Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada
jetzt darf ich gehen, Herr Kommissar?«
»Natürlich. Besten Dank auch, Herr Kluge, haben Sie gut gemacht. Auf Wiedersehen. Das heißt, besser nicht hier, besser nicht an dieser Stelle. Ach, einen Augenblick noch, Herr Kluge …«
»Ich darf also doch nicht gehen?«
Im Gesicht Kluges zitterte es schon wieder.
»Aber gewiss doch! Trauen Sie mir schon wieder nicht mehr? Sind Sie aber ein misstrauischer Mensch, Herr Kluge! Doch ich denke, Sie würden gerne Ihre Papiere und Ihr Geld mitnehmen? Na, sehen Sie! Also wollen wir mal schauen, ob auch alles da ist, Herr Kluge …«
Und sie fingen an zu vergleichen: Arbeitsbuch, Wehrpass, Geburtsurkunde, Trauschein …
»Wozu schleppen Sie eigentlich all die Papiere mit sich rum, Kluge? Wenn die Ihnen mal verlorengehn!«
… Polizeiliche Anmeldung, vier Lohntüten …
»Viel verdienen Sie aber nicht, Herr Kluge! Ach so, ja richtig, ich sehe, jede Woche nur drei, vier Tage gearbeitet, Sie kleiner Drückeberger, Sie!«
… Drei Briefe …
»Nee, lassen Sie nur, die interessieren mich gar nicht!«
… 37 Reichsmark in Scheinen und 65 Reichspfennig in Münzen …
»Sehen Sie, da haben wir ja auch den Zehnmarkschein, den Sie von dem Herrn bekommen haben, den nehme ich wohl lieber zu den Akten. Aber, warten Sie, Sie sollen dadurch keinen Verlust haben, ich gebe Ihnen zehn Mark von mir als Ersatz …«
So trieb es der Kommissar so lange, bis der Assistent Schröder wieder hereinkam: »Befehl ausgeführt, Herr Kommissar. Und ich soll melden, der Kommissar Linke möchte Sie auch noch gerne wegen des Falls Klabautermann sprechen.«
»Schön, schön. Danke auch bestens, Kollege. Ja, wir hier sind fertig. Also denn auf Wiedersehen, Herr Kluge. Schröder, zeigen Sie dem Herrn Kluge doch mal den Weg. Also, Herr Schröder geht mit durch die Revierstube. Nochmals auf Wiedersehen, Herr Kluge. Die Fabrik vergesse ich nicht. Nein, nein! Heil Hitler!«
»Na, denn nichts für ungut, Herr Kluge«, sagte Schröder, stand auf der Frankfurter Allee und schüttelte ihm die Hand. »Sie wissen, Beruf ist Beruf, und manchmal müssen wir auch ein bisschen derbe zufassen. Aber ich habe Ihnen gleich wieder die Handfessel abnehmen lassen. Von dem Puff, den Ihnen der Wachtmeister gab, spüren Sie doch nichts mehr?«
»Nein, gar nichts. Und ich verstehe auch alles … Entschuldigen Sie bloß die Mühe, die ich Ihnen gemacht habe, Herr Kommissar.«
»Also denn: Heil Hitler, Herr Kluge!«
»Heil Hitler, Herr Kommissar!«
Und der kleine, schmächtige Enno Kluge trabte los. Er lief in einem richtigen Zuckeltrab durch die Menschen auf der Frankfurter Allee, und der Assistent Schröder sah ihm nach. Er überzeugte sich noch, dass die beiden Leute, die er angesetzt hatte, richtig auf seiner Spur waren, nickte dann und ging zurück auf die Wache.
25. Kommissar Escherich bearbeitet die Sache Klabautermann
»Da, lesen Sie!«, sagte der Kommissar Escherich zu dem Assistenten Schröder und gab ihm das Protokoll in die Hand.
