Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel. Johann Karl Wezel

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haben, wie vielen Einfluß die Herrschaft der Wahrheit oder des Irrtums, der Dummheit oder der Einsicht auf das individuelle und allgemeine Glück eines Volkes und auf die Sicherheit und die Regierungsart seines Beherrschers jederzeit gehabt hat – kurz, man muß entweder der größte Geist, der größte Gelehrte sein, um hierüber zu urteilen, oder demütig schweigen und sein Urteil auf die Ideen einschränken, die in eines jeden Horizonte liegen, nichts verachten, weil wir uns nicht damit beschäftigen –«

      »A la braise«, unterbrach sie der H. v. a × b, wie aus einem Traume erwachend, »à la braise laß ich sie machen!«

      Die schöne Verteidigerin der Wissenschaften war über diese Anrede betreten, bis sich endlich das Rätsel auflöste. Er hatte bei seinem Eintritte in das Haus sogleich dem Koche einen Besuch abgelegt und ihn mit einem Gerichte beschäftigt gefunden, das er ihm à la braise zuzubereiten anbefohl; denn er maßte sich die Schutzgerechtigkeit und Oberherrschaft über alle Köche des Heiligen Römischen Reichs an und übte sie in allen Küchen aus, die er nur betrat.

      »Und dann«, fuhr er fort, »à propos! Ich habe unten einen Kapaun hängen sehn; heute mußt du mir ihn geben und zwar mit meiner Sauce à double entendre. (Eine Brühe von seiner Benennung und Erfindung!) Sie mag dir schmecken oder nicht. – La Reine de l'orient – Du kennst ja den creme! – die bitte ich mir auch aus; und le Maréchal de Belleisle! den englischen farce – dein Koch hat ihn ja neulich schon einmal gemacht – ja den kriegen wir vor dem Kapaune. Suppe mag ich heute nicht essen – ich esse ohnehin des Abends sehr wenig, wie du weißt. – Aber parbleu! La Soupe du grand Seigneur – ja die muß ich heute haben. – So ein kleines Soupéchen, wie ich sie liebe, das den Appetit zum déjeuné nicht benimmt!«

      »Du bist sehr ökonomisch mit deinem Appetite, das weiß ich wohl.«

      »Ja, par Dieu! hätte ich nicht so ordentlich gelebt, so äße ich schon lange nicht mehr! Ordnung gehört zum menschlichen Leben. Ordentlich, gut, wohl appretiert, mit gusto! – nicht solche unverständige bürgerliche Saufressen, wie dein voriger Mann liebte! – Eine verdammte Soupe à la bière, eine elende nackte longe de veau und elende Speckklößchen – das war meistens sein delicieusestes diné. – Quelle mangeaille! drum ist er auch niemals gesund gewesen, weil er so ganz unvernünftig gefressen hat.«

      »Mit was für einer Sauce befiehlst du denn den Helvetius?«

      »Mit der Sauce au diable! – Kannst du den Schwärmer noch nicht aus dem Kopfe bringen? – Schäme dich! So eine hübsche junge Witwe wie du, die sich alle Tage verheiraten soll, und sich mit solchen Poliçonneriern abzugeben! – Laß dir doch deinen Monsieur etius verschreiben und nimm ihn zum Manne! – Der wird vollends ein saubres Tischchen führen! – Eine Soupe à la bière wie dein verstorbner Mann! – Die vermaledeite Soupe à la bière! Mein Magen wird noch rebellisch, wenn ich daran denke.«

      »Gern wollte ich mich in seiner Gesellschaft mit ihr begnügen; er würde mir Speisen zu genießen geben, die mich herrlicher sättigten –«

      »Du radotierst, Schwester! – Diable! eine Soupe à la bière und hinterdrein ein Ragout von Esprit, Education und bon gouvernement! – Quel mets! – Das wäre ein Gerichtchen für Ihn, Herr Philosoph dort im Winkel! Nicht wahr?«

      »Unsre Glückseligkeit ist in uns und bleibt dieselbe, man esse Eicheln oder Delikatessen!« war die Antwort des weisen Knauts.

      »Pardi! Der Herr hat Recht! – In uns ist sie, das heißt, im Magen! – aber Eicheln bitt ich aus dem Spiele zu lassen.«

      »In uns, in unsrer Vorstellung! – Nur darum schmecken uns Kapaune besser als Eicheln, weil wir es uns vorstellen –«

      »Ventre saint gris! – Der Philosoph fängt wieder an, drollicht zu werden. – Und also ist auch wohl la Soupe du grand Seigneur nur darum besser als eine kahle Soupe à la bière, weil ich mir es so vorstelle? – Ma Soeur! unser Philosoph bekömmt heute eine Schüssel Eicheln mit der Sauce pitoyable, und Trotz, wenn er mir eine liegen läßt! – Er muß mir beweisen, daß er bei seinen Eicheln so glücklich ist, als ich bei der Reine de l'orient!«

      Der Spaß war ernsthaft, denn der Herr von a × b hielt in dergleichen Fällen Wort. Es wurde auch wirklich das befohlne Gerichte bei Tische aufgetragen, und jedermann war aufmerksam, was er tun würde. Alles in dem Philosophen war dafür, sich lieber mit einem Widerrufe zu entehren, als dem Geschmacke wehe zu tun, als plötzlich der Stolz mit einer grämlichen Miene auf ihn losfuhr und so lange auf ihn zuschwatzte, bis er die Hand ausstreckte und seine Sauce pitoyable nebst den Eicheln herzhaft hinunterschluckte.

