Gesammelte Gedichte von Rainer Maria Rilke. Rainer Maria Rilke
Lauschende Wolke über dem Wald. Wie wir sie lieben lernten, seit wir wissen, wie wunderbald sie als weckender Regen prallt an die träumenden Ernten.
Abendschweigen
Und ich ahne: in dem Abendschweigen
ist ein einstiger Opferbrauch;
tiefer atmend hebt sich jeder Hauch:
ein Erfüllen will sich niederneigen
zu dem schwarzen hingeknieten Strauch.
Und die Sterne trennen sich und steigen,
und die Dunkelheiten steigen auch.
Rainer Maria Rilke, 20.3.1898, Arco (Südtirol)
Gehst du außen Mauern entlang, kannst du die vielen Rosen
Gehst du außen Mauern entlang,
kannst du die vielen Rosen nicht schauen
in dem fremden Gartengang;
aber in deinem tiefen Vertrauen
darfst du sie fühlen wie nahende Frauen.
Sicher schreiten sie zwei zu zwein,
und sie halten sich um die Hüften, -
und die roten singen allein;
und dann fallen mit ihren Düften
leise, leise die weißen ein...
Ist ein Schloß
Ist ein Schloss. Das vergehende
Wappen über dem Tor.
Wipfel wachsen wie flehende
Hände höher davor.
In das langsam versinkende
Fenster stieg eine blinkende
blaue Blume zur Schau.
Keine weinende Frau -
sie ist die letzte Winkende
in dem gebrochenen Bau.
Zur kleinen Kirche musst du aufwärts steigen
Zur kleinen Kirche musst du aufwärts steigen,
auf einen Hügel hat man sie gebaut;
denn dieses arme Dorf ist ihr vertraut
und schützend soll sie schauen auf sein Schweigen.
Der Frühling aber kann noch höher bauen;
sie lächelt licht wie eine weiße Braut
und kann schon nicht mehr ihre Hütten schauen
und schaut nur ihn und läutet nicht mehr laut. . .
Das sind die Gärten, an die ich glaube
Das sind die Gärten, an die ich glaube:
Wenn das Blühn in den Beeten bleicht,
und im Kies unterm löschenden Laube
Schweigen hinrinnt, durch Linden geseigt.
Auf dem Teich aus den glänzenden Ringen
schwimmt ein Schwan dann von Rand zu Rand.
Und er wird auf den schimmernden Schwingen
als erster Milde des Mondes bringen
an den nicht mehr deutlichen Strand.
Schau, wie die Zypressen schwärzer werden
Schau, wie die Zypressen schwärzer werden
in den Wiesengründen, und auf wen
in den unbetretbaren Alleen
die Gestalten mit den Steingebärden
weiterwarten, die uns übersehn.
Solchen stillen Bildern will ich gleichen
und gelassen aus den Rosen reichen,
welche wiederkommen und vergehn;
immerzu wie einer von den Teichen
dunkle Spiegel immergrüner Eichen
in mir halten, und die großen Zeichen
ungezählter Nächte näher sehn.
Erste Rosen erwachen
Erste Rosen erwachen,
und ihr Duften ist zag
wie ein leisleises Lachen;
flüchtig mit schwalbenflachen
Flügeln streift es den Tag;
und wohin du langst,
da ist alles noch Angst.
Jeder Schimmer ist scheu,
und kein Klang ist noch zahm,
und die Nacht ist zu neu,
und die Schönheit ist Scham.
Blendender Weg, der sich vor Licht verlor
Blendender Weg, der sich vor Licht verlor,
Und auf einmal, wie im Traum: ein Tor,
breit eingebaut in unsichtbare Wände.
Der Türen Holz ist lang im Tag verbrannt;
doch trotzig dauert auf dem Bogenrand
das Wappen und das Fürstendiadem.
Und wenn du eintrittst, bist du Gast. - Bei wem?
Und schauernd schaust du in das wilde Land.
Da steht er gestützt am Turm
Da steht er gestützt am Turm.
Nur die Wipfel und Fahnen
können sein Warten ahnen,
und sie flüstern sich furchtsam: der Sturm.
Das hören die Birken, zart,
und stemmend sich Stamm zum Stamme;