Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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al­lem Schöns­ten, Liebs­ten und Groß­ar­tigs­ten in der Welt. Zum al­ler­we­nigs­ten muss ich die Do­ku­men­te da­bei auf dem Tisch ha­ben.

      Sieh mal, Fritz, du bist nur eine va­ter­lo­se Wai­se ge­we­sen, ich da­ge­gen eine mut­ter­lo­se von Kin­des­bei­nen an; also kal­ku­lie­re dir mal un­ser ge­gen­sei­ti­ges Ver­hält­nis, ich mei­ne zwi­schen mir und mei­ner Al­ten, sel­ber zu­rech­te. Ach, Gott, was hat sie von mei­nen Ge­dan­ken aus­ste­hen müs­sen! Und was das ärgs­te war, das Al­lerärgs­te war noch zu­rück und ging ihr über al­les üb­ri­ge hin­aus, bis sie sich auch in es, wie in alle mei­ne an­de­ren Un­sin­nig­kei­ten, mir zu­lie­be, ge­fun­den hat­te. Auf den Ge­dan­ken, nach Ame­ri­ka aus­zu­wan­dern, ver­fiel ich auf dem Wege nach Bo­den­wer­der am letz­ten Auk­ti­ons­ta­ge, und es war ein rich­ti­ger Kreuz­weg. Nach ihr, mei­ner Jule, hat­ten sich die Hän­de, die sie ge­brau­chen konn­ten, dut­zend­wei­se aus­ge­streckt; aber nach mir nicht ein ein­zi­ges Paar. Wer konn­te mich ge­brau­chen? Sie war auf je­dem Bau­ern­ho­fe, auf je­dem Guts­ho­fe hoch will­kom­men; denn sie wuss­ten alle weit ins Land hin­ein, was für eine Per­le von Öko­no­mie und Mol­ken­we­sen, Schwei­ne­zucht, Vieh­zucht und Men­schen­zucht über­haupt der Stein­hof an ihr ge­habt hat­te. Mir ver­half we­der der große noch der klei­ne Bro­eder zu ei­ner Un­ter­kunft – im Ge­gen­teil, sie wa­ren schuld dar­an, dass ich über­all, wo ich an­klopf­te, mit ei­nem manch­mal gar nicht höf­li­chen Kom­pli­ment wei­ter­ge­schickt wur­de. Nie­mand woll­te von dem ›ge­lehr­ten Bau­er‹ et­was wis­sen, und am al­ler­we­nigs­ten sei­ne bes­ten Freun­de. So bit­ter ist wohl sel­ten ei­nem Men­schen­kin­de der Ge­schmack vom La­tei­ni­schen auf der Zun­ge ge­wor­den wie mir da­mals.«…

      »Ar­mer Teu­fel!« sag­te ich, Fried­rich Lan­greu­ter, Dok­tor der Phi­lo­so­phie, Pri­vat­do­zent an der Fried­rich-Wil­helms-Uni­ver­si­tät in Ber­lin usw. usw., und füg­te hin­zu: »Was weißt du denn von dem Ge­schmack auf den Zun­gen an­de­rer Leu­te, Vet­ter Just? Ach, Vet­ter, du bist der größ­te Dok­tor, der mir je be­kannt ge­wor­den ist, – wie gern zei­ge ich dir die mei­ni­ge kör­per­lich und geis­tig und las­se mir ein Re­zept ge­gen die Bit­ter­keit dar­auf ver­schrei­ben!«

