Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel. Johann Karl Wezel

Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel - Johann Karl Wezel


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über Selmanns Widerlegung gute drei Linien weit zurückgezogen hatten, traten auf einmal in ihrem völligen trüben Glanze wieder hervor und drehten sich mit einer so freundlichen Behendigkeit herum, daß ihnen nichts als die Sprache fehlte, um laut zu sagen: »Hier ist das göttliche Genie!«

      Als Selmanns Finger noch unterweges war, um zur Beantwortung jener Frage auf den Stesichorographus zu zeigen, so näherte sich dieser schon und sagte: »Man muß ebensosehr ein göttliches Genie sein; um schöne Sachen schön zu finden, als um sie hervorzubringen.«

      Die schöne Kunstrichterin beantwortete dieses Kompliment mit einer Verbeugung, ohne die geheime Absicht des Mannes zu erraten, nach welcher sie es nur bekam, um ihn mit einem desto größern zu überbieten.

      Während der Zeit war Selmanns Finger in die Lage gekommen, in welcher er deutlich auf den großen Stesichorographus wies, und itzt setzte jener hinzu: »Dies ist das göttliche Genie!«

      Fräulein Kunigunde ließ die Hand mit dem Papiere sinken und fuhr zween Schritte zurück. – »Sind Sie es?« rief sie voller Erstaunen und übersah seine Figur vom Wirbel bis auf die Fußzehe.

      Eine solche Frage, mit einer solchen Gestikulation ausgesprochen, kann jeder ohne große Geschicklichkeit erklären; sie bedeutete vermutlich: Ein solcher Mann kann solche Sachen schreiben. Doch des Herrn Stesichorographus Eigenliebe legte sie nach ihrer Hermeneutik also aus: »Sind Sie der Verfasser davon, Sie, der große, so allgemein bewunderte Mann? Ja, da ist es kein Wunder, daß die Schrift schön ist!« – Auf eine solche Frage gehörte sich, nach allen Regeln der Eigenliebe von der Wohlanständigkeit, eine sehr demütige Antwort, die von der Fräulein Kunigunde erstlich sehr höflich widerlegt und dann mit einer umständlichen Lobrede auf die Bescheidenheit dieses so großen Mannes erwidert werden mußte.

      Demzufolge war seine Antwort: »Alle diese Sachen, die Sie göttlich zu nennen belieben, würden dieses Namens und Ihres Lobes viel würdiger sein, wenn der Verfasser so wie an andre Schriften die letzte Hand hätte legen können. Eben daher wünschte ich, daß sie nie von Ihnen gesehen worden wären. Sie sind Ihrer und meiner nicht würdig. Man muß nichts als reife Früchte an das Licht bringen, das wissen Sie.«

      Dieses letzte Wort sprach die Eigenliebe der Fräulein mit einem Akzente aus, den Stesichorographus nicht daraufgelegt hatte. Das wissen Sie, das heißt, deren Witz nichts als reife Früchte trägt. Natürlicherweise dachte sie dabei an ihre eignen Verschen und fragte also: »Ist etwas von meiner Arbeit so glücklich gewesen, von Ihnen gesehen zu werden?«

      Da zwischen den Worten des Stesichorographus, wie er sie verstanden wissen wollte, und dieser Frage kein deutlicher Zusammenhang war, so hustete er ein wenig, um die Verbindung der Ideen aufzusuchen. »Je«, zischelte ihm die immerfertige Ratgeberin, die Eigenliebe, zu, »dies Frauenzimmer ist eine Mitarbeiterin an einem kritischen Journale, wo du letzthin gelobt worden bist.« Nun war der ganze Zusammenhang helle. Er hustete noch einmal und sagte mit einer dankbaren Verbeugung: »Ich habe genug gesehn, um völlig zu empfinden, wieviel Ihr Lob wert ist.«

      »Ei, Sie haben etwas gesehn?« rief Fräulein Kunigunde ganz außer sich und fuhr fort, sehr vieles Nachteilige von ihrer Muse zu erzählen, welches der andre in Ansehung der seinigen auch nicht zu tun ermangelte – kurz, das ganze Gespräch war so demütig auf beiden Seiten, daß es die Bescheidenheit unter einer doppelten Verkleidung mit sich selbst zu führen schien, da es doch eigentlich der Stolz unter der Larve der Bescheidenheit war, wobei neben einem jeden von den Sprechenden die Eigenliebe mit ihrem großen Wörterbuche stund und ihm allzeit eine solche Bedeutung der Worte des andern darinne aufschlug, daß ein Lobspruch auf ihn herauskam.

      Dieses war der wichtige Zeitpunkt, wo der große Stesichorographus mit dem schönen Geschlechte wieder ausgesöhnt wurde, aufrichtig bereute, daß er bisher so falsche Begriffe von ihm gehabt hätte, und gestund, daß es das verehrungswürdigste nach dem männlichen sein würde, wenn es aus lauter Kunigunden bestünde.

      Selmann machte dabei im stillen die Anmerkung: Wir loben in andern uns selbst; wir gefallen uns in andern und glauben steif und fest, daß sie es sind.

