Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada


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Kol­le­ge Schrö­der. Ganz rich­tig ge­han­delt. Hätt ich auch nicht an­ders ge­macht.«

      Esche­richs Mut hat­te sich durch die­sen Be­richt wie­der et­was ver­stärkt. Der klang bes­ser als »nicht sehr hel­le« und »stark ver­ängs­tigt«. Vi­el­leicht ein Kar­ten­ver­tei­ler, trotz­dem der Kom­missar bis­her ei­gent­lich fest an­ge­nom­men hat­te, der Kla­bau­ter­mann habe kei­ne Mit­wis­ser.

      »Ha­ben Sie sei­ne Pa­pie­re schon durch­ge­se­hen?«

      »Hier lie­gen sie. Be­stä­ti­gen im All­ge­mei­nen, was er sagt. Ich habe den Ein­druck, Herr Kom­missar, das ist so ein Ar­beits­scheu­er, Angst vor der Front, kei­ne Lust zum Ar­bei­ten, Pfer­de­wet­ter ist er auch – ich habe einen gan­zen Pa­cken Renn­zei­tun­gen und Be­rech­nun­gen bei ihm ge­fun­den. Und dann noch ziem­lich ge­wöhn­li­che Brie­fe von kom­mu­nen Wei­bern, so ein Frücht­chen, ver­ste­hen Sie, Herr Kom­missar. Aber im­mer­hin an die Fünf­zig her­an.«

      »Schön, schön«, sag­te der Kom­missar, fand es aber gar nicht schön. We­der der Kar­ten­schrei­ber noch ein et­wai­ger Ver­tei­ler konn­te viel mit Wei­bern zu tun ha­ben. Das stand für ihn fest. Sei­ne eben erst wie­der­be­leb­te Hoff­nung be­gann von neu­em schwä­cher zu wer­den. Aber dann dach­te Esche­rich an sei­nen Vor­ge­setz­ten, den Ober­grup­pen­füh­rer Prall, und an die noch hö­he­ren Vor­ge­setz­ten bis zu Himm­ler hin­auf. Die wür­den ihm in der nächs­ten Zeit das Le­ben ver­dammt schwer­ma­chen, wenn gar kei­ne Spur vor­lag. Hier aber war eine Spur, we­nigs­tens la­gen hier star­ke Be­schul­di­gun­gen und ver­däch­ti­ges Be­neh­men vor. Man konn­te die­se Spur ver­fol­gen, auch wenn man sie im ge­heims­ten In­nern nicht ganz für die rich­ti­ge hielt. Man ge­wann Zeit, wei­ter ge­dul­dig war­ten zu kön­nen. Nie­mand ge­sch­ah ein Leid da­durch. Was kam es schließ­lich auf solch ein Frücht­chen an!

      Esche­rich stand auf. »Ich geh mal hin­ten zu den Zel­len, Schrö­der. Ge­ben Sie mir mal die neue Kar­te, und war­ten Sie hier.«

      Der Kom­missar ging ganz lei­se, er hielt die Schlüs­sel fest in der Hand, da­mit sie nicht klap­per­ten. Ganz vor­sich­tig schob er die Blen­de vom Spi­on und sah in die Zel­le.

      Der In­haf­tier­te saß auf ei­nem Sche­mel. Er hat­te den Kopf in die Hand ge­stützt und sei­ne Au­gen auf die Tür ge­rich­tet. Es mach­te ganz den Ein­druck, als sähe der Mann gra­de in das lau­ern­de Auge des Kom­missars. Aber der Ge­sichts­aus­druck Klu­ges ver­riet, dass er nichts sah. Der Mann war nicht zu­sam­men­ge­schreckt, als die Blen­de be­wegt wor­den war, sein Ge­sicht hat­te auch nichts Ge­spann­tes, wie es sonst stets bei ei­nem ist, der sich be­ob­ach­tet fühlt. Son­dern er sah so ein­fach vor sich hin, kaum in Ge­dan­ken ver­lo­ren, eher dö­send, von trü­ben Ah­nun­gen voll.

      Der Kom­missar am Guck­loch wuss­te es jetzt mit Be­stimmt­heit: Dies war we­der der Kla­bau­ter­mann noch ein Hel­fers­hel­fer. Son­dern dies war ein­fach ein Miss­griff – die Be­schul­di­gun­gen moch­ten ge­lau­tet ha­ben, wie sie woll­ten, und das Ver­hal­ten moch­te noch so ver­däch­tig ge­we­sen sein.

      Aber Esche­rich dach­te auch wie­der an sei­ne Vor­ge­setz­ten, er kau­te an sei­nem Bart, er über­leg­te, wie man die­se Sa­che recht lan­ge hin­zie­hen könn­te, bis ent­deckt wur­de, dies war der Fal­sche. Bla­mie­ren durf­te er sich ja auch nicht da­bei.

      Er schloss mit ei­nem Ruck die Zel­le auf und trat ein. Der Ver­haf­te­te war bei dem Klir­ren des Schlos­ses zu­sam­men­ge­fah­ren, starr­te erst ver­wirrt auf den Ein­tre­ten­den, dann mach­te er einen Ver­such auf­zu­ste­hen.

