Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel. Johann Karl Wezel

Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel - Johann Karl Wezel


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Gegend habe, ihren Herrn Gemahl ausgenommen. Sie war so entzückt, jene süßtönenden Worte beständig zu hören, daß sie beinahe den Entschluß faßte, ein Hospital für invalide Papageien zu stiften, nach dem Schlage, wie der Märchensager Hr. de la Porte in einem gewissen Lande unsrer Erdkugel für die Flöhe angetroffen haben will. Mitten während dieser Freude, als Amande nur einen flüchtigen Gang in den Garten getan hatte und voller Erwartung wieder zurückkam, bei ihrem Eintritte in das Zimmer ihr Lob entgegentönen zu hören – siehe da! alles war stumm! – Sie hustete; der Vogel blieb stumm; sie fing an ihm vorzusagen: »Ah, Madame, que« – sie ging zu ihm und fand den Elenden auf den Boden hingestreckt, leblos und seinen Schnabel, der so göttliche Sachen gesagt hatte, auf immer geschlossen. Welches Herzeleid! Welcher Jammer! – Sie machte Lärm; sie tobte, sie wütete vor Zorn; sie kehrte alle ersinnliche Anstalten vor, ihn wieder zum Leben zu bringen: umsonst! Man fand sogar deutliche Merkmale, daß er von einer mörderischen Hand umgebracht worden war; das Blut auf dem Boden des Käfigs war ein sichtbarer Beweis. Amandens Betrübnis verwandelte sich in Zorn wider den unbekannten Missetäter; man stellte mit vereinten Kräften eine Untersuchung an, ihn ausfündig zu machen; niemand wußte davon. Endlich schlich sich eine von Amandens Bruder angestiftete Kreatur an ihre richterliche Seite und legte das erlogne Zeugnis ab, daß er unsern ehrlichen Tobias Knaut in das Zimmer habe schleichen sehen; man erinnerte sich seiner und war zufrieden, sich an jemanden für den Verlust rächen zu können, mochte er schuldig sein oder nicht. Um nicht etwa durch genauere Untersuchung ihn unschuldig zu finden und jene Befriedigung der Rache zu verlieren, schritt man ohne das mindeste Verhör zur Ausübung der Strafe und ließ den armen Knaut auf ewig aus dem Hause und den Grenzen des Rittergutes in den härtesten Ausdrücken durch den Hausverwalter verweisen, der ihn sogar die geringen Habseligkeiten, mit welchen ihn Amandens ehmalige Güte versorgte, zurückzulassen nötigte. Er ging durch eine Reihe lachender spottender Bedienten hindurch, die ihn mit ihrem Gelächter so lange verfolgten, bis er aus ihrem Gesichtskreise war; er ging – so ruhig wie aus seines Vaters Hause, als er Soldat werden wollte? – Nein, das konnte er nicht mehr! – Was hatte er denn also durch die Vermehrung seiner Empfindlichkeit gewonnen? – Nichts, als daß er einen Schmerz fühlte, wo er außer ihr keinen gefühlt hätte; er war mehr Mensch, das heißt, er empfand mehr, wie bitter zuweilen das Los der Menschheit ist – wenn man es richtig erklären will.

      O ihr Sterblichen, die wir eingebildete Kreaturen Wilde nennen! – ob wir gleich im Grunde nur schön geputzte Wilde sind – wahrhaftig, Jean-Jacques hat doch nicht Unrecht, wenn er euch glücklich preist! Wir sehn auf euch herab und halten euch verächtlich für weniger Mensch; wir fühlen es, daß wir es mehr sind, und ihr fühlt es beinahe gar nicht, daß ihr es seid. In dem glücklichen Schlummer einer beständigen Kindheit des Verstandes, ohne entwickelte Ideen, ohne euch über dem ängstlichen Suchen nach Wahrheit und Tugend in fesselnde Zweifel und Unruhen zu verwirren, ohne die peinigenden Leidenschaften des Ehrgeizes, der Ruhmsucht – entbehrt ihr zwar alle die funkelnden Puppen, mit welchen wir weise Menschenkinder tändeln – aber schreit auch niemals wie wir Kinder, wenn sie uns weggerissen werden, empfindet nicht den Verdruß wie wir, wenn uns die Vernunft zuletzt sagt, daß es Puppen, frivole Puppen sind! tragt die Bürde der Menschheit, ohne zu wissen, daß sie leichter oder schwerer sein kann!

