Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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darf man es ih­nen, auch im Hin­ter­wal­de oder auf der Prä­rie, auch nicht, was man au­ßer sei­nen zwei gro­ben Fäus­ten mit­ge­bracht hat, son­dern sie müs­sen es nach und nach ganz von sel­ber mer­ken. Nun stel­le dir den Vet­ter Just vor in ei­nem Lan­de, wo je­des Kind, so­wie es das Licht der Welt er­blickt hat, so­fort sich auf das Prak­ti­sche legt und mit sei­nen El­tern über sei­ne ers­ten na­tür­li­chen Ge­schäf­te an zu han­deln fängt! Nicht wahr, da brauch­te der ban­ke­rot­te Bau­er vom Stein­ho­fe nicht erst eine Glat­ze zu krie­gen, um zum Kin­der­spott zu wer­den? Es war der ers­te Vor­teil, den ich aus mei­ner hei­mi­schen Dumm­heit zog, dass ich die­ses ein­se­hen und mich dar­auf ein­rich­ten konn­te. – Ach, Fritz, es ist manch­mal dem Men­schen nichts dien­li­cher, als dass er mal so recht voll­stän­dig um­ge­kehrt wird! Wenn das Al­lerin­ners­te nach au­ßen kommt, dann er­fährt er erst, was ei­gent­lich al­les in ihm ge­steckt hat und was ihm nur an­ge­flo­gen war. Jetzt kehrst du zu­erst den Bau­er her­aus, Just! den­ke ich mir, mit der Faust vor der Stirn, – den Ur­bau­er, den deut­schen Bau­er aus der Zeit, wo er sich noch nicht einen Öko­no­men schimp­fen ließ. Drei­dräh­tig, Just! Schon um der al­ten Jule wil­len. Eben­so dick als lang, und wäre es auch nur der Ehre des deut­schen Va­ter­lan­des we­gen. Mist bleibt über­all Mist und hat über­all die­sel­be Wir­kung in der schö­nen Na­tur, ei­ner­lei ob in dem al­ten Eu­ro­pa oder in dem jun­gen Ame­ri­ka. Und dann – muss man denn im­mer in sei­nem ei­ge­nen Bet­te schla­fen und den Schlüs­sel zu sei­ner ei­ge­nen Rauch­kam­mer in der Ta­sche her­um­tra­gen? Uh, das Fleisch ist mir da wirk­lich von den Kno­chen ge­fal­len; aber ge­r­eckt habe ich mich auch. Du glaubst es wahr­schein­lich nicht; aber einen gu­ten Zoll bin ich ganz ge­gen die Na­tur in Ame­ri­ka noch ge­wach­sen. Das Land hat das wirk­lich na­tur­ge­schicht­lich so an sich, dass es sei­ne Leu­te wie zä­hes Le­der aus­ein­an­der­zieht. Ist dir mein Hals nicht auf­ge­fal­len? Na ja, auf dem Stein­ho­fe steck­te er mir ganz an­ders zwi­schen den Schul­tern! Nimm es mir nicht übel, das soll­te kein Stich auf dich sein; denn bei dir ist das ganz was an­de­res, du bist ein glor­rei­cher deut­scher Ge­lehr­ter und pas­sest mit dei­ner dün­nen Nase ganz nach der Re­gel zu dei­ner üb­ri­gen Fi­gur. Aber wir – das deut­sche Volk im großen und gan­zen, wie lan­ge müs­sen wir noch selbst dem Un­ter­of­fi­zier dank­bar sein, der uns zum Gera­de­ste­hen ani­miert und uns das Kinn mit der Faust in die Höhe stößt, um uns auf das stol­ze Blau über uns auf­merk­sam zu ma­chen?! Das war eine Ab­schwei­fung, rech­ne ich; und