Gesammelte Gedichte von Rainer Maria Rilke. Rainer Maria Rilke
und keinen fragen nach dem fremden Tage:
Ich fühle, wie ich weiße Blüten trage,
die in der Kühle ihre Kelche heben.
Es drängen Viele aus den Frühlingserden,
darinnen ihre Wurzeln Tiefen trinken,
um nicht mehr könnend in die Knie zu sinken
vor Sommern, die sie niemals segnen werden.
Meine frühverliehnen Lieder
Meine frühverliehnen
Lieder oft in der Ruh
überrankter Ruinen
sang ich dem Abend sie zu.
Hätte sie gerne zu Ronden
aneinandergereiht,
einer erwachsenen Blonden
als Geschenk und Geschmeid.
Aber unter allen
war ich einzig allein;
und so ließ ich sie fallen:
sie verrollten wie lose Korallen
weit in den Abend hinein.
Die armen Worte
Die armen Worte, die im Alltag darben,
die unscheinbaren Worte, lieb ich so.
Aus meinen Festen schenk ich ihnen Farben,
da lächeln sie und werden langsam froh.
Ihr Wesen, das sie bang in sich bezwangen,
erneut sich deutlich, dass es jeder sieht;
sie sind noch niemals im Gesang gegangen
und schauernd schreiten sie in meinem Lied.
Arme Heilige aus Holz
Arme Heilige aus Holz
kam meine Mutter beschenken;
und sie staunten stumm und stolz
hinter den harten Bänken.
Haben ihrem heißen Mühn
sicher den Dank vergessen,
kannten nur das Kerzenglühn
ihrer kalten Messen.
Aber meine Mutter kam
ihnen Blumen geben.
Meine Mutter die Blumen nahm
alle aus meinem Leben.
Ich geh jetzt immer den gleichen Pfad
Ich geh jetzt immer den gleichen Pfad:
am Garten entlang, wo die Rosen grad
Einem sich vorbereiten;
aber ich fühle: noch lang, noch lang
ist das alles nicht mein Empfang,
und ich muss ohne Dank und Klang
ihnen vorüberschreiten.
Ich bin nur der, der den Zug beginnt,
dem die Gaben nicht galten;
bis die kommen, die seliger sind,
lichte, stille Gestalten, -
werden sich alle Rosen im Wind
wie rote Fahnen entfalten.
Das ist der Tag
Das ist der Tag, in dem ich traurig throne,
das ist die Nacht, die mich ins Knieen warf;
da bet ich: dass ich einmal meine Krone
von meinem Haupte heben darf.
Lang muss ich ihrem dumpfen Drucke dienen,
darf ich zum Dank nicht einmal ihren blaun
Türkisen, ihren Rauten und Rubinen
erschauernd in die Augen schaun?
Vielleicht erstarb schon lang der Strahl der Steine,
es stahl sie mir vielleicht mein Gast, der Gram,
vielleicht auch waren in der Krone keine,
die ich bekam?...
Weiße Seelen mit den Silberschwingen
Weiße Seelen mit den Silberschwingen,
Kinderseelen, die noch niemals sangen,-
die nur leis in immer weitern Ringen
zu dem Leben ziehn, vor dem sie bangen,
werdet ihr nicht euren Traum enttäuschen,
wenn die Stimmen draußen euch erwachen,-
und ihr könnt aus tausend Taggeräuschen
nicht mehr lösen euer Liederlachen?
Ich bin zu Hause
Ich bin zu Hause zwischen Tag und Traum.
Dort wo die Kinder schläfern, heiß vom Hetzen,
dort wo die Alten sich zu Abend setzen,
und Herde glühn und hellen ihren Raum.
Ich bin zu Hause zwischen Tag und Traum.
Dort wo die Abendglocken klar verlangen
und Mädchen, vom Verhallenden befangen,
sich müde stützen auf den Brunnensaum.
Und eine Linde ist mein Lieblingsbaum;
und alle Sommer, welche in ihr schweigen,
rühren sich wieder in den tausend Zweigen
und wachen wieder zwischen Tag und Traum.
In der Dämmerung
Und einmal lös ich in der Dämmerung
der Pinien von Schulter und vom Schoß
mein dunkles Kleid wie eine Lüge los
und tauche in die Sonne bleich und bloß
und zeige meinem Meere: ich bin jung.
Dann wird die Brandung sein wie ein Empfang,