Letzte Fahrt. Robert Falcon Scott
Felsblöcke entlangruderten, meinten wir scherzend, wenn solch ein Block auf uns herunterfalle, würden wir den Spaß wohl nicht lange überleben. Doch war uns dabei etwas beklommen zumute, und wir waren froh, dass wir uns von hier wieder zum Schiff hinwenden konnten. Kaum waren wir etwa zwei-, dreihundert Meter von jener Stelle entfernt, als plötzlich ein donnerähnliches Krachen hinter uns ertönte und etwas mit laut klatschendem Schlag in die See stürzte, die hoch aufspritzte. Eine erstickende Wolke Gesteinsstaub hatte sich erhoben gleich dem Rauch bei einer Explosion, und als sie sich verzog, sahen wir, welch einem Unheil wir entgangen waren: Derselbe Block, über dessen bedrohliches Herabhängen wir gescherzt hatten, war abgestürzt und würde, wenn wir noch in seinem Bereich gewesen wären, uns alle vernichtet haben!
Überhaupt war diese Ruderfahrt mehr als aufregend. Ehe wir wieder an Bord gelangten, hatten wir noch das Vergnügen, es mit ansehen zu müssen, wie ein mächtiger Gürtel Packeis die »Terra Nova« so dicht an jene Klippen herandrängte, dass ihr nur die Wahl zu bleiben schien, entweder an den Felsen zu zerschellen oder sich dem Eis gefangen zu geben. Zu wenden oder die Maschine rückwärts zu stellen und mit dem Heck voran den Packeisgürtel zu durchbrechen, dazu war weder Zeit noch Raum, denn so schnell funktionierte leider die Maschine nicht. Als sich das Schiff schließlich doch noch durchzwängte, erhielt es schwere Stöße unter dem Heck und gegen das Steuer, denn die Schollen waren mächtig und die Dünung sehr stark.
Nachdem unser Walfischboot wieder glücklich an Bord gebracht war, fuhr die »Terra Nova« zum Pinguinbrutplatz. Die Hoffnung auf eine günstige Landungsstelle war so gut wie aufgegeben und belebte sich auch nicht wieder.
Die Pinguine waren vom Schiff aus deutlich zu erkennen. Auf dem großen Brutplatz bedeckten sie einen ungeheueren Flächenraum; sie hatten sich dort so weit ausgedehnt, wie sich nur irgend Schutz finden ließ. Ich beobachtete sogar zahlreiche Gruppen dieser Vögel auf den fern von den Brutplätzen hoch über der See emporragenden Schneehängen, was mich sehr wunderte. Was für ein gutes Leben müssen hier die Schwertwale haben, von denen sich mehrere dicht neben dem Schiff aus dem Wasser erhoben. Auf dem kleinen Brutplatz bildeten die Tiere vorläufig nur vereinzelte Flecke, und hier war noch reichlich Platz zur Ausdehnung der Kolonien. Solche unbenutzten Stellen hätten eine ideale Winterstation für uns abgegeben, und jede Einzelheit des Ufers sah vorteilhaft für eine Überwinterung aus. Jammerschade ist es, dass ich diesen, uns allen schon lieb gewordenen Plan, hier zu überwintern, widerwillig und betrübt aufgeben muss.
Mittwoch, 4. Januar, 1 Uhr nachts. Auf der Höhe des Kap Bird trafen wir auf Packeis, fuhren durch mehrere Eisströme und konnten dann einer offenen Wasserrinne dicht in der Nähe der eisgepanzerten Küstenlinie folgen. Kap Bird ist ein rundes Vorgebirge mit zahlreichen Landzungen, sodass es schwer zu sagen ist, welche von ihnen das eigentliche Kap ist. Westlich von ihm dehnt sich eine weite braunrötliche Landfläche aus mit zahlreichen grauen Flecken; es sind erratische Blöcke aus Granit. Mithilfe des Fernrohrs sahen wir einen dieser Blöcke auf einem Gipfel in mindestens 400 Metern Höhe über der See liegen.
Auch auf dieser Landfläche des Kap Bird befinden sich ein größerer und mehrere kleine Pinguinbrutplätze, und auch hier waren die Schwertwale zur Stelle. Wir beobachteten einen alten mit einer hohen Rückenflosse und verschiedene junge. Eine kleine Gesellschaft Pinguine schoss durch das Wasser ihren Feinden gerade entgegen; sie mussten bei ihren häufigen Luftsprüngen die dunkeldrohenden Flossen der Wale gesehen haben, nahmen aber nicht die geringste Notiz davon – ja sie huschten sogar über die Walfische hinüber, ohne dass ein Tumult im Wasser bemerkbar war, und schwammen dann auf der anderen Seite weiter. Wir konnten uns diese spielende Verträglichkeit der beiden Erzfeinde nur dadurch erklären, dass die Wale von ihrer letzten Mahlzeit noch übersättigt waren.
Als wir heute Kap Bird umfuhren, wurden in der nebligen Luft undeutlich unsere alten unvergesslichen Landmarken, der Mount Discovery und die Westberge, sichtbar; mit herzlicher Freude erkannte ich sie wieder. Es mutete so heimatlich an, die von der Fahrt der »Discovery« so vertrauten Schauplätze wiederzusehen. Am Ende sind wir auf dieser Seite der Ross-Insel doch besser aufgehoben! Kap Royds ist nur noch 9 Kilometer entfernt – dort müssen wir hin!
