Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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und an­stän­dig ge­wor­den sind.

      Es ist aber ei­ner­lei; auf dem Grun­de un­se­rer See­le schla­fen doch alle al­ten fröh­li­chen Nei­gun­gen. Wir ge­hen noch von dem »großen Nuss­baum« aus den Un­se­ri­gen durch; der ein­zi­ge Un­ter­schied ist, dass die Mäd­chen (auch Ire­ne) noch ein we­nig mehr Ein­wen­dun­gen zu ma­chen ha­ben und dass wir es zu Hau­se mit­tei­len, dass wir »aus­ge­hen«, und uns die Er­laub­nis nicht ohne wei­te­res selbst neh­men. Frü­her frei­lich lie­ßen wir alle un­se­re Sor­gen den lie­ben An­ge­hö­ri­gen, heu­te neh­men wir schon ein gut Teil un­se­rer ei­ge­nen Sor­gen auf alle un­se­re Wege, auch auf die lus­tigs­ten, mit uns.

      Und da sind wir wie­der auf dem Wege, von dem wir erst im An­fan­ge die­ses Ka­pi­tels beim sü­ßen Licht des Mon­des und beim Lam­pen­schim­mer der Hei­mat zu­rück­kehr­ten. Es ist wie­der Som­mer, und wie­der steht Mond­schein im Ka­len­der. Wir ge­hen wie­der auf Be­such zu dem Vet­ter Just nach dem Stein­ho­fe; aber nicht nur, wenn zwei das­sel­be tun, ist es nicht das­sel­be: auch wenn man zwei­mal das­sel­be tut, ist es gleich­falls nicht mehr das­sel­bi­ge. Die Na­men, die Adam den Din­gen gab, blei­ben wohl, und die Mensch­heit darf sie dreist da­bei nen­nen; aber flüch­tig sind des Men­schen Auf­fas­sun­gen und Be­grif­fe: was er heu­te so nennt wie ges­tern, ist heu­te nicht mehr das, was er ges­tern dar­un­ter ver­stand. Wir ge­hen tau­send­mal den näm­li­chen Weg, aber nim­mer wie­der den­sel­ben; –

       Ach, und in dem­sel­ben Flus­se

       Schwimmst du nicht zum zwei­ten Mal.

      Gott­lob, das Echo in un­se­ren Ber­gen und Wäl­dern wach­zu­ru­fen, ha­ben wir noch nicht ver­lernt – Ewald und ich näm­lich.

      »Hol­la, der Stein­hof: Heda, he, Vet­ter! Vet­ter Just Ever­stein!«

      »Hol­la, hol­la, hier!« klingt es zu­rück, und der Vet­ter, nun­mehr fünf­und­zwan­zig Jah­re alt, kommt lang­sam und lang­bei­nig, un­be­hol­fen, fett und äu­ßer­lich un­sag­bar ver­tiert, die kur­ze Pfei­fe im Mun­de, über sei­nen Hof uns ent­ge­gen, nach dem Hau­se zu­rück­ru­fend:

      »Jule, da sind sie.«

      Und wie­der er­scheint Jule Gro­te auf der Hau­stür­trep­pe, um fünf Jah­re he­xen­haf­ter von au­ßen und weich­mü­ti­ger von in­nen ge­wor­den.

      »O mein Je, die jun­gen Herr­schaf­ten! Die Ehre und das Ver­gnü­gen wer­den ja je­des Mal grö­ßer; denn so wie die jun­gen Leu­te, mit Er­laub­nis zu sa­gen, her­an­wach­sen, das glaubt gar kei­ner, der es nicht im­mer von neu­em mit an­sieht.«

      »Und du hast uns wie­der vor­auf­ge­ahnt, Vet­ter Just?« lacht Ewald.

      »Na­tür­lich! Und so­wohl von we­gen der See­len­kun­de als der Wit­te­rungs­kun­de. Nach wem habt ihr euch denn wohl am meis­ten wäh­rend des vier­zehn­tä­gi­gen Land­re­gens hin­ge­sehnt als nach mir? Me­teo­ro­lo­gie nennt man die­ses, wenn man sei­ne Freun­de ge­nau kennt und zu glei­cher Zeit mit der Land­wirt­schaft zu schaf­fen hat.«

      »Wahr­lich, so ist es, Herr Vet­ter!« lacht auch Ire­ne, die Hän­de zu­sam­menschla­gend, und Eva lacht auch, und der Vet­ter gibt der letz­te­ren zu­erst die Hand; denn sie macht sich im­mer noch von al­len am we­nigs­ten über ihn lus­tig, das heißt gar nicht; und er weiß das umso mehr zu schät­zen, je »ge­lehr­ter« er ge­wor­den ist und wei­ter wird. Der Ernst und die ernst­haf­te Teil­nah­me sei­ner Um­ge­bung und gu­ten Be­kann­ten hält selbst­ver­ständ­lich nicht Schritt mit sei­nen Fort­schrit­ten in Bil­dung und Wis­sen­schaf­ten. Im Ge­gen­teil, sie bleibt sehr zu­rück da­hin­ter, und die gute Be­kannt­schaft nimmt ihn im­mer ver­gnüg­ter, was man ihr schon hät­te hin­ge­hen las­sen kön­nen, wenn nicht lei­der be­reits Leu­te dar­un­ter ge­we­sen wä­ren, die auf sei­ne »Ver­rückt­heit« spe­ku­lier­t hät­ten und ei­ge­ne Be­stre­bun­gen dar­auf bau­ten. Die la­chen nur hin­ter sei­nem Rücken, und er hat kei­ne Ah­nung von ih­nen, trotz­dem dass Jule Gro­te ihn tag­täg­lich auch auf das auf­merk­sam macht und mit der Nase dar­auf hin­stößt.