      Aber Esche­rich drück­te ihn gleich auf den Sche­mel zu­rück.

      »Blei­ben Sie sit­zen, Herr Klu­ge, blei­ben Sie sit­zen. In un­serm Al­ter kommt man nicht mehr so leicht hin­ten hoch!«

      Er lach­te, und die­ser Klu­ge mach­te auch An­stal­ten, mit­zu­lä­cheln, aus pu­rer Höf­lich­keit ein biss­chen kläg­lich mit­zu­lä­cheln.

      Der Kom­missar klapp­te das Bett von der Wand und setz­te sich dar­auf. »Na, Herr Klu­ge«, sag­te er und sah auf­merk­sam in das blas­se Ge­sicht mit dem schwa­chen Kinn, dem merk­wür­dig dic­klip­pi­gen ro­ten Mund und den hel­len Au­gen, die stän­dig zwin­ker­ten. »Na, Herr Klu­ge, und nun er­zäh­len Sie mal, was Sie auf dem Her­zen ha­ben. Ich bin der Kom­missar Esche­rich von der Ge­hei­men Staats­po­li­zei.« Er fuhr sanft zu­re­dend fort, als er den an­de­ren schon bei der Nen­nung der Ge­hei­men Staats­po­li­zei ängst­lich zu­rück­zu­cken sah: »Sie brau­chen kei­ne Angst zu ha­ben. Wir fres­sen kei­ne klei­nen Kin­der. Und Sie sind doch bloß ein klei­nes Kind, das sehe ich doch …«

      Bei dem Hauch von An­teil­nah­me, der aus die­sen Wor­ten ver­nehm­lich wur­de, füll­ten sich Klu­ges Au­gen so­fort wie­der mit Trä­nen, sein Ge­sicht zuck­te, die Ba­cken­mus­keln ar­bei­te­ten krampf­haft.

      »Na, na!«, sag­te Esche­rich und leg­te sei­ne Hand auf die des klei­nen Man­nes. »So schlimm wird’s ja nicht sein. Oder ist es so schlimm?«

      »Es ist al­les ver­lo­ren!«, rief Enno Klu­ge ver­zwei­felt. »Ich bin ja doch hin! Ich hab kei­nen Kran­ken­schein, und ich müss­te zur Ar­beit. Und hier sit­ze ich fest, und da schi­cken die mich ins KZ, da gehe ich gleich hops, das hal­te ich kei­ne vier­zehn Tage aus!«

      »Nu, nu!«, sag­te der Kom­missar wie­der wie zu ei­nem Kind. »Das mit Ih­rer Fa­brik, das wird sich ja re­geln las­sen. Wenn wir je­mand fest­hal­ten und es stellt sich her­aus, es ist ein or­dent­li­cher Mann, so sor­gen wir auch da­für, dass er kei­nen Scha­den von dem Fest­hal­ten hat. Sie sind doch ein or­dent­li­cher Kerl, Herr Klu­ge – was?«

      Wie­der ar­bei­te­te es in Klu­ges Ge­sicht, dann ent­schloss er sich die­sem sym­pa­thi­schen Mann ge­gen­über zu ei­nem Teil­ge­ständ­nis. »Ich ar­bei­te de­nen ja nicht ge­nug!«

      »Na, und was mei­nen Sie selbst, Herr Klu­ge? Ar­bei­ten Sie Ih­rer An­sicht nach ge­nug – oder?«

      Wie­der über­leg­te Klu­ge. »Ich bin doch so viel krank«, sag­te er schließ­lich kläg­lich. »Aber die sa­gen nur, jetzt ist kei­ne Zeit zum Krank­sein.«

      »Sie sind doch nicht im­mer krank? Nun, und wenn Sie nun nicht krank sind und ar­bei­ten – tun Sie dann ge­nug? Wie den­ken Sie dar­über, Herr Klu­ge?«

      Wie­der ent­schloss sich Klu­ge. »Ach Gott, Herr Kom­missar«, klag­te er an, »die Wei­ber lau­fen mir doch so nach!«

      Es klang eben­so kläg­lich wie ei­tel.

      Der Kom­missar schüt­tel­te be­dau­ernd mit dem Kopf hin und her, als sei das frei­lich schlimm.

      »Das ist nicht gut, Herr Klu­ge«, mein­te er dann. »In un­sern Jah­ren lässt man ja nicht ger­ne was aus, nicht wahr?«

      Klu­ge sah ihn nur mit ei­nem schwa­chen Lä­cheln an, froh, bei die­sem Mann Ver­ständ­nis ge­fun­den zu ha­ben.

      »Ja«, sag­te der Kom­missar. »Und wie steht’s da mit der Kas­se?«

      »Ich wett manch­mal ein biss­chen«, ge­stand Klu­ge. »Nicht viel und nicht hoch, Herr Kom­missar. Nie mehr als höchs­tens mal fünf Mark, wenn ein Tipp ganz si­cher ist, das schwö­re ich Ih­nen, Herr Kom­missar!«

      »Und wo­von be­zah­len Sie das, Herr Klu­ge, die Wei­ber und die Wet­ten? Wenn Sie doch nicht viel ar­bei­ten?«

      »Aber die Wei­ber be­zah­len


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