Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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Tisch, die Haus­ge­nos­sen­schaft des Stein­ho­fes, als wir dran und drü­ber hin­fie­len. Und da Jule Gro­te voll­stän­dig recht hat­te und der Meis­ter bis jetzt noch fehl­te, so ging es um ein be­trächt­li­ches we­ni­ger lehr­haft an der Ta­fel­run­de zu als da­mals auf dem Ober­ho­fe, als der Jä­ger zum ers­ten Mal der Un­ter­hal­tung zwi­schen dem Hof­schul­zen und sei­nen Leu­ten zu­hör­te.

      Gro­ße Boh­nen und ge­koch­ten Schin­ken gab es heu­te auch hier wie da­mals auf dem Ober­ho­fe, als der Jä­ger dort zum ers­ten Mal sei­nen Platz am Ti­sche ein­nahm.

      Auf des Meis­ters Stuhl, ob­gleich er kein Meis­ter war, saß der Vet­ter. Ihm zur Rech­ten Jule Gro­te, ihm zur Lin­ken Ire­ne Ever­stein. Der zur Sei­te saß Eva Six­tus und ihr ge­gen­über ich ne­ben der grim­mig-klu­g­äu­gi­gen Haus­häl­te­rin und un­be­strit­te­nen Her­rin des Stein­ho­fes. Dem Freund Ewald ge­gen­über lag schwer auf den Tisch hin der Ober­knecht, ihm zur Sei­te saß die Groß­magd, und die an­de­ren bis zum Hof­jun­gen schlos­sen sich in bun­ter Rei­he an. Mil­lio­nen von Flie­gen wa­ren gleich­falls vor­han­den, auch Bie­nen und an­de­res Flü­gel­ge­sin­del ka­men aus dem Gar­ten und der üb­ri­gen frei­en Na­tur, ge­ra­de wie wir von Schloss Wer­den, ohne vor­her um Er­laub­nis an­zu­fra­gen. Die Tem­pe­ra­tur in der nied­ri­gen Stu­be war sehr hoch­gra­dig; die Bal­ken der ge­weiß­ten De­cke drück­ten schwer her­ab, und es half gar nichts zur Küh­le, dass die schma­len, nied­ri­gen Fens­ter ge­öff­net stan­den. Über die Schwel­le der of­fe­nen Stu­ben­tür tra­ten Hahn und Hüh­ner mit er­ho­be­nen Fü­ßen un­ge­niert und lie­ßen auch ihre Na­t­ur­lau­te nicht etwa blö­de auf dem Hofe zu­rück. Hund und Kat­ze konn­ten frei ein und aus ge­hen, hiel­ten sich aber so dicht als mög­lich an uns; und da sie nicht auf dem Ti­sche ge­dul­det wur­den, so trie­ben sie sich we­nigs­tens un­ter ihm her­um und war­te­ten mit ner­vö­ser Un­ge­duld auf al­les, was von ihm für sie ab­fiel. Von der Wand hin­ter dem Vet­ter Just mahn­ten die zehn Ge­bo­te, sehr bunt un­ter Glas und Rah­men, zu ih­rer Beo­b­ach­tung. Hin­ter dem klei­nen Spie­gel zwi­schen den Fens­tern fehl­ten die Pfau­en­fe­dern und ne­ben ihm der Ka­len­der des lau­fen­den Jah­res nicht. Selt­sam be­rühr­te (ich darf die­se kit­zelnd zu­ge­spitz­te mo­der­ne Re­dens­art an die­ser Stel­le wohl an­wen­den) nur der Ofen hin­ter mir, und nicht als sol­cher, son­dern durch das, was auf ihm stand. Auf ihm stand nicht etwa der alte Fritz in Gips mit sei­nem Krück­stock oder der Kai­ser Na­po­le­on mit un­ter­ge­schla­ge­nen Ar­men (bei­des hät­te durch­aus nicht selt­sam be­rührt!), son­dern es stand da in ei­nem hüb­schen Mi­nia­tur­gips­ab­guss, wenn­gleich ziem­lich gelb an­ge­schmaucht, – die Me­di­ce­i­sche Ve­nus der ge­sam­ten Ta­fel­run­de des Stein­ho­fes ge­gen­über.

      »Und da ich sie mir ein­mal von so ’nem wan­dern­den Ita­lie­ner mit sei­nem Brett auf dem Kop­fe an­ge­schafft habe, so bleibt sie da auch ste­hen, Fritz!« hat­te mir der Vet­ter ge­sagt. »Es braucht ja kei­ner ’s an­zu­gu­cken, wenn er nicht mag; – ich habe mein Geld da­für ge­ge­ben, Fritz. Sieh mal, ihr an­de­ren und dann alle be­rühm­ten Men­schen in der Welt habt nur das vor uns vor­aus, dass ihr euch vor der­glei­chen nicht fürch­tet und schämt. Guck mal, mir geht es noch schwer ab, dass ich dar­über rede, und ich täte es auch ganz ge­wiss nicht, wenn du nicht auch mit den an­de­ren dei­ne schlech­ten Wit­ze dar­über ge­macht hät­test. Lass mir aber nur mal ei­ner einen mit dem Be­senstiel dran rüh­ren! Da­für hat die wei­ße Gips­ma­dam doch zu viel ge­kos­tet!«

      Die­ses letz­te Wort bringt mich auf die we­nigs­tens auf dem Pa­pier noch ge­gen­wär­ti­ge Stun­de zu­rück.