      Glückliche Unwissenheit, die gewiß der Einsichten eines Neutons doppelt wert ist! – Wäre unser Knaut in der seinigen erhalten worden, hätte er nicht gewonnen? Er wäre so kalt, so unerschrocken – kurz, so ruhig itzt davongegangen als damals; aber so hatte er Glückseligkeiten zu verlassen, deren Kenntnis ihren Verlust tausendmal mehr verbitterte, als ihn ihr vorübergehender Genuß entzückt hatte, deren Kenntnis ihn die Aussicht in die künftige Abwesenheit derselben betrübt machte, um derentwillen ihm bei seiner Auswanderung eine Träne bis in das Auge stieg, die eine nicht geringe Bekümmernis in ihm voraussetzte. Sie war so stark angewachsen, daß seine Eigenliebe ganz darinne ersäuft wurde und ihn weder an seine Philosophie noch an die bevorstehende Gefahr seiner Grundsätze erinnern konnte. Hätte er nun vollends gewußt, daß sein Feind, der H. v. a × b, den unschuldigen Papen mit eigner Hand aufgeopfert hatte, um außer der tückischen Absicht das Vergnügen seiner Schwester und ihres ihm verhaßten Gemahls zu stören, zugleich sich an seiner Rechtschaffenheit für eine alte Beleidigung zu rächen, was würde er nur getan haben? – Ohne Zweifel wäre dies die beste Erleichterung seines Kummers gewesen, wenn ihm der Zufall nur einen einzigen Gedanken hiervon in den Kopf geworfen hätte; augenblicklich hätte er sich für einen unschuldig Leidenden angesehn, und das Vergnügen des Stolzes, um seiner Ehrlichkeit willen ausstehn zu müssen, wäre eine so mildernde Arznei gewesen, die den Schmerz gewiß abgekühlt hätte; aber dieser Trost war ihm versagt; der Zufall half ihm nicht dazu, und sein Gedächtnis konnte ihn auch auf keine Vermutung bringen, daß ihm seine Ehrlichkeit das gegenwärtige Unglück zugezogen habe. Es war also kein andrer Weg übrig: Er mußte sich grämen.

       Inhaltsverzeichnis

      Es ist etwas unbequem, der Geschichtschreiber eines Mannes zu sein, der von dem Glücke alle Augenblicke aus seiner Ruhestätte verjagt wird; will man ihn nicht verhungern lassen – und in diesem Falle wäre doch der Roman auf einmal aus –, so muß man beständige Anstalten für sein Fortkommen machen. Wie gefährlich ist es, sich bei dieser Sorge allein auf das Glück zu verlassen! wenn man noch Feen, Sylphen oder andre dienstfertige Geister der Ideenwelt zu Hülfe nehmen dürfte; aber das geht in einer so wahrscheinlichen Geschichte wie diese unmöglich an.

      Es sei also dem Glücke überlassen, wie es ihn auf seiner Laufbahn weiter fortführen will; ich bleibe unbesorgt und möchte, daß es mein Philosoph auch wäre, wenigstens nicht so viele Zeit verstreichen ließe, ehe er es wird. Er ging zwar seinen Weg so gerade fort, unbekümmert, wohin er geraten würde, als da er ehmals der militärischen Ehre entgegeneilte; aber itzt war es Besorgnis und Schmerz, die ihn zu sehr beschäftigten, um eine Minute Aufmerksamkeit auf den Weg zu verwenden.

      Unter einer solchen Verwirrung der Gedanken war er, ohne es zu merken, tief in ein Holz hineingeraten, als er endlich von seinem Traume erwachte und sich ermüdet mit einem unstoischen Seufzer auf die Erde warf. Seine Einbildungskraft zeichnete ihm seine Umstände und seine Aussichten mit einem ziemlich plumpen Pinsel vor und stellte obendrein ihre Zeichnung hinter ein mikroskopisches Glas; alle äußern Gegenstände wurden mit einem fürchterlichen Schwarz überzogen; was in der Natur Schatten war, wurde in ihrem Gemälde düstre Nacht; allenthalben lauschten Gefahren und allenthalben der Hunger. Neben dieser Abbildung figurierte die ganze vorige Glückseligkeit, von welcher er kaum vertrieben worden war – seine Freiheit vom Sorgen, sein Überfluß, seine Sättigung, seine Ruhe – genug die ganze Szene seines Glücks in Amandens Hause; nur keine einzige von den dort gehabten Bekümmernissen. Der Kontrast gegen das erste Bild machte es doppelt traurig, wie man sich wohl einbilden kann.

      Ich muß mich selbst wundern, wenn es auch keiner meiner Leser tun will, warum er auf einmal so ganz aus dem Gleise seiner Philosophie gesetzt ist. Eine kleine Unruhe ließ ich mir noch gefallen; diese schrieb ich auf die Rechnung seiner vermehrten Empfindlichkeit, aber zu weinen! zu seufzen! sich innerlich zu härmen! wahrhaftig, das ist nicht knautisch! – Indessen geschah's, und ich möchte wissen, warum.

      Gewiß nicht deswegen, weil seine gegenwärtige Verfassung schrecklicher war als jede andre, und das braucht es auch nicht; unsre Empfindung hält niemals oder doch selten mit unserm Unglücke ein gleiches Maß; die Beschaffenheit, in welcher es Leib und Seele antrifft, bestimmt einzig die Stärke unsers Schmerzes. – Unser Philosoph hatte den Mittag vor seiner Vertreibung eine Mahlzeit getan, dergleichen ihn der heimliche Verdruß über seine Verachtung lange nicht hatte tun lassen; Gaum und Magen bewiesen ihm handgreiflich, daß er, aller Bedrängnisse ungeachtet, glücklich sei; warum seine Nerven gerade diesen Mittag erst geschickt wurden, diesen Beweis zu führen, das kann weder ich noch ein Doktor irgendeiner Fakultät wissen; genug, eine Reihe von vorbereitenden Ursachen machten sie nun damals eben geschickt dazu. Die Empfindung des Wohlseins, die auf jenen Beweis sich über sein ganzes Gemüt verbreitete, mußte notwendigerweise manches Projektchen erzeugen, wie sie zu verlängern oder gar ewig zu machen wäre; und das letzte Resultat von der Beratschlagung darüber fiel dahin aus, daß er, Tobias Knaut, allem


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