Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel. Johann Karl Wezel

Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel - Johann Karl Wezel


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nach seinen und seiner Gesellschaft Begriffen das größte ist; so werden große Menschen und durch ihre häufige Anzahl große Staaten gebildet.« – Auf diesen Ton ohngefähr war seine Unterhaltung gestimmt.

      Unser Philosoph mußte die Phantasie eines Grönländers haben, wenn sie nicht durch solche Erschütterungen aufgewiegelt werden sollte; sie wurde es wirklich. An die Stelle seiner vorigen Ruhe und Gleichmütigkeit trat eine Unruhe, eine Unzufriedenheit, deren Ursache ihm unbekannt war; bald schien er sich selbst verächtlich, bald erhub ihn sein Gefühl über sich selbst; alle große und berühmte Männer, die er durch seinen zeitherigen Umgang und die damit verwandte Lektüre kennengelernt hatte, wandelten, wie ihre Schatten in Virgils Elisäum, in seinem Kopfe herum; er beneidete, er bewunderte sie; er wollte seine Gedanken aus Verdruß von ihnen abziehen, konnte es mit Mühe, und gleich darauf suchte er sie mit Fleiß zu ihnen zurückzulenken; er träumte schlafend und wachend von ihnen; Ruhm und Unterscheidungsbegierde waren unter verschiedenen Verkleidungen seine einzigen Ideen.

      Was konnte in der Länge aus einem so täglichen vertrauten Umgange anders entstehen als eine mechanische Gewohnheit, diese Ideen zu denken? was anders, als daß die einmal damit verbundne Empfindung, bald schwächer, bald stärker, nachdem sie neue Nahrung bekommen oder von sich selbst zehren mußte, jedesmal zugleich aufwachte? – Die Vorstellung von den Süßigkeiten der Achtung und Unterscheidung, die er in Amandens Hause geschmeckt hatte, trat zu gleicher Zeit wieder hervor, und mit hellern Farben, als sie während des Genusses gehabt hatte; alles um ihn herum sprach von Ehre und Tugend – wer hätte in solchen Umständen nicht von Ehre und Tugend ohne sein Zutun parfümiert werden müssen; der Geruch teilte sich wie in einer spezereireichen Apotheke von selbst mit.

      Noch war sein Gefühl unbestimmt; der Gegenstand, das Ziel fehlte ihm. Zur Heldengröße war weder sein Leib noch seine Seele geschaffen; obgleich durch Beispiele von Helden und Staatsmännern seine ersten Gefühle des Ruhms erweckt und geschärft waren, so erfoderte doch beides zu werden eine Tätigkeit, die er in seinen Nerven nicht fühlte. Das Eichelgericht, das er in Amandens Hause verschluckte, das Erstaunen seiner Zuschauer dabei, die Achtung, die er darauf genoß, die Bewunderung, die ihm Eupator über seine höchst philosophischen Grundsätze bezeugte – alle diese Fragmente schwammen in seinem Gedächtnisse wie die Trümmern eines Schiffbruchs herum, doch keins hing sich an das andre, der Ruhm mischte sich zwar oft dazwischen, aber es entstund doch niemals ein Ganzes aus diesen nebeneinander herumschwebenden Elementen, sowenig als aus Epikurs Atomen eine Welt werden könnte, wenn sie auch in Ewigkeit nebeneinander in gleicher Richtung forttanzten, es müßte denn ein Zufall einem darunter einen guten wohlgemeinten Stoß beibringen, daß er stolpernd an den Nachbar anrennte, dieser gleichfalls fortstolperte, bis sie durch das viele Stolpern nach der Reihe herum übereinander lägen, sich im Fallen umarmten, in der Umarmung ermüdet liegenblieben und – nun wäre die Welt fertig! – Wer's glauben will! – so erwarten die Elemente zu der Ruhmbegierde meines Helden einen solchen schöpfrischen Stoß von der Hand des Schicksals – husch! werden sie zusammenfahren und die Art von Ruhmbegierde, die ihm bestimmt ist, geschaffen sein.

      Leser, die auf die stufenweise Fortschreitung meines Helden in seiner Denkungsart und seinem Charakter einigermaßen aufmerksam gewesen sind, hätten ein gegründetes Recht, sich zu wundern, daß hier erst die Schöpfung seiner Ruhmbegierde vor sich gehn soll, da sein Lebensbeschreiber doch schon bei der Erzählung seiner Eichelmahlzeit behaupten wollte, daß seine Ehrbegierde das Ziel ihres Bestrebens gefunden habe. – Ja, das sagte ich; aber ich wollte dadurch nichts weiter gesagt wissen, als daß jenes der erste Punkt war, wo gleichsam die Linie seiner Ehrbegierde anfing, der erste Augenblick, wo seine Eigenliebe durch eine merkliche Verwandlung zur Begierde nach Vorzug, nach Schätzung andrer überging; doch die eingeschloßne Puppe ist in dem ersten Zeitpunkte ihrer Verwandlung noch kein völliger Papillon und eine Neigung, wenn sich die Eigenliebe zuerst in sie zu verlieren anfangt, noch lange nicht die völlige ausgebildete Neigung, die es werden soll; aber in einer gewissen Zeit unsers Lebens wird sie gleichsam präformiert; ihr Keim empfängt die Gestalt im Kleinen, die sie entwickelt im Großen haben soll. Itzt ist dieser damals geformte Keim seiner Entwicklung so nahe gebracht, daß nur noch ein warmer Sonnenstrahl des Zufalles dazu gehört – und die ganze Pflanze steht in Lebensgröße da! – Dies war nur vorläufig gesagt, um meine Leser zu ermuntern, darauf Achtung zu geben, wenn diese letzte Periode erscheinen wird. So bald kann das noch nicht geschehn, denn der Plan des Schicksals hat, wie bekannt, lange Vorbereitungen.

