Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


Скачать книгу
ihre Zu­hö­rer über die­se be­hag­li­che­ren Ti­sche und Sub­sel­li­en aus. Pri­vat­do­zen­ten von al­len Sor­ten scho­ben sich ein; da­zwi­schen groß­städ­ti­sches Volk von jeg­li­cher Art. Mir schwin­del­te, ich glaub­te zu träu­men, wenn ich an den Stein­hof und un­ser trost­lo­ses Ab­schieds­früh­stück da­selbst dach­te. Und ich dach­te in die­ser auf­ge­reg­ten Mi­nu­te wirk­lich dar­an, so son­der­bar das er­schei­nen mag, vor­züg­lich dem mit mehr Mus­keln als Ner­ven von der wohl­mei­nen­den Na­tur aus­ge­stat­te­ten Er­den­bür­ger.

      Ich er­griff die Hand, die mir über den Tisch zu­ge­reicht wur­de; breit war sie im­mer noch, aber ich hat­te auch den har­ten bie­de­ren Griff vom Stein­ho­fe in der Erin­ne­rung und nahm die wei­chen Fin­ger jetzt eben­falls als et­was ganz son­der­bar Un­statt­haf­tes.

      »O Vet­ter Just!«

      »Ja­wohl! Und ich freue mich merk­wür­dig, lie­ber Jun­ge. Viel ins Gera­de ge­wach­sen ist er nicht mehr in den Jah­ren! Aber das ist auch schön; da fin­det man doch auch hier et­was wie­der, was so ist, wie es war –«

      »Und wie lan­ge bist du in der Stadt, Just?«

      »Da­von nach­her! Ich glau­be wahr­haf­tig, der Kerl ist im­stan­de und meint, dass ich schon seit acht Wo­chen Wand an Wand mit ihm woh­ne, ohne ihn auf­ge­fun­den zu ha­ben! Ist es denn mög­lich, dass ein al­ter Freund so schlecht von dem an­de­ren den­ken kann?«

      »Wie kannst du ver­lan­gen, Vet­ter, dass ich in die­sem Mo­ment ge­nau über­le­ge, was ich sage und fra­ge? Wo kommst du her?«

      »Auch das noch!… Well, aus Ame­ri­ka na­tür­lich, wo die Leu­te in je­dem Mo­men­te ganz ge­nau wis­sen, was sie sa­gen und was sie fra­gen. Und nun, weißt du was, Fritz? Nun tun wir fürs ers­te, als ob kei­nem von uns bei­den et­was be­son­ders Merk­wür­di­ges pas­siert sei. Jetzt es­sen wir mit mög­lichs­ter Ruhe zu Mit­tag und be­se­hen uns still­schwei­gend wäh­rend­dem. Kei­ner nimmt es dem an­de­ren übel, wenn er bei dem Stu­di­um auch ein­mal den Kopf schüt­telt. What will you drink? Al­ter Kerl, wenn ich wei­ter nichts mit über das Was­ser zu euch zu­rück­ge­bracht hät­te als den al­ten gu­ten Ma­gen vom Stein­ho­fe (Frit­ze, nach­her sto­ßen wir drauf an!), so wäre auch das schon gar nicht zu ver­ach­ten. Wie sagt Ci­ce­ro in die­sem Fal­le?… Na?!… Kell­ner, die Wein­kar­te! Ach ja, die schö­ne Zeit, wo man al­les Gute, was kam, als et­was sich ganz von selbst Ver­ste­hen­des nahm!«

      Das war nun al­les so hin­ge­sagt, als ob der Mann er­war­te, dass man mit dem son­nigs­ten La­chen dar­auf Ant­wort gebe; und ich lach­te auch, wie man hie und da über et­was ganz Neu­es lacht, dem man eben noch auf kei­ne an­de­re Wei­se bei­kom­men kann. Es war mir nie im Le­ben et­was so neu er­schie­nen als der Vet­ter Just Ever­stein, die­ser alte gute Be­kann­te. Rat­los, wie und wo er am rich­tigs­ten an­zu­fas­sen sei, fing ich me­cha­nisch an, mei­ne Sup­pe her­un­ter­zu­löf­feln, aber ohne ihn für den kür­zes­ten Au­gen­blick aus den Au­gen zu las­sen. Ihm aber schi­en das großen Spaß zu ma­chen, ihm, der so vie­le Jah­re hin­durch so oft un­ser Er­göt­zen auf dem Stein­ho­fe ge­we­sen war.

      »Dir ist es gott­lob gut ge­gan­gen«, stam­mel­te ich, und:

      »Bes­ser, als ich’s ver­dien­te«, er­wi­der­te der Vet­ter Just. »Ci­ce­ro hat sich je­des Mal nach ei­ner län­ge­ren Rei­se für das hei­mat­li­che Ge­wächs er­klärt, und wenn es noch so ver­fälscht war; und sie ha­ben den Fa­ler­ner da­mals si­cher­lich schon ge­ra­de so ver­manscht wie heu­te hier die­sen Rü­des­hei­mer. Des­sen­un­ge­ach­tet also: Auf dein Wohl, Fritz!«

      »Auf dein Wohl, Vet­ter Just!« stot­ter­te ich und sah wie­der stumm hin nach dem al­ten wa­cke­ren Freun­de.

