Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel. Johann Karl Wezel

Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel - Johann Karl Wezel


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sondern die Furchtsamkeit, diese Blödigkeit unsrer Begierden – wenn ich's so nennen mag! – zu einer Zeit, da sie nur noch als Bekannte und noch nicht als vertraute Freunde mit uns umgehen, dieses Unvermögen unsers körperlichen Systems, hinter einem Wunsche, einem Entwurfe mit den vereinten Kräften des Bluts und den sämtlichen Lebensgeistern hinterdrein zu jagen, was nicht anders als entweder in der Jugend, wo Einbildungskraft und die ihr dienenden Teile des Körpers selbst bei einer phlegmatischen Zusammensetzung lebhaft und munter wie ein junges unerfahrnes vorwitziges Mädchen sind, oder alsdann, wenn unser Herz schon bei manchem Wunsche, bei manchem Projekte hurtiger geschlagen und unsre Nerven schneller gezittert haben; in dem Zustande, der zwischen diesen beiden Extremen liegt, sind unsre Begierden gleichsam schüchtern gegen uns selbst. Viele Leute, von denen ich das Beste denke, das sich von einer menschlichen Kreatur denken läßt, erschrecken oft, wenn sie vor dem Bösen erschrecken, nicht vor dem Bösen selbst, sondern sie vermeiden es wie Don Quichottens Rosinante die Unkeuschheit; steht das Wörtchen Tugend oder ein ähnliches mit ihrer Einbildungskraft in vertraulicher Harmonie und spielt es überhaupt im Kopfe die Rolle einer angesehenen Person, denen Ideen und Empfindungen gern ihre Aufwartung machen, so schwören sie bei allem auf der Welt, daß ihre Tugend sie vom Bösen zurückhielt. Da ich mich schon vorhin als einen Freund von dergleichen Illusionen erklärt habe, so wird man leicht vermuten, daß ich auch dieser nicht ungewogen bin; – aber sagen muß man es den Leuten, deren tugendhafter Stolz sie intolerant macht – daß es Illusion ist.

      Inzwischen richtet diese Schüchternheit unendlich mehr aus und muß unendlich mehr ausrichten als die prahlerhafteste Tugend und hätte wirklich auf meinen Helden ihre ganze heilsame Wirkung getan, wenn nicht eine plötzliche Hindernis dawider gewesen wäre. Euphorb, um seinen Schmeicheleien gegen Eupatorn das letzte Gewicht zu geben, stellte sich, obgleich der Philosoph beinahe auf seine Seite gezogen war, als überwunden, bewunderte Eupators Anstalten und ihr Glück von neuem und – das heiße ich vollkommen galant sein! – ersuchte ihn inständig, ihm meinen Knaut, diesen lebendigen Beweis dessen, was er von der Eupatorschen Monarchie am Hofe, in der Stadt und auf dem Lande rühmen würde, mitzugeben, um ihn in jeder Gesellschaft als ein gültiges Dokument vorzeigen zu können. Eupator fragte ihn um seine Gesinnung; die Ideen, die ihm Euphorb von dem angenehmen Wege zur Ehre mitgeteilt hatte, machten hurtig ein Komplott untereinander, faßten seine Ehrbegierde in die Mitte und riefen alle zusammen – ja! – und veranstalteten es so künstlich, daß sogar im Hintergrunde des Gehirns manches reizende Gemälde, aus Euphorbens Belehrungen zusammengesetzt, herrlich illuminiert, wie in einem Guckkasten aufstieg, daß aller Menschen Herz sich wie das seinige darüber hätte erfreuen müssen. Er willigte gern in seine Scheidung von Eupatorn, zu dem er wieder zurückzukommen versprach, sobald ihn Euphorb zum Dokumentierer seiner Erzählungen nicht mehr nötig haben würde.

       Inhaltsverzeichnis

      Tausendmal wünschte Euphorb unterwegs seine Schmeichelei nicht so weit getrieben und sich und seine Kutsche mit einem Geschöpfe beladen zu haben, das dem Auge das unangenehmste Bild darstellte und gewiß unter die unvernünftigen Tiere gehören mußte, weil es den ganzen Weg über nicht die mindeste Spur von Sprache an sich blicken ließ. Umsonst strengte er seine geschmeidige Zunge an, um sich selbst zu unterhalten, was Euphorb und seine Mitbrüder im Grunde zwar einzig begehren; aber ein Paar fremde Ohren haben sie doch zum Anhören nötig, um ihrer Eigenliebe ein Blendwerk zu machen, als wenn sie um dieser Ohren und nicht um ihrer selbst willen so gesprächig wären oder, vielmehr kurz weg – weil nach dem Herkommen zu jedem Dialoge wenigstens vier Ohren und eine Zunge gehört. Auch mit seinen Ohren tat sein stummer Gesellschafter so knickerich geizig, daß er sie ganz unaufmerksam von ihm wegwendete, weil das unaufhörliche Geklingel von Euphorbens Zunge ihn in seinen Träumereien störte. Dies mußte jedermann zur Verzweiflung bringen: Euphorb brummte ein la peste soit du maroufle! und schlief ein, denn mit seiner Zunge stund unausbleiblich auch sein Gedankenrad still.

