Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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mei­ne auch!« ruft Ev­chen Six­tus mit ganz un­ge­wöhn­li­cher Ener­gie.

      »I, sieh ein­mal, Jung­fer Na­se­weis! Bist du auch noch da? In dei­ner Stel­le wäre ich längst in der Kü­che, um Don­na Ju­lia Ci­cho­ria beim Kaf­fee­ko­chen und in ih­rem Kum­mer um ih­ren dum­men Jun­gen zu un­ter­stüt­zen. Was ist dei­ne An­sicht von der Sa­che, Fritz­chen?«

      »Hal­t’s Maul und lass mich we­nigs­tens in Ruhe, Un­ge­heu­er.«

      »Und dies soll nun nicht grob sein?!« brummt das »be­le­ben­de Prin­zip« in un­se­rer Ge­sell­schaft, dreht sich auf die Sei­te und grinst: »Bist du mir böse, Just?«

      »Seit dem schö­nen Wet­ter zu An­fang vo­ri­ger Wo­che habe ich euch hier schon vor­auf­ge­ro­chen. Jetzt ist es nett von euch, dass ihr mal wie­der da seid. Ne, böse bin ich dir ge­ra­de nicht; denn Fritz und dei­ne Schwes­ter und Fräu­lein Ire­ne wis­sen es, dass man auf kei­nen gern war­tet, auf den man nicht je­den Mor­gen nach der Wit­te­rung aus­guckt.«

      »Sehr schön ge­sagt!« brummt Ewald, jetzt wirk­lich sich ab­seits und un­ter einen et­was ent­fern­ten Sta­chel­beer­busch wäl­zend. »Gute Nacht, alle mit­ein­an­der! Wenn wie­der mal was In­ter­essan­tes vor­kommt, so weckt mich freund­lichst. In Ge­hör­wei­te für eu­ren Un­sinn blei­be ich euch zu­lie­be. Na, das Blech!«

      Die Son­ne liegt auf al­len Bäu­men des Gras­gar­tens des Stein­ho­fes; aber die Vö­gel in den Bäu­men ha­ben be­reits ihre Sies­ta be­en­digt und fan­gen von neu­em an, mun­ter zu wer­den, um den trotz sei­ner Län­ge so kur­z­en schö­nen Tag so ver­gnügt und glück­lich als mög­lich aus­zu­nut­zen, – ge­ra­de wie wir. Die Kom­tes­se sitzt wie­der auf­recht und sehr hell­äu­gig da. Ihre Au­gen glän­zen vor mäd­chen­haft lus­ti­ger Mut­wil­lig­keit, als sie sagt:

      »Hört nur, er schnarcht schon, der Un­mensch! Jetzt sind wir un­ter uns. Rückt alle zu­sam­men; – und nun sa­gen Sie, Vet­ter Just – es hört kei­ner zu als ich und Eva, Fritz und die Spat­zen im Baum, und wir mei­nen es alle ganz ernst –, ha­ben Sie es hübsch wei­ter­ge­bracht, seit wir zum letz­ten­mal hier auf Be­such wa­ren?«

      Mit sei­nem töl­pischs­ten Lä­cheln sieht der Vet­ter in die Fer­ne:

      »Wie­so soll ich es denn wei­ter­brin­gen, wenn ich nicht mal weiß worin?«

      »Ach, ver­stel­len Sie sich nur nicht, Vet­ter! Bit­te, se­hen Sie nicht so dumm aus! Da­mit ma­chen Sie an­de­ren Leu­ten was weis, aber uns nicht. Sie stu­die­ren sich im­mer wei­ter hin­ein bis zum Klügs­ten von uns al­len, und das sind Sie auch von Na­tur schon lan­ge; und nun wer­den Sie nur nicht rot, denn das nützt Ih­nen noch viel we­ni­ger als das Dum­maus­se­hen. Sie stu­die­ren ja al­les rund­um ver­rückt, sagt Jule Gro­te; – sich sel­ber – sie – den gan­zen Stein­hof. Und wo das en­den will, weiß sie nicht, sagt sie.«

      »Es ist auch nur Ewalds Neid, weil er für das, was ei­nem an­de­ren so­viel Ver­gnü­gen macht, so­viel Prü­gel von sei­nen Her­ren Leh­rern ge­kriegt hat«, meint Ev­chen Six­tus schüch­tern, und: »Un­sin­ni­ges Volk!« klingt es von dem Sta­chel­beer­busch faul und schlaf­trun­ken her.

      »Ja, es ist ein Spaß!« sagt der lan­ge, im nächs­ten Jah­re mün­di­ge Vet­ter Just Ever­stein und ver­zieht den Mund wie ein aus­ge­lach­tes Kind, und – heu­te weiß ich ge­nau­er als da­mals, was das Aus­la­chen und Aus­ge­lacht­wer­den un­ter den Men­schen be­deu­tet seit den Ta­gen des Ur­va­ters Noah. Ich la­che viel sel­te­ner als da­mals aus ei­ge­nem An­trieb, und noch viel sel­te­ner la­che ich mit.

