Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada


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Vor­ge­setz­ten, da­mit die erst mal Ruhe hiel­ten, ein Pro­to­koll, das den Klu­ge wei­ter un­ter Ver­dacht hielt, Schrit­te ge­gen ihn be­grün­de­te …

      So zog er denn die Kar­te aus der Ta­sche, leg­te sie vor Klu­ge hin und sag­te ganz gleich­gül­tig: »Sie ken­nen die­se Kar­te, Herr Klu­ge?«

      »Ja«, sag­te Enno Klu­ge erst ganz ge­dan­ken­los, aber zu­sam­men­schre­ckend ver­bes­ser­te er sich: »Das heißt na­tür­lich, nein. Ich habe sie vor­hin vor­le­sen müs­sen, den An­fang, heißt das. Sonst kenn ich die Kar­te nicht! Hei­lig wahr, Herr Kom­missar!«

      »Na, na!«, tat Esche­rich zweif­le­risch. »Herr Klu­ge, wo wir über so ’ne große Sa­che wie über Ihre Ar­bei­te­rei und das KZ klar­ge­wor­den sind, wo ich selbst zu Ihren Her­ren hin­ge­hen und die Sa­che für Sie ord­nen wer­de, da wer­den wir uns doch über so ’ne klei­ne Sa­che wie die­se Kar­te ei­nig wer­den!«

      »Ich hab nichts da­mit zu tun, gar nichts, Herr Kom­missar!«

      »Ich geh ja nicht so weit, Herr Klu­ge«, sag­te der Kom­missar, un­ge­rührt von die­sen Be­teue­run­gen, »ich geh ja nicht so weit wie mein Kol­le­ge, der Sie für den Kar­ten­schrei­ber hält und der Sie durch­aus vor den Volks­ge­richts­hof schlep­pen will, und dann: Rübe ab, Herr Klu­ge!«

      Der klei­ne Mann er­zit­ter­te, und sein Ge­sicht wur­de asch­fahl.

      »Nein«, sag­te der Kom­missar be­ru­hi­gend und leg­te sei­ne Hand wie­der auf die des an­de­ren. »Nein, für den Kar­ten­schrei­ber hal­te ich Sie nicht. Aber, dass die Kar­te da auf dem Flur des Arz­tes lag, und Sie ha­ben sich doch ver­däch­tig viel auf dem Flur zu schaf­fen ge­macht, und dann Ihre Un­ru­he, Ihr Weg­lau­fen. Und für al­les sind gute Zeu­gen da – nein, Herr Klu­ge, es ist schon bes­ser, Sie sa­gen mir die Wahr­heit. Ich möch­te doch nicht, dass Sie sich selbst ins Un­glück stür­zen!«

      »Die Kar­te muss von au­ßen rein­ge­steckt sein, Herr Kom­missar. Ich habe mit ihr nichts zu schaf­fen, hei­lig wahr, Herr Kom­missar!«

      »Kann ja gar nicht von au­ßen rein­ge­steckt sein, so wie die ge­le­gen hat! Und fünf Mi­nu­ten vor­her ist sie noch nicht da­ge­we­sen, das wird das Fräu­lein vom Arzt be­schwö­ren. In der Zwi­schen­zeit wa­ren Sie aber auf der Toi­let­te. Oder wol­len Sie be­haup­ten, es war noch je­mand an­ders aus dem War­te­zim­mer auf dem Klo?«

      »Nein, glau­be ich nicht, Herr Kom­missar. Nein, be­stimmt nicht. Wenn’s um fünf Mi­nu­ten geht, dann be­stimmt nicht. Ich woll­te näm­lich schon eine gan­ze Wei­le rau­chen, und dar­um habe ich auf­ge­passt, ob ei­ner auf die Toi­let­te ging.«

      »Na also!«, sag­te der Kom­missar, an­schei­nend sehr be­frie­digt, »da sa­gen Sie es ja selbst: Nur Sie, nur Sie al­lein kön­nen die Kar­te auf den Flur ge­legt ha­ben!«

      Klu­ge starr­te ihn mit weit auf­ge­ris­se­nen, jetzt wie­der völ­lig er­schreck­ten Au­gen an.

      »Nach­dem Sie das also ein­ge­stan­den ha­ben …«

      »Ich habe nichts ein­ge­stan­den, nichts! Ich habe nur ge­sagt, in den letz­ten fünf Mi­nu­ten ist nie­mand vor mir auf dem Klo ge­we­sen!«

      Klu­ge schrie das fast.

      »Aber, aber!«, sag­te der Kom­missar und schüt­tel­te miss­bil­li­gend den Kopf. »Sie wer­den doch ein eben ab­ge­leg­tes Ge­ständ­nis nicht gleich wi­der­ru­fen wol­len, da­für sind Sie doch ein viel zu ver­nünf­ti­ger Mann. Ich müss­te den Wi­der­ruf auch ins Pro­to­koll neh­men, Herr Klu­ge, und so was sieht nie hübsch aus.«

      Klu­ge starr­te ihn ver­zwei­felt an. »Ich habe doch nichts ge­stan­den …«, flüs­ter­te er ton­los.