da bin ich also auf ei­ner Farm mit­ten im Staa­te Wis­con­sin – auf ei­ner Farm –, zah­le mein Lehr­geld als Ackers­mann auf Er­den nach­träg­lich und hole vie­les nach, was ich auf dem Stein­ho­fe aus Faul­heit und Dumm­heit ver­säumt habe; – mein ein­zi­ger Ver­lass die Mus­keln, die mir Jule Gro­te an­ge­füt­tert hat­te. Ein biss­chen kli­ma­ti­sches Fie­ber ab­ge­rech­net, ging es auch so ziem­lich. Aber das Gerä­te! Da­mit habe ich jah­re­lang mei­ne lie­be Not ge­habt, bis ich es mir hand­ge­recht ein­stu­diert hat­te. Nimm nur mal solch eine Yan­kee-Axt an. Und dann ihre Ver­bes­se­run­gen an ih­ren Pflü­gen zwi­schen ih­ren Baum­stump­fen. Selbst das Äl­tes­te, was Adam schon kann­te, kommt ei­nem da neu vor. Bis auf den Griff am Spa­ten musst du dort als deut­scher Acker­knecht von fri­schem in die Leh­re ge­hen. Aber in der Not frisst der Teu­fel Flie­gen, und by de­grees mach­te sich die Sa­che ganz gut. Wir Ge­lehr­ten nen­nen das ja­wohl eine fe­lix cul­pa, wenn sich ei­ner zu sei­nem Glück und bes­se­ren Ver­ständ­nis bla­miert und sich elend und lä­cher­lich macht? Wir hat­ten ein­mal einen thü­rin­gi­schen ver­un­glück­ten Pfar­rer in Lied­lohn ge­nom­men, der sprach viel hier­von. Ei­ner­lei; ich sage dir, Frit­ze, man muss so einen wa­cke­ren Erb­sitz und Ur­vä­te­rei­gen­tum wie den Stein­hof wie im Traum von der Hand weg­ge­bla­sen ha­ben, um es im vol­len ein­zu­se­hen, was für ein glor­rei­ches Hand­werk Adams Hand­werk ist! So ist es aber mit al­len gu­ten Din­gen, die uns in die Hand wach­sen, in die Win­del ein­ge­bun­den oder auf dem Prä­sen­tier­tel­ler ge­bracht wer­den. Erst ver­du­de­le du sie, dann lernst du sie nach ih­rem gan­zen Wert und Be­ha­gen ab­schät­zen! Wenn ich es heu­te nicht noch zu al­lem üb­ri­gen hier bei euch zum Ti­tel Öko­no­mie­rat brin­ge, so – na, ich will lie­ber nicht sa­gen, was Karl Hein­zen drü­ben dann in die­sem Fal­le sa­gen wür­de! – Her­zens­jun­ge, es ist jam­mer­scha­de, dass du in je­ner Zeit nicht bei mir warst, um dein Plä­sier ge­ra­de­so an mir zu ha­ben wie im grü­nen Gra­se un­ter mei­nes Va­ters al­ten Kir­schen­bäu­men oder in mei­ner ganz ver­rück­ten Er­ker­stu­be. O, hät­te ich nur manch­mal die alte Jule, dich, Ewald und die bei­den Mäd­chen nach Neu-Min­den he­xen kön­nen. Wenn man ab­so­lut ein­mal zu re­nom­mie­ren wünscht, so re­nom­miert man am liebs­ten vor sei­nen nächs­ten Be­kann­ten, Ver­wand­ten und bes­ten Freun­den, wahr­schein­lich eben, weil die doch nie an einen glau­ben. Neu-Min­den hieß un­se­re An­sie­de­lung, und al­les in al­lem ge­rech­net, jung und alt zu­ein­an­der, wa­ren wir so zir­ka fünf­zig bis sech­zig Köp­fe stark. Im­mer ein hüb­scher Kern! Der Ge­ne­ral Va­rus auf sei­nem Mar­sche durch Deutsch­land hat wahr­schein­lich erst bei