       Inhaltsverzeichnis

      Fräulein Adelheid hatte indessen unsern Tobias aufgesucht, um ihm für die erwiesnen Dienste zu danken, und indem Stesichorographus den allgemeinen Landfrieden zwischen sich und dem weiblichen Geschlechte unterzeichnete, steckte sie den Kopf zur Türe herein, um auszuspüren, ob der Hauptmann zugegen wäre. Da sie ihn nicht gewahr wurde und daher schloß, daß er von seiner sentimentalischen Reise durch die Pferdeställe noch nicht zurückgekommen sein müsse, so wagte sie sich mit ihrer ganzen Person in das Zimmer und zog den guten Tobias mit aller Gewalt hinter sich drein, in der Absicht, ihm auch zu dem Danke ihrer Schwester zu verhelfen.

      Alle Glieder an Kunigundens Leibe waren durch die vorhergehende Szene mit dem Stesichorographus bis auf das kleinste Nervengefäßchen in Zitterung gesetzt worden und also gerade in der besten Verfassung, einen feurigen Dank abzustatten. Auch geriet wirklich ihre Danksagung so hochtönend, daß sie eine Königstochter, wenn sie durch einen höflichen Ritter von Riesen und Zwergen befreit worden ist, nicht eine Sekunde höher anstimmen kann. Tobias, der noch niemals aus so einem erhabnen Tone hatte danken hören und auch die Größe seiner Verdienste um die beiden Fräulein nicht sonderlich mehr empfand, stutzte anfangs ein wenig und versicherte alsdann offenherzig, daß er anfangs nicht gewußt hätte, wem er den Dienst erzeigte, und daß er jedem Menschen ein Gleiches getan haben würde.

      Darauf wurde er Selmannen auf das angelegentlichste empfohlen, der auch sogleich versprach, ihn auf das sorgfältigste selbst zu erziehen, für seinen Unterricht zu sorgen und so lange sein Vater zu sein, bis er in den Stand gesetzt wäre, sein eignes Glück zu machen. Die Fräulein boten ihm einen kleinen Zuschuß zu den Kosten seiner Erziehung an, den er unter der Bedingung annahm, daß es ihm erlaubt sein möchte, ihn durch eine Zulage von seinem eignen zu verstärken und damit die Umstände, in welchen Tobias' Eltern sich befanden, erträglicher zu machen, wodurch Leute von ihrer Art desto geneigter gemacht werden könnten, ihm ihren Sohn zu überlassen. Es wurde darein gewilligt und den andern Tag eine Gesandtschaft an Herrn und Frau Knaut geschickt, die mit der Nachricht zurückkam, daß sie beide höchst zufrieden wären, ihren Sohn in Selmanns Händen zu sehen, und sogar mit der größten Selbstverleugnung ihrer Elternliebe Gewalt antun und weiter gar nicht nach ihm fragen wollten, wenn sie den versprochenen Beitrag jährlich und richtig ausgezahlt bekämen.

      Tobias' Empfindungen hierbei? – waren Freude, und zwar meistens über die versprochne Selbstverleugnung seiner Eltern. – O ihr Eltern! seid ihr nicht Ursache, wenn eure Kinder allenthalben nur nicht bei euch gern sind? Die kindliche Liebe liegt in jedem Menschenherze so gewiß als Feuer im Kieselsteine verborgen; freilich ist in einem Kiesel mehr Feuer als im andern, aber man schlage nur mit gutem Stahle daran, und es springt, wenn auch noch so wenig darinne läge, gewiß ein Funken heraus. Wenn Tobias neulich über die häuslichen Freuden des Landmanns, bei dem er nach seiner Entfliehung einkehrte, weinen konnte, weil er sie genießen sah, so wird er um soviel mehr Gefühl haben, sie mitzugenießen – aber Frau Knaut! ja wenn du die einzige Frau Knaut in Europa wärest, so wollte ich ein feierliches Autoranathem hier über dich sprechen! Aber so müßte ich es über den größten Teil der Mütter zugleich sprechen, und diese Mütter ermangelten nicht, es zu erwidern: Nein, dafür danke ich! – Ei, ich werde ja so ernsthaft wie ein Tugendlehrer, und unsre ganze Gesellschaft sitzt doch schon lange bei Tische und lacht und schwatzt, daß man gar keine Laune haben müßte, wenn man so ernsthaft bleiben und nicht wenigstens mitlächeln wollte.

      Zwar, wenn sich meine Leser noch an die Anmerkung erinnern, die vor kurzem gemacht worden ist, und dabei auf eine andre fallen könnten, die ich itzt im Kopfe habe, so würden sie sich sogleich vorstellen, daß diese Munterkeit des Gesprächs nur vorübergehend sein muß. Bei keinem war sie es so sehr als bei dem Hauptmann, der, zwischen drei witzigen und einem philosophischen Kopfe, nicht wußte, was er denken und was er sagen sollte; denn witzige Leute von seiner Art sind niemals ernsthafter als bei witzigen


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