       Inhaltsverzeichnis

      Obgleich unser Philosoph die einzige gewöhnliche Gesellschaft Eupators war, so fanden sich doch bisweilen von denen, die ehmals vor ihm sich demütig gekrümmt und ihn itzt größtenteils vergessen hatten, einige aus Gewohnheit oder vor Langeweile bei ihm mit ihrer Aufwartung ein. Eupator selbst gab ihnen Schuld, daß sie bloß zu ihm ihre Zuflucht nähmen, wenn sie ihre Aufwartungen und Reverenze nirgends sonst an den Mann zu bringen wüßten, um doch ihren Rücken und ihre Zunge während solcher Ferien nicht durch Müßiggang erschlaffen zu lassen. Auf niemanden paßte dies Urteil so sehr als auf Euphorben, der ihm am fleißigsten seine Besuche ablegte. Das gute Herrchen, sonst der Liebling aller Grazien des Hofes und der Stadt, hatte auf einmal mit allem seinen Beifalle bankerutt gemacht. Einer Dame war wegen einer unglücklichen Fruchtbarkeit der Haut an der einen Seite unter dem Ohre eine verhaßte Blatter aufgeschossen, die nichts in der Welt, weder gelinde noch scharfe Mittel, von der Stelle zu bringen vermochten. Sie deklamierte wie eine Verzweifelte, sooft sie in den Spiegel sah – und das geschah jede Stunde sechzigmal –, wider alle Ausschläge der Haut, purgierte, ließ zur Ader, hielt Diät, setzte Blutigel an, um die fatalen bösen Säfte abzuzapfen; nichts half! die Blatter behauptete hartnäckig den eingenommnen Posten. Sie konnte deswegen keinen Besuch bei dem Putztische annehmen, sie konnte in keiner Gesellschaft erscheinen, alle Freuden dieses Lebens waren ihr abgeschnitten, und da sich gar noch ein neuer Sprößling neben dem vorhandnen Schandflecke ihrer Schönheit zeigte, so mußte sich notwendig ihre Furcht und Besorgnis vermehren, so wie ihre Aussicht in eine traurige gesellschaftsleere Zukunft zunahm. Eines Nachmittags, als die Last der Einsamkeit mit aller Gewalt auf sie zudrückte, machte sie die Not erfindsam: sie wagte einen Meisterstreich. Sie rief ihrem Friseur, befahl ihm, nach ihrer Anweisung neben jedem Ohre eine dicke lange Locke herablaufen zu lassen, die alle gegenwärtige und künftige Blattern mit ihrem breiten Körper bedeckte. Sie sprang dreimal in die Höhe, als sie ihre Erfindung glücklich ausgeführt und die glücklichste Wirkung von der Welt tun sah. Hurtig wurde Kleid, Konsideration, Bänder herbeigeschafft, angezogen, der Laufer ausgeschickt, um zu einer Gesellschaft einzuladen, und abends war zahlreiches Spiel und zahlreiche Konversation bei ihr. Sie erschien mit ihrem neuersonnenen Kopfputze; jedermann staunte; man sah unverwandt auf die neue Schöpfung von Locken; man lobte, man tadelte sie zischelnd, man beneidete sie, man rümpfte die Nase, man verzog den Mund, man lächelte sich an, alles dachte und redte von nichts als den ansehnlichen Locken, man ließ seine Gegenspieler ungehindert Galaden, Galatons und Galatontriontons machen, keine Whistspielerin sagte Honneurs an oder zählte die Trümpfe – aller Aufmerksamkeit war auf die Locken geheftet, und alle waren unwillig, daß nicht schon die Nacht vorüber war, um zu ihrer Schönheit oder Häßlichkeit diesen neuen Zusatz hinzuzutun. Man träumte allgemein von den beiden Locken, und des Morgens darauf mit dem Schlage zehn sahen alle, die davon geträumt hatten, im Spiegel hinter ihrem Ohre zwo stattliche Locken, wie zween aufgeschwollne Schläuche, gekrümmt bis zum marmornen Halse herablaufen, und jedes eilte, dem andern die Gäste durch eine frühzeitige Einladung zum Spiel, zum Diner, zur Assemblee wegzunehmen. Die ganze doppeltgeschwänzte Gesellschaft war froh und heiter, und die Erfinderin triumphierte frohlockend bei sich. In kurzem hatte die deutsche Nachahmungssucht hinter jedem Paar Ohren ein Paar Locken hervorwachsen lassen, daß zum Ärgernis der ganzen feinern Welt endlich Simplicia und Agrippine im Gewölbe stunden und in der Kometenfrisur – Schnupftobak verkauften.

      Euphorb allein wußte um das Geheimnis und konnte allein es wissen, da er eine lebendige vollständige gelehrte Zeitung aller Nachttische war. Ein Anfall von mutwilliger Laune ließ ihm, als in einer Gesellschaft über eine schickliche Benennung der neuen Locken beratschlagt wurde, den boshaften Vorschlag unvorsichtig entwischen, sie boutons zu nennen – höchst unvorsichtig,


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