      »Zwei­hun­dert­fünf­zig Ta­ler hat­te sich die Alte über­ge­spart«, fuhr der Vet­ter fort, »das üb­ri­ge hat­te sie al­les im­mer wie­der so bei klei­nem in den Stein­hof hin­ein­ge­steckt, und noch dazu meis­tens wohl in mich, und ohne dass ich es in mei­nem fau­len Be­ha­gen lei­der Got­tes im ge­rings­ten ge­merkt habe und ihr dank­bar da­für ge­we­sen bin, wie es sich von Got­tes und Rechts we­gen ge­hör­te. Nun kam sie mit ih­ren Spar­kas­sen­bü­chern und ih­rem Strump­fe voll blan­ker Acht­gro­schen­stücke zum Vor­schein und mit ei­nem Ge­sich­te dazu, was mir bis an mein Le­bens­en­de im Ge­dächt­nis blei­ben wird. Den­ke dir nur um ihr Ge­sicht einen Hei­li­gen­schein, wie ihn die Ma­ler um ihre himm­li­schen Jung­frau­en ma­len, – be­schrei­ben lässt sich aber der Kon­trast nicht, son­dern nur mit trä­nen­vol­lem Herz­be­ben nach­füh­len. Nicht ein­mal für ihr stan­des­ge­mä­ßes Be­gräb­nis, wo­von sie im­mer gern sprach wie die Alte in dem Ge­dich­te, woll­te sie we­nigs­tens die fünf­zig Ta­ler zu­rück­be­hal­ten, und – gott­lob – bis heu­te hat sie sie auch noch nicht nö­tig ge­habt; aber ich habe sie ihr da­mals doch zu­rück­ge­las­sen, und da­bei er­leb­te ich denn of cour­se ih­ren letz­ten Wu­t­an­fall über mich vor mei­ner Abrei­se. Die zwei­hun­dert Ta­ler habe ich ge­nom­men, und ich will kei­nem an­de­ren von mei­ner Na­tur wün­schen, dass ihm auch ein­mal so schwe­res Geld in die Ta­sche ge­steckt wird! Glaub nur ja nicht, dass sich das so an ei­nem Tage mach­te; eben­so­we­nig wie der Ab­schied! Aber ei­nes Mor­gens wa­ren wir doch so weit, näm­lich bis zu dem: ›Ja, Just, denn ad­jes, und ich hät­te nim­mer ge­dacht, dass ich auch das noch an dir er­le­ben soll­te!‹ – ge­kom­men. Fah­re du ein­mal so wie ich da­mals von Bo­den­wer­der nach Bre­men und pro­bier’s, wie dir da­bei zu­mu­te ist. Was wir Ge­lehr­ten die Lo­gik nen­nen, das ist wie Phi­lo­so­phie auf dem Wege zum Zahn­dok­tor; bei­des kommt ei­nem erst wie­der, wenn al­les – Herz, Hirn und auch die Kinn­ba­cken wie­der in ver­hält­nis­mä­ßi­ger Ord­nung sind. Du siehst es mir heu­te, Gott sei Dank, nicht mehr an, wie ich da­mals aus­sah in­wen­dig und aus­wen­dig. Wenn wir Ge­lehr­ten aber wis­sen, dass der Mensch in sei­ner Na­tur im­mer der­sel­be bleibt, so ist es doch eben­so wahr, dass sich man­ches auf den Cha­rak­ter hängt und da­zu­ge­rech­net wird wie die Mis­tel zum Ap­fel­baum. Kannst du das Schma­rot­zer­ge­wächs nicht zu Vo­gell­eim ge­brau­chen oder ist dir das Ge­nis­te sonst wi­der­lich und hin­der­lich, so sei nur dreist ein gu­ter Gärt­ner und rich­ti­ger Mensch – reu­te es aus, reiß es ab und mach ein Feld­feu­er aus dem Ge­strünk und Ge­strüpp. Für mich, den Vet­ter Just vom Stein­ho­fe, ist da die­se glor­rei­che Re­pu­blik der Ve­rei­nig­ten Staa­ten von Nord­ame­ri­ka eine un­be­zahl­ba­re Schul­meis­te­rin ge­we­sen. Hier bin ich wie­der, und – ein Schul­meis­ter bin ich drü­ben ge­we­sen: ich habe mich doch nicht ganz um­sonst von euch hier zu Lan­de aus­la­chen las­sen wol­len, al­ter Jun­ge, und ein Buch könn­te ich wohl auch jet­zo zu­stan­de brin­gen, wenn auch nur ei­nes – mei­ne Le­bens­ge­schich­te. Ich gebe dir mein Wort dar­auf, eine ganz son­der­ba­re His­to­ria ist das; und so in man­chem stil­len Au­gen­bli­cke kom­me ich mir wirk­lich merk­wür­dig ku­ri­os und in­ter­essant vor und als et­was, was ganz au­ßer mir steht und sich von den ver­schie­dens­ten Sei­ten her be­trach­ten lässt. Nicht wahr, Ob­jek­ti­vi­tät nen­nen wir die­ses? Glau­be nur aber ja nicht, dass ich dir das Ge­sicht, wel­ches du mir hier eben zu­schnei­dest, übel an­rech­ne.«