4 Uhr nachmittags. Diese Fahrt ist voller Überraschungen! Früh um 6 kamen wir 5 Kilometer nördlich von Kap Royds durch das letzte Packeis der Meerenge und steuerten nach dem Kap hin, in der festen Erwartung, den Rand des Packeises westwärts von ihm zu finden. Zu unserem größten Erstaunen fuhren wir aber über das Kap hinaus in freiem Fahrwasser, das nur stellenweise dünnen Eisschlamm führte. So ging es an Kap Royds, dann an Kap Barne vorüber, an der Südseite des Gletschers entlang, schließlich um Inaccessible Island herum und darüber hinaus noch gut 4 Kilometer südlicher; ja wir hätten noch weiter fahren können, aber dann schien der Eisschlamm dicker zu werden, und außer Kap Armitage, der noch 22 Kilometer entfernten äußersten Südspitze der Ross-Insel, auf deren kleiner Landzunge »Hut Point« (Hüttenspitze) ehemals die Hütte der Discovery-Expedition stand, gab es hier keinen Ort, der zum Überwintern geeignet gewesen wäre. Niemals habe ich das Eis dieser Meerenge so harmlos gesehen und das Land so frei von Schnee. Offenbar war der letzte Sommer ungewöhnlich warm und wir hatten nunmehr eine sehr reiche Auswahl bei der Entscheidung über unser Winterquartier. Wir konnten auf einer der kleinen Inseln landen, an der Gletscherzunge, am Festland, überhaupt überall, ausgenommen an der Hüttenspitze. Ich wünschte vor allem einen Platz, an dem wir nicht leicht von der Eisbarriere abgeschnitten werden konnten, und meine Wahl fiel auf ein Vorgebirge etwas hinter uns, das wir das »Raubmöwenheim« zu nennen pflegten. Es war von der alten Discoverystation durch zwei tiefe Meeresbuchten auf beiden Seiten der Gletscherzunge getrennt, die voraussichtlich bis spät in den Sommer hinein zugefroren blieben und deren Eis außerdem, wenn sie einmal zufroren, bald fest zu werden versprach.
Ich berief eine Ratsversammlung und unterbreitete ihr meine Vorschläge: entweder zur Gletscherzunge vordringen und dort überwintern – oder westwärts nach dem »Grabsteineis« und an der Nordseite des »Raubmöwenheims« einen Weg zu einem einladenden Platz bahnen. Ich war für das Letztere, und nach einer gründlichen Diskussion stimmten alle meinem Vorschlag zu. Wir wendeten also, fuhren dicht am Land um Inaccessible Island herum und steuerten in voller Fahrt nach dem festen Eis quer vor dem genannten Kap.
Ungefähr 3 Kilometer vom Ufer stieß das Schiff auf hartes Buchteis, das eine Straße nach dem Kap und eine haltbare Oberfläche zum Ausschiffen unserer Vorräte bot. Hier machten wir uns mit Eisankern fest und Wilson, Evans und ich gingen zum Kap, das ich zunächst, unserem trefflichen Kommandanten zu Ehren, in Kap Evans umtaufte. Ein Blick auf das nahe Land zeigte einen idealen Platz für unsere Winterstation. Das Gestein dieses Vorgebirges besteht vorwiegend aus stark verwittertem Olivinkenyt, und die Zersetzung hat große Mengen groben Sandes gebildet. Ein nach Nordwest gelegener Strand, der im Rücken durch zahlreiche Hügel geschützt war, schien alle Vorzüge für eine Winterstation in sich zu vereinigen und diesen Platz wählten wir deshalb zur Errichtung unseres Hauses.
Nach langem Grollen hat uns Fortuna mit ihrem freundlichsten Lächeln beglückt! Seit vierundzwanzig Stunden haben wir Windstille mit glänzendem Sonnenschein, können uns daher in dieser Gegend der Welt nicht gut behaglicher fühlen. Der warme Sonnenglanz, verbunden mit der scharfen Kälte der Luft, hat etwas ungemein Stärkendes, während das goldene Licht auf dieser wundervollen Berg- und Eislandschaft auch die höchste Anforderung an Großartigkeit der Szenerie befriedigt. Ponting, unser Fotograf, ist ganz hingerissen und gebraucht Ausdrücke, die überall anderswo hochgradig überspannt genannt werden müssten, und mir fehlen die Worte, um das Ergreifende dieses wundervollen Panoramas, das sich vor unseren Augen entfaltet, auch nur anzudeuten.
Die Landung an Kap Evans
Während wir am Ufer von Kap Evans waren, begann Campbell schon mit der Ausschiffung. Zuerst wurden zwei Motorschlitten hervorgeholt und standen bald blitzsauber und tadellos auf dem Eis; das Seewasser, das bei dem stürmischen Seegang auf der Herfahrt oft tonnenweise über ihre Kisten spülte, hatte ihnen also nichts geschadet. Dann kam die Reihe an die Ponys, die in Kästen von der Höhe des Schiffs herunterbugsiert wurden. Manche ließen sich nur durch freundliches Zureden oder durch die starken Arme der Matrosen in die Gestelle hineinbringen und begannen sogar zu bocken, so mager und kraftlos sie auch aussahen. Von dem Augenblick an,