      Dafür waren in unserm Philosophen alle Räder des Gehirns desto geschäftiger; seine sämtlichen Grundsätze mußten durch die Musterung gehn. – Ich bin glücklich, immer gleich glücklich, sagte er sich wohl mit dem Verstande, aber seine Empfindung! – die widersprach. Er bildete sich ein, daß ihm nichts fehlte, und gleichwohl bewies ihm sein unruhiges unbestimmtes Verlangen, daß ihm etwas fehlen mußte. Sein Herz flatterte in die Höhe wie ein junger Vogel, der die Schwungkraft seiner Flügel fühlt, aber noch nicht die obersten Regionen der Luft versucht hat, um seinen Flug dreist dahin richten zu können; er flattert, er flattert, fliegt bis zu den nächsten bekannten Orten, immer höher und allemal auf den ebnen Boden oder zu dem Flecke, wo er ausflog, zurück. – »Ich bin glücklich! – Waren es die großen Männer Griechenlandes und Roms nicht mehr? – Sind sie es nicht mehr? Ehre, Ruhm genießen sie noch als Asche noch als Staub! – und ich –«, hier seufzte er, »ich bin schon Staub, ehe ich gestorben bin, und weder itzt noch nach meinem Tode glücklich – so glücklich als sie! – Durch Tugend muß man groß und glücklich werden, lehrte mich Eupator. – Auch Selmann sagte dies«, rief ihm sein Gedächtnis zu. – »Tugend? – Fleiß, nützliche Arbeitsamkeit war nach Eupators Einrichtungen unter seinen Untergebnen die höchste Tugend.« – Dieser Punkt wurde nicht weiter auseinandergesetzt. – »Euphorb verspricht, mich an einen Ort zu bringen, wo Ehre unmittelbar erlangt und genossen wird; das muß herrlich sein! In Amandens Hause war mir so wohl, so wohl! – ich genoß Ehre. Ich werde also zu diesem Wohlsein zurückkehren und wieder glücklich sein. – Bin ich's denn itzo nicht?« – Ja, du bist es, fiel ihm der Witz ein, du bist es: denn du hoffst gewiß, es zu werden, und gewiß hoffen und besitzen ist das nicht eins? – »Ja, gewiß! – Tugend gibt Ruhm! Durch Tugend muß man Ehre erwerben!«

      Dabei blieb es. Das nackte, von allem deutlichen Begriffe entblößte Wörtchen Tugend, das bei Selmannen einen ganz andern Sinn als bei Eupatorn mit sich führte, mit dem sich aus dem Umgange dieser beiden eine Menge dunkler verschiedener Ideen in Knautens Gehirne gleichsam zusammengeballt hatte, setzte sich mit seiner Begierde nach Ruhm und Ehre bloß durch das öftre Zusammensein in eine so genaue Bekanntschaft, daß sie unzertrennliche Freunde und Kameraden wurden, gerade wie zween Leute, die nichts miteinander zu ihrem Vergnügen noch zu ihrem Nutzen anzufangen wissen und doch sich lieben und gern beieinander sind, weil sie oft beieinander sind. Auch dabei blieb es für diesesmal.

      Euphorb wachte indessen zu seinem Leidwesen durch einen Peitschenknall des Kutschers auf; ein böser Traum hatte ihm seine Zurückkunft in die Stadt als höchst unannehmlich vorgestellt, er dachte an die Verachtung, in die er sich durch einen unbedachtsamen Einfall gesetzt hatte, und befahl also umzulenken und zur Gräfin Xr. zu fahren, welcher er meinen Helden vor allen andern vorzustellen versprach; denn sie hatte Eupators Gewogenheit und vielleicht auch Liebe ehmals besessen und besaß seine gute Meinung noch, und wen hätte also Euphorb vorzüglicher dazu wählen sollen als sie, wenn er seine Schmeichelei bei Eupatorn recht eindringend machen wollte. Itzt war dieses Versprechen freilich längst wieder vergessen, und er geriet also nicht deswegen auf den Entschluß, sie zu besuchen, sondern weil ihm auf jenen Traum, unmittelbar nach seinem Widerwillen, in die Stadt zu gehn, die Gräfin Xr. einfiel. Er fuhr zu ihr auf ihren Landsitz und erinnerte sich bei dem Absteigen daran, warum er heute in so schlechter Gesellschaft gefahren war, weil ihm sein Reisegefährte, der hinter ihm drein wollte, auf das Kleid trat und dadurch beinahe seinen Fall verursacht hätte.

      Die Erzählung von Eupators Anstalten war das erste nach Euphorbens Eintritte bei der Gräfin Xr., weil auch bei ihr noch ein Rest von alter Zuneigung gegen Eupatorn übrig war, und für eine Schöne und einen Kriegsmann sind die Erinnerungen an ihre alten Siege immer die sanftesten Schmeicheleien. Bei dieser Gelegenheit wurde meines Helden gedacht, und wie eine alte Urkunde wurde er herbeigeholt, um Euphorbens Aussagen zu rechtfertigen.

      Die Gräfin Xr. war eine von den ehrwürdigen Damen, die die Natur geschaffen zu haben scheint, um durch ihre großen Eigenschaften die Torheiten andrer von ihrem Geschlechte in den Augen eines vernünftigen Richters wiedergutzumachen. Sie besaß Verstand, Belesenheit, Witz, eine gewisse Popularität, die sie allen Geringen unendlich wert machte, und eine Politesse, die jedermann zu ihr hinzog, der sich nur einigermaßen einen Anspruch oder Gelegenheit zu ihrer


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