      Da­mals lach­te ich mit, und zwar in die grin­sen­de Be­mer­kung von dem Sta­chel­beer­bu­sche her:

      »Hu, der alte Bro­eder! Schlag ihn doch mit un­se­rem Zumpt auf den Kopf, Frit­ze! Uh; na, mein Jun­ge soll’s bes­ser ha­ben als ich.«

      Wir ach­ten, was un­se­re Un­ter­hal­tung un­ter dem Kirsch­baum an­be­trifft, von jetzt an nicht im min­des­ten mehr auf die Stim­me vom Sta­chel­beer­busch her.

      »Es ist die la­tei­ni­sche Gram­ma­tik gar nicht«, stot­ter­te der Vet­ter.

      »Son­dern dei­nes Groß­va­ters gan­zer Bü­cher­schrank, den du mit dem Stein­ho­fe von dei­nem Va­ter ge­erbt hast, Just. Fun­kes Na­tur­ge­schich­te, Blanks Geo­gra­fie, der gan­ze Schil­ler, Goe­thes Götz von Ber­li­chin­gen und Wer­thers Lei­den, En­gels Phi­lo­soph für die Welt, Na­than der Wei­se, Min­na von Barn­helm, Emi­lia Ga­lot­ti, das Mild­hei­mi­sche Not- und Hilfs­buch, das Mild­hei­mi­sche Lie­der­buch, Beckers Welt­ge­schich­te und die Ge­schich­te von dem Schwei­zer Schul­leh­rer Pe­sta­loz­zi –«

      »Hat der Kerl auch ein Buch ge­schrie­ben?« fragt der Sta­chel­beer­busch. »Bis jetzt habe ich ge­meint, dass der nur den Ge­ne­ral Wal­len­stein nicht mit er­mor­det hat.«

      »Ach, das war ja ein ganz an­de­rer!« ruft Eva Six­tus noch ein­mal gut­mü­tig, und:

      »Halt end­lich dei­nen Mund, Six­tus!« rufe ich auch noch ein­mal, aber gut­mü­tig ge­ra­de nicht, und:

      »Wer spricht denn ei­gent­lich mit euch?« klingt es un­ver­schämt zu­rück. »Nicht ein­mal träu­men darf man wohl mehr von euch ver­rück­tem Volk? Na­tür­lich, der Herr Vet­ter darf ru­hig am hel­len, lich­ten Tage nacht­wan­deln ge­hen, ohne dass es ei­nem an­de­ren auf­fällt als höchs­tens der Jung­fer Jule. Schön also – und noch ein­mal gute Nacht!«

      Er trifft mit sei­nen nichts­nut­zi­gen Re­dens­ar­ten dann und wann son­der­ba­rer­wei­se den Na­gel auf den Kopf, der gute Freund un­ter dem Sta­chel­beer­busch. Wir be­trach­ten uns alle von neu­em den Vet­ter Just Ever­stein un­ter sei­nem Kirsch­baum und se­hen ihn uns auf das Wort von dem Nacht­wan­deln hin an.

      Er lässt die Knie fah­ren, reibt sich die lan­gen Bei­ne eine Wei­le sehr nach­denk­lich, win­det sich so­zu­sa­gen an sich sel­ber lang­sam und müh­se­lig in die Höhe, hat mich da­bei, ohne dass ich den ge­rings­ten Wi­der­stand zu leis­ten im­stan­de bin, mit em­por­ge­zo­gen und sagt:

      »Komm du mal mit, Fritz. Ihr an­de­ren könnt uns ru­fen, wenn der Kaf­fee fer­tig ist.«

      Er hält mich mit ei­ser­nem Grif­fe am Obe­r­arm, tritt über den Ka­me­ra­den un­ter dem Sta­chel­beer­bu­sche weit­bei­nig hin­weg und nimmt mich mit sich, und ich weiß schon wo­hin; denn es ist nicht das ers­te­mal, dass er mich in die­ser oder doch ei­ner ganz ähn­li­chen Wei­se ab­seits führt. Und ich weiß auch schon wo­zu; denn es ist nicht das ers­te­mal, dass er sich an mich hält, wenn die an­de­ren und die Welt ihm und er sel­ber sich zu viel wer­den. Da­mals lach­te ich eben­falls; heu­te sehe ich sehr ernst­haft aus, wenn Leu­te Ver­trau­en in mich set­zen, Rat von mir ha­ben wol­len und sich auf mich mehr als auf an­de­re ver­las­sen zu dür­fen glau­ben. Ich habe im Lau­fe der Zei­ten all­zu viel von mei­nem Grund­ver­mö­gen an Selbst­ver­trau­en aus­ge­ge­ben und ein­ge­büßt, um das Ding jetzt noch be­quem, leicht und ver­gnüg­lich neh­men zu kön­nen: – ach, ar­mer Vet­ter Just, und wie fest und angst­haft ver­ließest du dich an je­nem Som­mer­ta­ge auf mei­ne Schü­ler­weis­heit und woll­test Licht dar­aus für dei­nen gan­zen tap­fe­ren, gu­ten, großen Le­bens­weg! Mein bes­ter Trost ist da heu­te, dass dir da­mals noch viel we­ni­ger da­mit ge­hol­fen ge­we­sen wäre, wenn ich dir mit der vol­len Sum­me mei­ner jet­zi­gen Weis­heit hät­te auf­war­ten und zu Hil­fe sprin­gen kön­nen!

      Es


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