      Dieser philosophische Streich brachte den Bruder seiner Gebieterin ganz aus der Fassung und hatte eine dreifache Wirkung: Knaut wurde seinem turlepinierenden Witze wieder interessant, seine Schwester bekam aus Liebe zum Sonderbaren eine wärmere Neigung für ihn – und der Philosoph die wärmste Neigung für sich und seine sonderbaren Meinungen; dies war der Zeitpunkt, wo seine Ehrbegierde auf ihr Ziel gerichtet wurde. Ein kleiner unbemerkter Umstand tut meistens dies im menschlichen Leben. Eine Kleinigkeit weist unsrer Eigenliebe unvermerkt den Gegenstand an, nach welchem sie schießen soll, um Bewundrung bei sich und andern zu gewinnen; und alsdann mögen noch so viele Faktionen unter unsern Neigungen entstehen, sie bringen uns nicht von diesem Ziele ab. – Das ist der Ursprung aller seltsamen Charaktere, die wir itzt bewundern oder belachen; wer sie erklären wollte, müßte im Buche des Schicksales alle ihre kleinsten geheimsten Begebenheiten und die feinsten Wirkungen derselben aufschlagen können.

      Wenn der Charakter in diese Epoque getreten ist, dann naht er sich seiner Reife, oder dies ist vielmehr die letzte Stufe seiner Hauptverwandlungen. Lebhafte reizbare Gemüter werden in ihren ersten Jahren mit ihrer Ehrbegierde zu einer Menge Gegenständen hingezogen, unter welchen sie bei jedem nur eine Zeitlang verweilen, wie Schmetterlinge hüpft ihr Ehrgeiz von einer glänzenden Blume zur andern; ehe sie es denken, durch eine Reihe von Ursachen, die ich nicht erklären mag, geht es ihnen, wie herumflatternden Liebhabern – plötzlich fesselt sie eine Schöne so fest, daß sie aus ihren Banden sich nicht einmal heraus wünschen können, und sie bleibt zeitlebens die einzige, die alle ihre Empfindungen an sich zieht, einige kleine mechanische Seitenblicke auf andre hübsche Gesichter ausgenommen, die aber ohne Folgen sind; so wird unsre Ehrbegierde einmal, früh oder spät, an einen bestimmten Gegenstand fest geheftet, und unser Charakter hat den letzten vollendenden Meiselstich bekommen. – Das Schicksal und die eignen Wirkungen des Körpers und der Seele können ausputzen, verderben und verbessern – aber die Statue ist so weit fertig, daß man deutlich sieht, ob es ein Jupiter oder ein Herkules, ein Epikur, ein Zeno oder ein Tobias Knaut werden soll.

       Inhaltsverzeichnis

      Die Wirkungen des Eichelgerichts waren bei dem H. v. a × b nicht so dauerhaft als bei seiner Schwester; ein schönes Diné hob den ganzen Eindruck davon auf; doch bei ihr ließ ihn die einsamere Lebensart, die geringere Zerstreuung in andre Vergnügen seine ganze Kraft beweisen. Die bei dem Eichelmahle gezeigte Sonderbarkeit seiner Denkungsart und Weise zu handeln war also, wie bereits gemeldet worden ist, die erste Gelegenheit, wo ihr Herz bei dem Namen Tobias Knaut eine Empfindung hatte – keine Empfindung weiter, als die wir bei dem Anblicke einer Sache haben, die das ist, was wir lieben; er hatte ihre Neigung zum Sonderbaren für sich interessiert. Je öftrer dieses Interessieren wiederholt wurde – und dazu findet sich bei einem Knaut vielfältige Gelegenheit, wenn er nur einmal eine mit Empfindung begleitete Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat –, je stärker wurde der jedesmalige Grad derselben, und diese einzelnen Interessierungen machten zusammen ein Ganzes, das einer gewissen Interessierung gleich war, die ich noch nicht mit ihrem eignen Namen benennen will.

      Außerdem – du leidige Einsamkeit, du hast schon manchen großen Kopf gebildet, aber auch manches Liebeshistörchen erzeugt! manche Tugend und manches Laster geboren! – Die Einsamkeit war es, sage ich, die jene Summe von Interessierungen ungemein verstärkte. Alle ihre ehmaligen Gesellschafter hatte der Bruder von der Gebieterin meines Philosophen aus gewissen Ursachen auf die listigste Weise abgeschnitten, ohne daß sie inne wurde, warum


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