      »O Vet­ter«, habe ich da­mals, mit bei­den Hän­den nach der Hand des teu­ern Man­nes grei­fend, ge­ru­fen, »Vet­ter, lie­ber Vet­ter, was ich für ein Ge­sicht dir ma­che, weiß ich nicht; aber wie ich jetzt, in die­ser Nacht, mit die­sem Win­de vor dem Fens­ter in dei­ner Schu­le sit­ze, das weiß ich ganz ge­nau. Und nun tue mir die Lie­be an und ver­füh­re mich nicht wie­der, dich zu un­ter­bre­chen! Er­zäh­le wei­ter – wei­ter; o, er­zäh­le wei­ter –«

      »Herr Uri­an! Ja­wohl; – wenn ei­ner eine Rei­se tut, so kann er was er­zäh­len, singt der Wands­be­cker Bote. Und frei­lich, eine Rei­se habe ich ge­tan, und sie war noch lan­ge nicht zu Ende, als ich drü­ben am an­de­ren Ufer an­ge­kom­men war, da­selbst auf der Werft im Krei­se mei­ner Zwi­schen­decks­ge­nos­sen stand (ei­ni­ge sa­ßen auch noch rat­lo­ser als ich auf ih­ren Kis­ten und Kas­ten) und die­sen Neuyor­ki­schen Nord­ame­ri­ka­nern mei­ne ers­ten frisch im­por­tier­ten Maulaf­fen feil­bot. Gro­ßer Gott, da­mit moch­te man dort so frisch als mög­lich an­kom­men, eine neue Ware war es da am Platz wahr­haf­tig nicht! Es ist nicht in ei­ner Sit­zung, wie wir sie jetzt ab­hal­ten, zu be­rich­ten, was ich im Han­del da­mit aus­ge­stan­den habe! Und dann nimm nur auch mal die Kon­kur­renz an, ganz ab­ge­se­hen von den Wei­bern, Kin­dern und den Al­ten, die dazu ihre Trä­nen, Seuf­zer, Jam­mer­ge­sich­ter und Ge­bres­ten auf den frem­den Markt brin­gen. Da­ran darf ich gar nicht den­ken, ohne mei­ne ei­ge­ne His­to­rie auf der Stel­le ab­zu­bre­chen und an­zu­fan­gen, die ei­nes an­de­ren, und zwar ei­nes an­de­ren von Hun­der­ten und Tau­sen­den, zu er­zäh­len. Der Mensch ist aber und bleibt ein Ego­ist, und so blei­be auch ich in der Fur­che und pflü­ge mein ei­gen Feld nach der all­ge­mei­nen Re­gel dir vor wie bei dem ers­ten bes­ten Preis­pflü­gen. Das mit der großen Kon­kur­renz war denn si­cher­lich für mich kein eit­ler Wahn. Es geht au­ßer den or­dent­li­chen Bau­ern auch eine Men­ge wirk­li­cher Schul­meis­ter über das Was­ser, weil ih­nen


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