Det­mold einen bun­te­ren Hau­fen von uns, und zwar zu sei­nem Scha­den, auf ei­ner Stel­le zu­sam­men er­blickt. Neu-Min­den! Ein net­ter Name und ein ab­son­der­lich Sam­mel­su­ri­um deut­schen Vol­kes – von je­der Sor­te a G’schmäck­le, wie die drei oder vier Schwa­ben un­ter uns sag­ten. Drei bis vier Dut­zend Kin­der­flachs­köp­fe wuch­sen uns zwi­schen den Bei­nen, Schwei­nen, Baum­stump­fen und Fen­zen auf, und das war die Haupt­sa­che, und wer auch Prä­si­dent sein moch­te – die­ses mach­te ihm kei­ne grau­en Haa­re; einen Kul­tus­mi­nis­ter schick­te er uns nicht, um Ord­nung zu stif­ten, nach Neu-Min­den. Ihm war es in sei­nem Wei­ßen Hau­se in Wa­shing­ton voll­stän­dig ei­ner­lei, auf wel­che Wei­se sich sei­ne Bür­ger die Fä­hig­keit, sei­ne Nach­fol­ger in die­sem Wei­ßen Hau­se zu wer­den, er­war­ben. Nun, da freue ich mich, dass ich dreist be­schwö­ren kann, dass es im­mer noch et­was auf sich hat mit dem deut­schen Ge­wis­sen, näm­lich so­weit es sich um Va­ter­pflich­ten und Mut­ter­sor­gen han­delt, ei­ner­lei, ob es ihm ab­so­lut gleich­gül­tig ist, wer Prä­si­dent wird und wer nicht. – ›Sie wach­sen auf wie die Schwei­ne!‹ brumm­ten kopf­schüt­telnd die Grau­köp­fe von bei­den Ge­schlech­tern in der neu­en Ge­mein­de. ›Ein Ver­gnü­gen ist es, es mit an­zu­se­hen, aber eine Schan­de ist es auch, wie das Zeug ins Kraut schießt. Es geht nicht län­ger so; für den nächs­ten Win­ter müs­sen wir für einen Schul­meis­ter zu­sam­men­le­gen, kos­te er, was er wol­le. Aber mit Rat, Ge­vat­tern! Es ver­läuft sich man­cher von der Sor­te hier­her, dem man kein Fer­kel zum Wa­schen an­ver­trau­en möch­te, wenn man ihn sel­ber und sei­ne Vor­ge­schich­te im al­ten Lan­de ge­nau kenn­te.‹ – Na, Frit­ze, du kennst mich und mei­ne Vor­ge­schich­te im al­ten Lan­de! Was meinst du zu mir und die­sen Re­den und Be­ra­tun­gen in der Wald­wirt­schaft rund um mich her? Nicht wahr, du siehst es jetzt schon ziem­lich klar vor dir lie­gen, wie es sich nach­her al­les ge­macht und pas­send in­ein­an­der­ge­fun­den hat? Schwe­re­not, woll­te ich dir jet­zo eine Pfei­fe vom schwers­ten Lob­ta­bak vor­rau­chen, so könn­te ich es, dass du Fens­ter und Tü­ren des Wohl­duf­tes hal­ber auf­sper­ren müss­test. Neu-Min­den aber exis­tiert glück­li­cher­wei­se noch; also rei­se du nur lie­ber sel­ber hin­über und höre dir, wenn dir dar­an liegt, an, wie die an­de­ren von mir re­den. Ich, der ich auf dem Stein­ho­fe nicht der Herr und Bau­er sein moch­te, ich bin hof­fent­lich ein gu­ter Bau­er und Knecht in dem ame­ri­ka­ni­schen Wal­de ge­we­sen. Aber ich bin auch durch des Groß­va­ters Schrank – weißt du noch? – im Lau­fe der Zeit wie­der mein ei­ge­ner Meis­ter ge­wor­den, wie wir Deut­schen das Wort neh­men;
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