Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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und Ga­bel und sei­nen Tel­ler sel­ber aus der Kü­che.«

      »O herr­je, herr­je – und die jun­gen Da­mens auch wie­der!« rief die wa­cke­re Haus­häl­te­rin und Vor­mün­de­rin auf dem Stein­ho­fe, äch­zend sich aus den Ar­men ih­res stür­mi­schen Ver­eh­rers und zwei­ten Lieb­lings frei ma­chend. »Ich habe es sei­ner Mut­ter im Kind­bett und To­ten­bett ver­spro­chen, dass ich so lan­ge bei ihm aus­hal­te, als er mich bei sich be­hält!« sag­te sie von ih­rem ers­ten Lieb­ling – dem Vet­ter Just Ever­stein.

      Nun be­kommt Eva Six­tus eine be­will­komm­nen­de Hand und dann Ire­ne auch; letz­te­re aber erst, nach­dem die­se Hand vor­her noch ein­mal in der blau­en Kat­tun­schür­ze un­nö­ti­ger­wei­se ab­ge­trock­net und ab­ge­wischt wor­den ist.

      »Aber das ist mal schön! Neh­men Sie es nur nicht übel; aber es ist mein Schick­sal: je­des Mal, wenn wir die Ehre ha­ben, ha­ben wir ge­mis­tet auf dem Stein­ho­fe und ist der Herr Just den gan­zen Mor­gen durch nicht auf­zu­fin­den und ab­zu­ru­fen ge­we­sen. Ich brau­che nur am Abend zu sa­gen: ›Just, jetzt passt du mir aber auf die Got­tes­ga­be mor­gen früh‹, so geht er durch mit sei­nen La­tei­ner­bü­chern und ich sit­ze al­lein mit­ten drin in der Wirt­schaft und den Ta­ge­löh­nern. Was dar­aus wer­den soll, weiß ich nicht; na, aber Es­sens­zeit ist’s frei­lich jet­zo längst, und nächs­te Os­tern übers Jahr wird er ein­und­zwan­zig alt und sein ei­ge­ner Herr. Ach Gott, gnä­digs­tes Fräu­lein Grä­fin, Ihr Herr Va­ter soll­te nur ein­mal einen ein­zigs­ten Tag lang an mei­ner Stel­le sein! Und – Ihre Mut­ter auch, Herr Lan­greu­ter, aber da­von will ich we­ni­ger sa­gen, denn die ist ja auch ein Frau­en­zim­mer und hat das Ih­ri­ge durch­ge­macht in ih­rem ei­ge­nen Haus­halt und bei an­de­ren Leu­ten.«

      Achtes Kapitel

      Wie vie­le schö­ne, geist­rei­che, vor­neh­me Men­schen habe ich auf mei­nem Le­bens­we­ge ken­nen­ge­lernt!

      Auf die kör­per­li­che Schön­heit am Men­schen ach­te ich sehr ge­nau und mit grö­ßes­ter Teil­nah­me und bin noch heu­te im­stan­de, einen ziem­li­chen Um­weg zu ma­chen, um ihr in den Gas­sen und Häu­sern be­geg­nen zu kön­nen. So bin ich zu der fes­ten Über­zeu­gung ge­langt, dass ih­rer nicht we­ni­ger wird in der Welt.

      Geist ist im Über­fluss vor­han­den. Dies weiß ja ein je­der selbst am bes­ten. Wer glaubt nicht, von sei­nem Über­fluss an tau­send und aber tau­send reich­lich ab­ge­ben zu kön­nen?

      Von der Vor­nehm­heit brau­che ich ei­gent­lich gar nicht zu re­den. Ich habe da nur sehr we­ni­ge ken­nen­ge­lernt, die sich in ih­rem in­ners­ten Her­zen nicht zum al­ler­höchs­ten Adel der Schöp­fung rech­ne­ten und jed­we­de Ver­nach­läs­si­gung, ein jeg­lich Über­se­hen­wer­den die­ser schmei­chel­haf­ten, aber wah­ren Tat­sa­che nicht mit den grim­migs­ten Zü­gen in das gol­de­ne Buch ih­rer Selbst­schät­zung ein­tru­gen. Und je käl­ter sie da­bei lä­chel­ten, de­sto schlim­mer war’s für den schnö­den, mehr oder we­ni­ger un­be­wuss­ten Gleich­ma­cher. Er sank je­den­falls sehr tief in ih­ren Au­gen und so­fort un­be­dingt aus al­lem An­recht auf ir­gend­wel­che Berück­sich­ti­gung ih­rer­seits voll­stän­dig her­aus. Und das war recht – ist recht und – wird recht blei­ben; denn es ist all­zu an­ge­nehm und kit­zelt zu süß um das Zwerch­fell her­um, um je­mals von uns als Recht auf­ge­ge­ben zu wer­den.

      Nun hin­ke ich hier durch den küm­mer­li­chen Ha­fer sei­nes Fel­des hin­ter dem Vet­ter Just her. Hübsch ist er nicht, schön noch we­ni­ger. Geistreich hat ihn noch nie­mand ge­nannt, und was sei­ne Vor­nehm­heit an­be­trifft – nun, so hat er es ja sel­ber ge­sagt, dass er mit dem et­was recht frag­lich ge­wor­de­nen Wap­pen sei­ner Ah­nen über sei­ner Stall­tür nicht das min­des­te mehr an­zu­fan­gen wuss­te.