»Tja«, antwortete Schröder und reichte die Bogen zurück. »Da hat er es also doch gestanden und ist nun reif für den Volksgerichtshof und den Scharfrichter. Ich hätte es nicht gedacht.« Er setzte nachdenklich hinzu: »Und so was läuft frei auf der Straße rum!«
»Jawohl!«, sagte der Kommissar, legte das Protokoll in einen Aktendeckel und den Aktendeckel wieder in seine Ledertasche. »Jawohl, so was läuft nun frei auf der Straße rum – aber doch wohl ordentlich beschattet von unseren Leuten?«
»Selbstverständlich!«, beeilte sich Schröder zu versichern. »Ich habe mich selbst davon überzeugt: sie waren ihm beide gut auf der Spur.«
»Und da läuft er rum«, fuhr der Kommissar Escherich, nachdenklich seinen Schnurrbart streichelnd, fort, »läuft und läuft, und unsere Leute laufen hinter ihm drein! Und eines Tages – heute oder in einer Woche oder in einem halben Jahr – läuft unser kleiner, fieser Herr Kluge zu seinem Kartenschreiber, zu dem Mann, der ihm den Auftrag gab: Leg sie da und dort ab. Zu dem führt er uns so sicher, wie das Amen in der Kirche kommt. Und da mache ich schnapp, und dann erst sind die beiden richtig reif für die Plötze und so weiter und so fort.«
»Herr Kommissar«, sagte der Assistent Schröder, »ich kann’s noch immer nicht ganz glauben, dass der Kluge die Karte hingelegt hat. Ich hab’s doch gesehen, wie ich sie ihm in die Hand gab, der hat noch nie was von der Karte gewusst! Das hat sich alles bloß dieses hysterische Frauenzimmer, die Sprechstundenhilfe, ausgedacht.«
»Aber es steht doch im Protokoll, dass er sie hingelegt hat«, wandte der Kommissar ein, doch ohne besonderen Nachdruck. »Im Übrigen möchte ich Ihnen raten, in Ihrem Bericht nichts von hysterischem Frauenzimmer zu schreiben. Keine persönlichen Vorurteile, rein sachlich. Wenn Sie wollen, können Sie ja noch den Arzt wegen der Glaubwürdigkeit seiner Hilfe befragen. Ach nein, lassen Sie das man auch lieber. Das wird auch wieder so ein persönliches Urteil, das können wir dem Untersuchungsrichter überlassen, wie er die einzelnen Aussagen bewertet. Wir arbeiten nur rein sachlich, nicht wahr, Schröder, ohne jedes Vorurteil.«
»Selbstverständlich, Herr Kommissar.«
»Wenn da eine Aussage steht, so steht da eben eine Aussage, und an die halten wir uns. Wie und warum sie zustande gekommen ist, das geht uns nichts an. Wir sind ja keine Psychologen, wir sind Kriminalisten. Crimen, Verbrechen zu Deutsch, Schröder, nur das Verbrechen interessiert uns. Und wenn einer gesteht, er hat ein Verbrechen begangen, so genügt uns das erst einmal. Das ist wenigstens meine Ansicht von der Sache, oder denken Sie anders darüber, Schröder?«
»Aber selbstverständlich nicht, Herr Kommissar!«, rief der Assistent Schröder aus. Es klang, als sei er maßlos erschrocken über den Gedanken, er könne irgendetwas anders auffassen als sein Vorgesetzter. »Genau, was ich denke! Immer gegen das Verbrechen!«
»Ich wusste es ja«, sagte der Kommissar Escherich und streichelte seinen Bart. »Wir alten Kriminalisten sind doch immer einer Meinung. Wissen Sie, Schröder, es arbeiten jetzt viele Außenseiter in unserm Beruf, aber wir halten doch stets zusammen, und davon haben wir ja denn auch manches Gute. Also, Schröder«, dieses rein dienstlich, »ich bekomme dann heute noch Ihren Bericht über die Verhaftung des Kluge und das Protokoll mit den Aussagen der Sprechstundenhilfe und des Arztes. Ja, richtig, Sie hatten ja auch einen Wachtmeister mit, Schröder …«
»Oberwachtmeister