      Die La­cher nimmt er in ge­wohn­ter Wei­se leicht.

      »Das ist mir ganz ei­ner­lei«, meint er. »Ich den­ke sie mir al­le­samt rück­wärts, wie sie alle an ih­rer Mut­ter Brust ge­so­gen oder eine Amme ge­habt ha­ben oder mit Brei auf­ge­füt­tert sind, und wie kei­ner was für sei­ne Na­tur kann und ich auch nicht. Wenn ich da muf­fig wer­den woll­te, so hät­te ich wohl man­che an­de­re bes­se­re Ge­le­gen­heit zur Wut. Ich habe doch al­les ver­sucht. Ich habe mir eine Ka­na­ri­en­vö­gel­he­cke an­ge­legt, und ich habe mich auf die Bie­nen­zucht ge­wor­fen – oben ste­hen die Bü­cher über bei­des, und es ist eine gan­ze Rei­he ge­wor­den. Ich habe es mit der wis­sen­schaft­li­chen Ver­bes­se­rung der hie­si­gen Acker­stel­le in öko­no­mi­scher Hin­sicht pro­biert und – oben ste­hen die Bü­cher auch, und da habe ich nicht den tau­sends­ten Teil von dem, was dar­über er­schie­nen ist, aber eine schö­ne Rei­he ist es doch. So wahr ich hier ste­he, es ist mir bit­te­rer Ernst um mei­ner Vä­ter Erbe, ob­gleich ich noch nicht ein­mal wie sie ver­hei­ra­tet bin und Nach­kom­men­schaft habe. Der lie­be Gott weiß es, wie oft ich mich schon dem Teu­fel vor Angst und Ver­druss hät­te über­ge­ben mö­gen!«

      Die­ses pfleg­te er zu sa­gen; au­gen­blick­lich aber brummt er im höchs­ten Be­ha­gen:

      »Wir sind eben beim Früh­stück. Kommt nur rasch her­ein. Jule!«

      »Ich weiß ja schon, Just«, ruft die Alte, die har­te treue Hand im Krei­se her­um­rei­chend. »Al­les, wie es sich schickt. Vor­lieb­neh­men ist auch was, was der lie­be Gott gern hat.«

      Da ist nun die alte gute Bau­ern­stu­be des Stein­ho­fes zum zwei­ten Mal. Wie­der voll Au­gust­flie­gen und mit all dem üb­ri­gen Zu­be­hör – auch den Hüh­nern.

      »Al­les im­mer noch so wie sonst«, grinst der Vet­ter. »Tre­tet mir nur die Kü­ken nicht tot. Aber ein Skan­dal ist es ei­gent­lich und schickt sich gar nicht, Fräu­lein Eva. Wenn ich mir die Mast­vieh­zucht – ich will mal sa­gen, die Schwei­ne – aus dem Sa­lon ent­fernt hal­te, so kom­me ich da­mit an die Gren­zen des Men­schen­mög­li­chen, Fräu­lein Ire­ne. Das Ge­dicht von Goe­the ›Gren­zen der Mensch­heit‹ ist da ganz auf mei­nen Fall und mei­ne Um­stän­de ge­macht.«

      »Weil wir alle wis­sen, dass wir hier je­der­zeit so, wie wir er­schaf­fen wur­den, will­kom­men sind, des­halb sind wir alle Au­gen­bli­cke bei Ih­nen, Vet­ter«, lacht die Kom­tes­se. »O, küm­mern Sie sich Evas und mei­net­we­gen gar nicht um die Gren­zen der Mensch­heit. Las­sen Sie dreist al­les her­ein, was von Rechts we­gen zum Stein­ho­fe ge­hört.«

      »Und dies ist wie­der Schin­ken!« stot­tert der Vet­ter blö­de glück­se­lig. »Und zu emp­feh­len, Fräu­lein. Se­hen Sie, ein Bar­bar bin ich auch ge­gen die­se lie­ben Bors­ten­tie­re nicht. Ein je­der muss doch nach sei­nem Nut­zen in der Welt ta­xiert wer­den – auch das Por­cus! Nicht wahr, Ewald? Nicht wahr, Fritz? Jule, mehr Milch für die Da­men!«

      Wir tun ihm den Ge­fal­len und la­chen über sei­nen Witz herz­lich; nur Ewald be­merkt dazu:

      »Dre­he mal den Schlüs­sel dort im Schrank und rücke mit ei­nem Nord­häu­ser auf den Schre­cken her­aus!«

      Wir sind dies­mal mehr un­ter uns. Die Leu­te sind drau­ßen im Fel­de oder sonst in Adams Be­ru­fe tä­tig. Die alte Jule geht ab und zu.

      Wenn der Vet­ter eben noch


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