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sonst doch ger­ne, eine lang­wei­li­ge War­te­zeit sich zu ver­kür­zen. Er schaut ein biss­chen stumpf­sin­nig und ein biss­chen ängst­lich dar­ein. Klei­ner Ar­bei­ter, ent­schei­det der As­sis­tent. Nee, ein biss­chen bes­ser, die Hän­de se­hen ge­schickt aus, Ar­beitss­pu­ren, aber nicht nach schwe­rer Ar­beit … An­zug und Man­tel mit großer Sorg­falt in­stand­ge­hal­ten, was frei­lich nicht über ihr Ab­ge­tra­gen­sein hin­weg­täuscht. Im Gan­zen nichts von dem Man­ne, den man sich nach dem Ton der Kar­te vor­stellt. Der schreibt doch einen ganz kräf­ti­gen Stil, und nun die­ses sor­gen­vol­le Ka­nin­chen …

      Aber der As­sis­tent weiß längst, dass die Men­schen oft sehr an­ders sind, als sie aus­se­hen. Und die­ser Mann ist im­mer­hin durch die Aus­sa­ge der Zeu­gin so schwer be­las­tet, dass man die An­ge­le­gen­heit we­nigs­tens nach­prü­fen muss. Die­ser Kar­ten­schrei­ber muss die Her­ren oben ein biss­chen ner­vös ge­macht ha­ben, erst neu­lich gab’s da wie­der un­ter »Ge­heim! Streng ge­heim!« einen Be­fehl, dass auch der kleins­ten Spur in die­ser Sa­che un­ver­züg­lich nach­zu­ge­hen sei.

      Wär ganz schön, wenn ich da einen klei­nen Er­folg hät­te!, denkt der As­sis­tent. Es wird höchs­te Zeit mit ei­ner klei­nen Be­för­de­rung.

      In dem all­ge­mei­nen Ge­schimp­fe geht er fast un­be­ach­tet an den klei­nen Mann beim Spie­gel her­an, tippt ihn auf die Schul­ter und sagt: »Kom­men Sie doch mal einen Au­gen­blick auf den Flur. Ich möch­te Sie mal was fra­gen.«

      Ge­hor­sam folgt ihm Enno Klu­ge, wie er je­dem Be­fehl ge­hor­sam folgt. Aber wäh­rend er schon hin­ter dem un­be­kann­ten Herrn drein­geht, er­fasst ihn Angst: Was soll das? Was will der von mir? Der sieht doch wie ein Bul­le aus, und er spricht auch ganz wie ein Bul­le. Was habe ich mit der Kri­po zu tun – ich habe doch gar nichts ge­tan!

      Im glei­chen Au­gen­blick fällt ihm der Ein­bruch bei der Ro­sen­thal ein. Es ist kein Zwei­fel, der Bark­hau­sen ist hoch­ge­gan­gen und hat ihn ver­pfif­fen. Und die Angst wird stär­ker in ihm, er hat doch ge­schwo­ren, er will nichts aus­sa­gen, und wenn er nun doch aus­sagt, wird ihn die­ser Kerl von der SS wie­der vor­neh­men und ver­trim­men, und dies­mal noch viel schlim­mer! Er darf nichts aus­sa­gen, aber wenn er nichts aus­sagt, nimmt ihn sich die­ser Bul­le vor, und dann schwatzt er doch. Hier Ver­der­ben, dort Ver­der­ben … Oh, die­se Angst!

      Als er auf den Flur tritt, se­hen ihn vier Ge­sich­ter er­war­tungs­voll an – aber er sieht sie gar nicht, er sieht nur die Uni­form des Schu­pos und weiß, dass er mit sei­ner Angst recht ge­habt hat, dass er nun wirk­lich zwi­schen Ver­der­ben und Ver­der­ben steht.

      Und die­se Angst ver­leiht Enno Klu­ge Ei­gen­schaf­ten, die er sonst nicht be­sitzt, näm­lich Ent­schluss­kraft, Stär­ke und Schnel­lig­keit. Er wirft den über­rasch­ten As­sis­ten­ten, der dies nie von dem klei­nen Schwäch­ling er­war­tet hät­te, ge­gen den Schu­po, läuft an Arzt und Hil­fe vor­bei, reißt die Fl­ur­tür auf und ist schon auf der Trep­pe …

      Aber hin­ter ihm tril­lert die Pfei­fe des Schu­pos, und die­sem lang­bei­ni­gen jun­gen Mann ist er im Tem­po nicht ge­wach­sen. Auf der un­ters­ten Trep­pe wird er ein­ge­holt, der Schu­po ver­setzt ihm einen Schlag, der ihn gleich auf die Stu­fen nie­der­schickt, und als er vor dre­hen­den Son­nen und Feu­er­krei­sen wie­der se­hen kann, sagt die­ser Schu­po freund­lich lä­chelnd: »Na, streck mal dei­ne süße Pfo­te her! Will dir lie­ber ein Arm­band schen­ken. Das nächs­te Mal ma­chen wir so ’nen Spa­zier­gang ge­mein­sam, was?«

      Und schon hat die Stahl­fes­sel um sein Hand­ge­lenk ge­klirrt, und es geht wie­der trepp­auf, zwi­schen dem schweig­sa­men, fins­ter bli­cken­den Bul­len und dem ver­gnügt lä­cheln­den Bul­len, dem die­ser klei­ne Aus­rei­ßer nur Spaß macht.