      Was ist es nun, das die­sen lang auf­ge­schlod­der­ten, weh­lei­dig-ver­blüfft um sich stie­ren­den großen Jun­gen uns als ein Ide­al al­les des­sen, was die Ju­gend lieb­hat an der Son­ne, der Erde, den Wei­bern, den Pro­fes­so­ren und den Kö­ni­gen, hin­stell­te?

      Eine ganz ein­fa­che Sa­che, näm­lich, dass er von al­len die­sen schö­nen und herr­li­chen und groß­ar­ti­gen Din­gen und We­sen et­was an sich hat­te, und zwar das, was die Ju­gend am ers­ten und mit der glück­lichs­ten Be­wun­de­rung aus ih­nen her­aus­fühlt. Die, wel­chen das zu hoch klingt, ha­ben nie zwi­schen dem vier­zehn­ten und fünf­zehn­ten Le­bens­jah­re an ei­nem Ju­li­ta­ge auf der Erde lang aus­ge­streckt ge­le­gen und, die Hän­de un­ter dem Hin­ter­kop­fe, sich – die Son­ne ins Maul schei­nen las­sen, wie die Re­dens­art lau­tet. Sie ha­ben nie die Groß­mut­ter am Win­ter­ofen er­zäh­len hö­ren und sie nach­her auf dem Ster­be­bet­te ge­se­hen; sie ha­ben nie die Wel­len rau­schen hö­ren, die Aphro­di­te ge­ba­ren; und auf das Rau­schen und Leuch­ten der hel­len Som­mer­klei­der im Wal­de hin­ter ih­nen ha­ben sie auch we­nig ge­ach­tet. Ih­nen hat es, was die Ge­lehr­ten an­be­trifft, nie im­po­niert, was die ver­rück­ten Ker­le im Lau­fe der Jahr­tau­sen­de al­les mög­lich ge­macht ha­ben. Ganz um­sonst für sie ist Alex­an­der von Ma­ze­do­ni­en bis zum In­dus vor­ge­drun­gen und hat sich von dem Kö­nig Po­rus durch Hel­den­haf­tig­keit gut­wil­lig be­sie­gen las­sen. Hel­den­haf­tig­keit ist nicht in ih­nen; sie ha­ben nie die Le­bens­be­schrei­bun­gen des Plut­arch un­ter das Kopf­kis­sen ge­legt oder die Kirsch­blü­ten im Gar­ten auf sie nie­der­fal­len las­sen.

      Hel­den­haf­tig­keit und so­mit die Son­ne, das Ge­heim­nis und Wun­der der Erde, das Weib und die Wis­sen­schaft steck­ten in dem Vet­ter Just Ever­stein:

      »Das ist ein ganz drol­li­ger Pa­tron!« sag­ten die­je­ni­gen, wel­che es im­mer­hin noch ganz gut mit ihm mein­ten und ihre wah­re Mei­nung über ihn nicht zu schroff äu­ßern woll­ten.

      »Ken­nen Sie die­sen schnur­ri­gen Kauz, den so­ge­nann­ten Vet­ter Just, noch nicht?« frag­te sich die Ge­gend weit um­her und füg­te, ohne die Ant­wort ab­zu­war­ten, hin­zu: »O, dann ler­nen Sie ihn doch ja recht bald ken­nen; es wird Sie nicht ge­reu­en.«

      »Düt is ’nen ganz ver­rück­ten Min­schen«, mein­te der zum Stein­ho­fe ge­hö­ri­ge Teil der in die­sem Au­gen­bli­cke in die­sen Me­mo­ra­bi­li­en um den Ess­tisch auf dem Stein­ho­fe ver­sam­mel­ten Ta­fel­run­de. Die das sag­ten – die Knech­te, Mäg­de und Ta­ge­löh­ner des Stein­ho­fes –, hat­ten recht, voll­kom­men, zwei­fel­los recht: der Vet­ter Just Ever­stein war ein ganz und gar ver­rück­ter, das heißt ih­nen und noch vie­len an­de­ren gänz­lich ins na­men­lo­se Wei­te ent­rück­ter Mensch.

      Es war eine Bau­ern­stu­be der al­ten, rech­ten Art, in der wir uns jetzt mit zu Ti­sche set­zen. Und es ist der rich­ti­ge alte Tisch mit den rich­ti­gen Näp­fen und Schüs­seln dar­auf. Es hat seit dem Jah­re 1838, in wel­chem Jah­re der Frei­herr von Münch­hau­sen sei­nen Gast­freund, den Baron Schnuck-Pu­cke­lig-Erb­sen­scheu­cher, in der Bo­ca­ge zum War­zen­trost als Syn­di­kus bei sei­ner Luft­ver­dich­tungs-Ak­ti­en­kom­pa­nie an­stell­te, manch lie­bes Mal mehr voll, ein Vier­tel, halb und drei Vier­tel auf dem Kirch­tur­me von Bo­den­wer­der ge­schla­gen. Der Fort­schritt ist wie­der un­ge­heu­er ge­we­sen; un­se­re Bau­ern sind die »Her­ren Öko­no­men« ge­wor­den und grün­den längst sel­ber Zucker­fa­bri­ken und Luft­ver­dich­tungs-Ak­ti­en­ge­sell­schaf­ten. Ihre Jung­fern ha­ben sich »mam­sel­len« las­sen und wer­den Fräu­leins ge­nannt. Fräu­lein Eme­ren­tia von Schnuck-Pu­cke­lig


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