisterte Jude. »Ich bin jung gewesen und alt geworden, aber solcher gibt es nicht viele; laß uns zu ihnen uns setzen, mi fratercule!«

      Wir hatten nicht fehl geraten; jene Trinker waren von der echten Sorte, denn schon seit zwanzig Jahren kommen sie alle Abende in das nämliche Wirtshaus. Man kann sich denken, wie gerne wir uns an sie anschlossen; ich, weil ich solche Käuze liebe und aufsuche, der Ewige Jude aber, weil der Kontrast zwischen dem eleganten Tee und diesen Trinkern in seinen Augen sehr zugunsten der letzteren ausfiel; er wurde so kordial, daß er zu vergessen schien, daß er mit ihren Urvätern schon getrunken habe, daß er vielleicht mit ihren späten Enkeln wieder trinken werde.

      Die alten Gesellen mochten jetzt ihre Ladung haben, denn sie wurden freundlich, und fingen an zuerst leise vor sich hin zu brummen, dann gestaltete sich dieses Brummen zu einer Melodie, und endlich sangen sie mit heiserer Weinkehle ihre gewohnten Lieder. Auch den »alten Menschen« faßte diese Lust. Er dudelte die Melodien mit, und als sie geendet hatten, fing auch er sein Lied an. Er sang:

      Des Ewigen Juden Trinklied

      Wer seines Leibes Alter zählet

       Nach Nächten, die er froh durchwacht,

       Wer, ob ihm auch der Taler fehlet,

       Sich um den Groschen lustig macht,

       Der findet in uns seine Leute,

       Der sei uns brüderlich gegrüßt,

       Weil ihn, wie uns der Gott der Freude

       In seine sanften Arme schließt.

      Wenn von dem Tanze sanft gewieget,

       Von Flötentönen süß berauscht,

       Fein Liebchen sich im Arme schmieget,

       Und Blick um Liebesblick sich tauscht;

       Da haben wir im Flug genossen

       Und schnell den Augenblick erhascht.

       Und Herz am Herzen festgeschlossen

       Der Lippen süßen Gruß genascht.

      Den Wein kannst du mit Gold bezahlen,

       Doch ist sein Feuer bald verraucht,

       Wenn nicht der Gott in seine Strahlen,

       In seine Geisterglut dich taucht;

       Uns, die wir seine Hymnen singen,

       Uns leuchtet seine Flamme vor,

       Und auf der Töne freien Schwingen

       Steigt unser Geist zum Geist empor.

      Drum, die ihr frohe Freundesworte

       Zum würdigen Gesang erhebt,

       Euch grüß ich, wogende Akkorde,

       Daß ihr zu uns herniederschwebt!

       Sie tauchen auf – sie schweben nieder,

       Im Vollton rauschet der Gesang,

       Und lieblich hallt in unsre Lieder

       Der vollen Gläser Feierklang.

      So haben’s immer wir gehalten

       Und bleiben fürder auch dabei,

       Und mag die Welt um uns veralten,

       Wir bleiben ewig jung und neu.

       Denn, wird einmal der Geist uns trübe,

       Wir baden ihn im alten Wein,

       Und ziehen mit Gesang und Liebe

       In unsern Freudenhimmel ein.«

      Ob dies des Ewigen Juden eigene Poesie war, kann ich nicht bestimmt sagen, doch ließ er mich zuzeiten merken, daß er auch etwas Poet sei; die zwei alten Weingeister aber waren ganz erfüllt und erbaut davon; sie drückten dem alten Menschen die Hand, und gebärdeten sich, als hätte er ihnen die ewige Seligkeit verkündigt.

      Es schlug auf den Uhren drei Viertel vor zwölf Uhr. Der Ewige Jude sah mich an und brach auf, ich folgte. Rührend war der Abschied zwischen uns und den Trinkern, und noch auf der Straße hörten wir ihre heiseren Stimmen in wunderlichen Tönen singen:

      »Und wird einmal der Geist uns trübe,

       Wir baden ihn im alten Wein,

       Und ziehen mit Gesang und Liebe

       In unsern Freudenhimmel ein.«

      III

      Satans Besuch bei Herrn von Goethe nebst einigen einleitenden Bemerkungen


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