      Oben, wo die Pa­ti­en­ten jetzt auf dem Flur ste­hen und gar nicht mehr böse sind über die lan­ge War­te­zeit bei ih­rem Dok­tor, denn eine Ver­haf­tung ist im­mer et­was In­ter­essan­tes, und wie die Sprech­stun­den­hil­fe er­zählt hat, ist dies so­gar ein Po­li­ti­scher, ein Kom­mu­nist, und die­sen Brü­dern ge­schieht es ganz recht – oben also geht es an all die­sen Ge­sich­tern vor­bei in das Be­hand­lungs­zim­mer des Arz­tes. Das Fräu­lein Kie­sow wird gleich von dem As­sis­ten­ten hin­aus­ge­schickt, der Arzt aber darf bei der Ver­neh­mung da­beiblei­ben und hört, wie der As­sis­tent sagt: »So, mein Sohn, nun setz dich erst mal hier auf den Stuhl und ruhe dich von dei­ner Ren­ne­rei aus. Du machst ja or­dent­lich einen ab­ge­hetz­ten Ein­druck! Wacht­meis­ter, Sie kön­nen dem Herrn erst ein­mal die Fes­sel wie­der ab­neh­men. Der rennt uns nicht noch ein­mal weg – oder?«

      »Nein, nein!«, ver­si­chert Enno Klu­ge ver­zwei­felt, und schon rol­len die Trä­nen über sein Ge­sicht.

      »Wür­de ich dir auch ge­ra­ten ha­ben! Das nächs­te Mal knall­t’s, und ich kann schie­ßen, Sohn!« Der As­sis­tent bleibt da­bei, den wohl zwan­zig Jah­re äl­te­ren Klu­ge mit »Sohn« an­zu­re­den. »Na, wei­ne man bloß nicht so! So schlimm wird’s ja gar nicht ge­we­sen sein, was du aus­ge­fres­sen hast. Oder?«

      »Gar nichts habe ich aus­ge­fres­sen!«, stößt Enno Klu­ge un­ter Trä­nen her­vor. »Rein gar nichts!«

      »Aber na­tür­lich, Sohn!«, stimmt der As­sis­tent zu. »Da­rum rennst du ja auch so schnell wie ein Hase, so­bald du die Uni­form von ei­nem Wacht­meis­ter siehst! Dok­tor, ha­ben Sie nicht ir­gend­was, wo­mit Sie die­sem Jam­mer­ge­stell wie­der ein biss­chen auf die Bei­ne hel­fen kön­nen?«

      Jetzt, da der Arzt fühlt, alle Ge­fahr ist von sei­nem ei­ge­nen Haupt ab­ge­wen­det, sieht er mit herz­li­chem Mit­leid auf die­ses un­glück­se­li­ge Männ­lein. Auch so ein Ge­schla­ge­ner des Le­bens ist das, den je­des Hin­der­nis um­wirft. Der Dok­tor ist in der Ver­su­chung, dem Klei­nen auch eine Sprit­ze Mor­phi­um zu be­wil­li­gen, in leich­tes­ter Do­sie­rung. Er wagt es aber nicht recht we­gen des Kri­mi­nal­be­am­ten. Lie­ber ein biss­chen Brom …

      Aber wäh­rend er das Brom­salz noch im Was­ser auf­löst, sagt Enno Klu­ge: »Ich brauch nichts. Ich will nichts ein­neh­men. Ich las­se mich nicht ver­gif­ten. Ich will lie­ber aus­sa­gen …«

      »Na also!«, sagt der Kri­mi­nal­be­am­te. »Wuss­te ich doch, dass du ver­nünf­tig wer­den wür­dest, Sohn! Dann er­zäh­le also mal …«

      Und Enno Klu­ge wischt sich die Trä­nen von den Ba­cken und fängt an zu er­zäh­len …

      Als er näm­lich mit Wei­nen an­fing, hat er ganz ech­te Trä­nen ge­weint, ein­fach weil ihn sei­ne Ner­ven im Stich lie­ßen. Wenn es aber auch ganz ech­te Trä­nen wa­ren, so weiß Enno doch längst aus sei­nem Um­gang mit den Frau­en, dass man beim Wei­nen sehr gut nach­den­ken kann. Und bei die­sem Nach­den­ken ist er dar­auf ge­kom­men, dass es doch ei­gent­lich sehr un­wahr­schein­lich ist, dass die ihn aus dem Sprech­zim­mer ei­nes Arz­tes her­aus we­gen Ein­bruchs ver­haf­ten. Wenn die ihn wirk­lich be­schat­tet ha­ben, dann konn­ten sie ihn auch auf der Stra­ße oder im Trep­pen­flur ver­haf­ten, da brauch­ten sie ihn doch nicht erst zwei Stun­den im War­te­zim­mer sit­zen zu las­sen …

      Nein, die­se Sa­che hat wahr­schein­lich nicht das Ge­rings­te mit dem Ein­bruch bei der Frau Ro­sen­thal zu tun. Wahr­schein­lich liegt der Ver­haf­tung ein Irr­tum zu­grun­de, und dun­kel ahnt Enno Klu­ge, dass sie ir­gend­was mit der bös­ar­ti­gen Sprech­stun­den­hil­fe zu tun hat.

      Aber nun ist er ein­mal ge­türmt, und nie wird er so ei­nem Bul­len ein­re­den kön­nen, dass er nur aus


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