      »An­der­wärts als hier auf dem Stein­ho­fe esse ich sie nicht, und wenn der Tod dar­auf stün­de«, sagt Ewald, schmat­zend wie ei­nes je­ner un­wäh­le­ri­schen Tie­re, für wel­che der Schöp­fer die wa­cke­re Hül­sen­frucht Vi­cia Faba haupt­säch­lich er­schaf­fen ha­ben soll. »Ev­chen mag sie nur ih­res Ge­ru­ches in der Blü­te we­gen, und Ire­ne isst sie nur, weil sie schau­der­haft hung­rig ist und mei­net­we­gen, näm­lich weil sie im He­ro­is­mus nicht hin­ter mir blei­ben will. Frit­ze frisst na­tür­lich al­les her­un­ter, ohne dar­über nach­zu­den­ken; und Sie, Jung­fer Gro­te, bit­te, noch ’n Stück aus dem Fet­ten. Scha­d’t nichts, wenn auch ein biss­chen nah vom Kno­chen. Die Wür­mer sind ja mit im Kes­sel ge­we­sen, Jung­fer Jule –«

      »I, so höre ei­ner! Ein ganz nichts­nut­zi­ger Jun­ge bist du«, stam­melt die Wirt­schaf­te­rin des Stein­ho­fes, »und –«

      »Und bei­ßen einen Se­kun­da­ner, den sei­ne Her­ren Leh­rer längst schon Sie an­re­den müs­sen, nicht mehr.«

      Ein brei­tes, glän­zen­des, zäh­ne­flet­schen­des Grin­sen geht um den gan­zen Tisch. Die Knech­te sto­ßen ihre Nach­barn mit dem Knie an, die Mäg­de ki­chern, und nur der Hof­jun­ge schlingt un­ge­rührt wei­ter.

      »I, so soll mich doch!… Nun höre ei­ner!… Ach, herr­je, bist du auch schon so la­tei­nisch? Du?… Was kos­ten denn jetzt die Rohr­stö­cke bei euch auf Schu­len? Sind wohl höl­lisch dies Jahr miss­ra­ten in Hin­ter­pom­mern oder wo sie wach­sen, weil du mir hier Glo­cke zwölf am Tage so kommst wie ein Mai­kä­fer, wenn’s Abend wird?! Herr Lan­greu­ter, Sie verdirbt er auch noch in Grund und Bo­den; und er ist es auch al­lein, der alle Au­gen­bli­cke mit Ih­nen hier­her nach dem Stein­ho­fe her­va­ga­bun­diert, dass Sie, Fritz­chen, mir mei­nen Jun­gen da, mei­nen Just, noch mehr aus sei­nem Men­schen­ver­stan­de her­aus ver­füh­ren, was eine Sün­de ist, mehr als ich sa­gen kann, und was sei­ne Schwes­ter auch wohl weiß, und wenn ich nur nicht die lie­ben Ge­sich­ter­chen so gern auf dem Stein­hof hät­te, so woll­te ich schon noch mehr sa­gen; aber die gnä­di­ge Frö­len Grä­fin dar­f’s mir dreis­te glau­ben, ich neh­me es kei­nem übel, wenn er es an­ders ge­wohnt ist bei Ti­sche, und große Boh­nen sind frei­lich nicht je­der­manns Sa­che, da hat der Jun­ge recht.«

      »Wenn Sie den hier mei­nen, Jung­fer Gro­te«, lacht Ire­ne Ever­stein, mit ih­rer Ga­bel auf Freund Ewald deu­tend, »so soll­te ich nur mal ’nen Au­gen­blick lang Ihren großen Löf­fel da in der Hand ha­ben! Ach, herr­je, ich wür­de ihm deutsch auf sein La­tei­nisch geant­wor­tet ha­ben. Und üb­ri­gens ha­ben sie ihn auch nur des­halb mit nach Se­kun­da ge­nom­men, weil er ih­nen für Ter­tia zu lang ge­wor­den ist. Wach­sen kann je­der, und wir auch; nicht wahr, Eva?«

      Sie stand auf, und da alle sie dar­auf an­sa­hen, sag­te sie:

      »Ich will mir nur ein Glas Was­ser vom Brun­nen ho­len.«

      »Bleib sit­zen, das will ich dir be­sor­gen«, sag­te der Vet­ter Just, gleich­falls auf­ste­hend. »Du weißt doch, Ire­ne, dass dir die Win­de zu schwer ist. Es springt hier nicht so be­quem aus ei­nem Lö­wen­maul wie bei euch auf Schloss Wer­den.«

      Er er­hob sich töl­pisch ge­nug von sei­nem Stuhl; aber Ewald Six­tus und ich, wir wa­ren ru­hig sit­zen­ge­blie­ben; und es ist auch heu­te erst, in der Erin­ne­rung der fer­nen Ver­gan­gen­heit, dass mir das be­mer­kens­wert er­scheint. Ich schät­ze es üb­ri­gens jetzt für ein Glück, dass die Fein­füh­lig­keit nicht bei al­len Men­schen mit den Jah­ren wächst. Wer wür­de es aus­hal­ten kön­nen in ei­ner Welt, in wel­cher die­ses die Re­gel wäre und die Leu­te oh­ne­das in kei­ner Ach­tung ste­hen und es auch nicht zu Ver­mö­gen brin­gen könn­ten?

      Jule Gro­te sah ih­rem vier­schrö­ti­gen, lan­gen, un­mün­di­gen Mün­del mit ei­nem Aus­druck von ver­drieß­li­chem Jam­mer nach, der sich gar nicht be­schrei­ben lässt. Sie hob den


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