      Das über­ra­schen­de Wie­der­se­hen hin­der­te ihn in der Tat nicht, sich ge­ra­de­so durch die Spei­se­kar­te des Ber­li­ner Re­stau­rants durch­zu­ar­bei­ten wie vor­dem durch al­les Gute, was un­se­re Jule Gro­te auf den Tisch setz­te, und nach­her ver­stoh­len und »ver­mit­telst ei­nes zwei­ten Schlüs­sels« durch sei­ne Schin­ken-, Speck- und Wurst­kam­mer.

      »Noch ein­mal auf dein Wohl, Fritz Lan­greu­ter!«

      »Und auf dei­nes so­oft du willst, Just, und – die alte Jule soll le­ben!«

      Da war das lö­sen­de Wort, das ich bis jetzt so ver­geb­lich zu fin­den ge­sucht hat­te.

      »Hur­ra, das soll sie!« rief der Vet­ter, auf den Tisch schla­gend, dass al­les Ta­fel­zeug em­por­hüpf­te und man von sämt­li­chen üb­ri­gen Ti­schen sich nach uns um­dreh­te.

      »Sie lebt doch hof­fent­lich noch und be­fin­det sich wohl? Sie muss frei­lich jetzt wohl –«

      Der Vet­ter hat­te sei­ne Ser­vi­et­te ne­ben dem Tel­ler nie­der­ge­legt, den Tel­ler von sich ab­ge­scho­ben und die Hän­de auf die Knie fal­len las­sen.

      »Old boy, wenn du in die Frem­de hin­aus­ge­musst hät­test und ich zu Hau­se ge­blie­ben wäre, so wäre ich dir, wie ich mich ken­ne, hof­fent­lich mit die­ser Fra­ge vom Lei­be ge­blie­ben. Nimm es mir nicht übel, Frit­ze, aber von Rechts we­gen müss­test du doch ei­gent­lich wis­sen, dass sie noch lebt. Nimm es nur nicht übel, dass sie auch die gan­zen Jah­re, in wel­chen wir uns nicht ge­se­hen ha­ben, noch ge­lebt hat. Üb­ri­gens dan­ke ich für gü­ti­ge Nach­fra­ge, Fritz­chen! Sie sitzt wie­der ganz gut und, ihr Al­ter und Tem­pe­ra­ment ab­ge­rech­net, recht ver­gnügt auf dem Stein­ho­fe.«

      »Auf dem Stein­ho­fe?… Sie hat – du hast – den Stein­hof wie­der, Just?«

      »Na­tür­lich!« sag­te der Vet­ter Just Ever­stein, als ob das das Na­tür­lichs­te von der Welt ge­we­sen wäre. Kein rö­mi­scher Kai­ser, der je eine ver­lo­ren­ge­gan­ge­ne Pro­vinz zum Deut­schen Rei­che zu­rück­brach­te, hät­te das selbst­ver­ständ­li­cher fin­den kön­nen: das we­nigs­tens muss­te ich aus mei­nen Ge­schichts­for­schun­gen und mei­nem mit­tel­al­ter­li­chen Quel­len­stu­di­um wis­sen; und der Vet­ter Just hat­te voll­kom­men recht: es war er­bärm­lich we­nig, was ich von der Welt durch mein Quel­len­stu­di­um in Er­fah­rung ge­bracht und da­rin be­hal­ten hat­te.

      Nun hät­te ich dreist auch mein stum­mes Stu­di­um der jet­zi­gen äu­ße­ren Er­schei­nung des Ju­gend­freun­des von neu­em über den Wirt­s­tisch weg be­gin­nen kön­nen. Aber je nö­ti­ger es war, de­sto un­mög­li­cher war es gleich­falls. Nie war mir das Ge­tö­se, das Ge­klap­per und Ge­klirr, das Kom­men und Ge­hen rund­um­her so wi­der­wär­tig und un­be­hag­lich ge­we­sen als jetzt. Ich sah nur wie hilf­los in das gute Ge­sicht mir ge­gen­über, und der Vet­ter Just nick­te nur lä­chelnd und brumm­te:

      »Jaja, es ist wohl nicht der rich­ti­ge Ort hier zu dem, was wir ein­an­der viel­leicht doch et­was weit­läu­fi­ger zu er­zäh­len ha­ben. Das Ge­tränk passt auch nicht recht zu der Fei­er­lich­keit der Stun­de; es macht sei­nem Schuft von Ver­fer­ti­ger wohl alle Ehre, aber me­lan­cho­lisch stimmt es doch. Weißt du was, Al­ter? Jetzt nimmst du mich mit nach Hau­se. Da hocken wir ein­mal wie­der zu­sam­men wie in mei­nem Er­ker auf dem Stein­ho­fe – weißt du noch? Ach Gott, wie habe ich mir da drü­ben so oft nach dem Er­ker und des Groß­va­ters Wis­sen­schafts­schran­ke das Herz ab­ge­sehnt!… Al­ter Kerl, und ich woh­ne jetzt wie­der dar­in – den Schrank hat frei­lich da­mals der Auk­tio­na­tor ge­holt. Dass Ire­ne Ever­stein au­gen­blick­lich hier auch in der Stadt wohnt, wirst du ja­wohl wis­sen,


Скачать книгу