      »Wir wer­den uns dar­über schon noch ei­nig wer­den«, mein­te Esche­rich be­ru­hi­gend. »Nun sa­gen Sie mir erst mal: Wer hat Ih­nen die Kar­te zur Abla­ge ge­ge­ben? War’s ein gu­ter Be­kann­ter, ein Freund, oder hat Sie je­mand auf der Stra­ße an­ge­spro­chen und Ih­nen ein paar Mark da­für ge­ge­ben?«

      »Nichts! Nichts!«, schrie wie­der Klu­ge. »Ich habe die Kar­te nicht in der Hand ge­habt, mit kei­nem Auge habe ich sie ge­se­hen, ehe sie mir Ihr Kol­le­ge gab!«

      »Aber, aber, Herr Klu­ge! Sie ha­ben vor­hin sel­ber zu­ge­ge­ben, dass Sie die Kar­te auf den Flur ge­legt ha­ben …«

      »Nichts habe ich zu­ge­ge­ben! So was habe ich nie ge­sagt!«

      »Nein«, sag­te Esche­rich, strich sich über den Bart und wisch­te da­mit ein Lä­cheln fort. Es mach­te ihm jetzt schon viel Ver­gnü­gen, die­sen fei­gen, jam­mern­den Hund ein biss­chen tan­zen zu las­sen. Das wur­de noch ein ganz net­tes Pro­to­koll mit star­kem Ver­dacht – für die Vor­ge­setz­ten. »Nein«, sag­te er. »In der Form ha­ben Sie es nicht ge­sagt. Son­dern Sie ha­ben nur ge­sagt, dass nur Sie die Kar­te dort ab­ge­legt ha­ben kön­nen, dass nie­mand au­ßer Ih­nen dort ge­we­sen ist, und das be­deu­tet wohl eben­so viel.«

      Enno starr­te ihn mit weit of­fe­nen Au­gen an. Dann sag­te er plötz­lich mür­risch: »Das habe ich auch nicht ge­sagt. Es kön­nen üb­ri­gens auch an­de­re Leu­te auf die Toi­let­te ge­gan­gen sein, nicht nur die vom War­te­zim­mer.«

      Er setz­te sich wie­der; in der Er­re­gung vor­hin, bei den falschen Be­schul­di­gun­gen war er auf­ge­sprun­gen.

      »Aber ich sage gar nichts mehr aus. Ich ver­lan­ge einen An­walt. Und ein Pro­to­koll un­ter­schrei­be ich auch nicht.«

      »Aber, aber«, sag­te Esche­rich. »Habe ich denn schon von Ih­nen ver­langt, Herr Klu­ge, dass Sie ein Pro­to­koll un­ter­schrei­ben? Habe ich mir auch nur eine No­tiz ge­macht von dem, was Sie aus­ge­sagt ha­ben? Wir sit­zen doch hier wie zwei alte Freun­de, was wir hier re­den, geht kei­nen was an.«

      Er stand auf, öff­ne­te die Zel­len­tür weit.

      »Se­hen Sie, nie­mand auf dem Gang, der horcht. Und da ma­chen Sie mir sol­che Schwie­rig­kei­ten we­gen so ei­ner al­ber­nen Kar­te? Se­hen Sie, ich lege ja gar kei­nen Wert auf die­se Kar­te. Das ist ja ein Idi­ot, der die ge­schrie­ben hat! Aber wo die Sprech­stun­den­hil­fe und mein Kol­le­ge doch so viel Auf­he­bens da­von ma­chen, muss ich der Sa­che ein­fach nach­ge­hen! Sei­en Sie kein Frosch, Herr Klu­ge, sa­gen Sie mir ein­fach: Ein Herr auf der Frank­fur­ter Al­lee hat sie mir ge­ge­ben, er will dem Dok­tor einen klei­nen Streich spie­len, hat er ge­sagt. Und zehn Mark hat er Ih­nen da­für ge­zahlt. Sie ha­ben doch einen ganz neu­en Zehn­mär­ker in der Ta­sche ge­habt, den habe ich doch schon ge­se­hen. Se­hen Sie, wenn Sie mir das jetzt er­zäh­len, dann sind Sie mein Mann. Dann ma­chen Sie mir kei­ne Schwie­rig­kei­ten, dann kann ich be­ru­higt nach Haus ge­hen.«

      »Und ich? Wo­hin geh ich? In die Plöt­ze! Und dann Kopf ab! Nee, Herr Kom­missar, das sage ich nie und nie aus!«

      »Sie, wo­hin Sie ge­hen, Herr Klu­ge, wenn ich nach Haus gehe? Sie ge­hen doch auch nach Haus, ha­ben Sie das denn im­mer noch nicht be­grif­fen? Sie sind frei, so oder so, ich lass Sie lau­fen …«

      »Wahr, Herr Kom­missar, hei­lig wahr? Ich kann ge­hen auch ohne Aus­sa­ge, ohne Pro­to­koll?«

      »Aber na­tür­lich kön­nen Sie ge­hen, Herr Klu­ge, jetzt auf der Stel­le kön­nen Sie ge­hen. Nur ei­nes über­le­gen Sie sich noch mal, ehe Sie ge­hen …«

      Und er tipp­te dem er­regt Auf­ge­sprun­ge­nen, schon nach der Tür Hin­ge­wen­de­ten auf die Schul­ter.


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