Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Aufsätze. Thomas Wolfe
bacchantisches Lächeln spielte lose über ihr großes unglückliches Gesicht … »Um Gottes willen, Mama, wo kommt nur das Zeug all her?« Sie grinste unter Tränen. »Ich steh die ganze Zeit mit dem Putzlumpen da und zieh auf, was sie ausgekotzt hat. Ich flehe Dich an, Mama, sag mir wie lang das noch dauern kann!«
Eliza lachte schlau, fuhr sich, mit dem Finger unter den breitangesetzten Nasenflügeln her.
»Aber Kind«, sagte sie, »um alles in der Welt! Ich hab' so was auch noch nie erlebt. Sie muß das Zeug seit einem halben Jahr aufgespart haben.«
»Bestimmt«, sagte Helene und sah lächelnd ins Leere. »Wenn ich nur wüßte, wo es herkommt! Soweit hat sie alles ausgespien, ich warte nur noch drauf, daß sie ihre Nieren kotzt.«
»Bäh!« kreischte Eliza und schüttelte sich vor Lachen.
»He-le-ne! o He-le-ne!« Mistress Bartons Stimme drang matt in die Küche.
»Ach, scherdichzumteufel!« knurrte Helene leis vor sich hin. »Uäh! U-u-uäh!« Sie brach plötzlich in Tränen aus. »Wird es denn immer so sein? Ich glaub' manchmal, daß Gottes Zorn auf uns liegt. Papa hat recht.«
»I wo!« sagte Eliza, benetzte ihren Zeigefinger und fädelte einen Zwirnfaden gegen das Licht ein. »Ich würde mich einfach nicht weiter um sie bekümmern. Ihr fehlt ja nichts. Das ist lauter Einbildung!« Elizas tief eingewurzelte Überzeugung war, daß die meisten menschlichen Krankheiten, außer ihren eignen, »lauter Einbildung« wären.
»He-le-ne!«
»Ich komme!« rief Helene vergnügt. Sie grinste Eliza an, ehe sie hinausging. Es war komisch, es war gräßlich, es war furchtbar.
Es schien in der Tat, als ob Papa recht hätte und als ob der himmlische Oberwolkenschieber, der oft in Hymnen besungne, den unsre bittren Modernen manchmal den »uralten Possenreißer« genannt haben, seinen Zornblick auf ihre Geschicke geworfen habe.
Es fing an zu regnen, unaufhörlich zu regnen.
Es stürmte, schüttete, goß. Der Regen fiel endlos auf die starkriechenden Berge, das Gras und das Grün auf den Hängen ertrank, die lehmige Erde löste sich auf, die kleinen Felsbäche schwollen zu gelben Sturzfluten an. Es kam zu Erdrutschen, Hänge wurden unterhöhlt, Wege verschüttet, Erdbänke weggewaschen. Der Eisenbahndamm wurde weggeschwemmt. Über dem gurgelnden Wildwasser hingen die Schienen mit den Schwellen wie ein Gerippe in der Luft.
In Altamont war Hochwasser. Breit kam die Flut von den Bergen geströmt. Der kleine Fluß trat über und verwandelte sich in eine Wasserwüste, breit wie der Mississippi. Die ganze Talsohle wurde überrannt. Eisen- und Holzbrücken trieben wie welke Blätter auf den Wellen. Das ganze Eisenbahnviertel und die Leute, die dort wohnten, standen vorm Ruin.
Die Stadt war von der Außenwelt abgeschnitten. Nach drei Wochen, als der Fluß wieder in seine Ufer zurückgetreten war, stiegen Hugo Barton und seine junge Frau in den großen Buickwagen. Sie fuhren fort. Auf ausgewaschenen Straßen, über gebrechliche Notbrücken fuhren sie fort durch das von der Wasserwut zerstörte Land. Sie machten ihre Hochzeitsreise, die kein Höhepunkt mehr war; sie wollten ihre schon welkgewordnen Flitterwochen genießen.
»Entweder er geht dorthin, wo ich ihn hinschicke, oder er geht überhaupt nicht«, erklärte Gant bündig.
Somit war es beschloßne Sache, daß Eugen auf die Staatsuniversität gehen mußte.
Eugen wollte nämlich nicht auf die Staatsuniversität.
Seit zwei Jahren hatte er mit Margaret Leonard romantische Pläne geschmiedet. Seinen zukünftigen Bildungsgang stellten sie sich so vor: – Zwei Jahre in Vanderbilt College oder auf der Universität von Virginia (weil er noch so jung wäre), – dann zwei Jahre in Harvard – und schließlich (nachdem er so leicht ins Paradies gelangt wäre) ein oder zwei Jahre in Oxford, England, um die Sache zu krönen.
John Dorsey Leonard, begeistert von diesem Plan, erklärte zwischen zwei Löffeln Dickmilch: »Dann, Jungchen, ja dann kann ein Mann anfangen, von sich zu behaupten, daß er wirklich ›kultiviert‹ ist. Dann natürlich«, fügte er großzügig hinzu, »dann sollte er ein Jahr oder so auf Reisen gehn …«
Aber die Leonards waren noch gar nicht bereit, ihn ziehen zu lassen.
»Du bist noch so jung, Eugen«, sagte Margaret. »Kannst Du nicht Deinen Vater überreden, daß er noch ein Jahr wartet? Du hast ja noch so viel Zeit vor Dir.« Ihre Augen wurden dunkler, als sie das sagte.
Gant war nicht umzustimmen.
»Er ist alt genug«, sagte er. »Als ich so alt war, hatte ich mir schon jahrelang den Unterhalt verdient. Ich bin ein alter Mann und werde nicht mehr lang mitmachen. Ehe ich sterbe, möchte ich es noch erleben, daß er sich einen Namen macht.«
Aufschub kam für ihn nicht in Betracht. In seinem jüngsten Sohn sah er die Hoffnung, daß sein Name in Lorbeeren überleben würde. In den politischen Lorbeeren, die er so hochschätzte. Er wollte, daß aus seinem Sohn ein weitblickender, großer Staatsmann würde, ein Mitglied der Republikanischen oder der Demokratischen Partei. Die Wahl der Universität war daher für ihn Sache der politischen Ratsamkeit, der praktischen Klugheit. Er gründete sein Urteil auf die Vorschläge seiner politischen und juristischen Freunde.
»Er ist alt genug, und seine Vorbildung ist abgeschlossen«, erklärte Gant, »und nun geht er auf die Staatsuniversität. Eine andre Universität kommt nicht in Frage. Die Staatsuniversität ist so gut wie jede andre. Außerdem wird er dort Beziehungen anknüpfen und Freunde finden, die ihm sein Lehen lang beistehn.« Er sah Eugen bitter-vorwurfsvoll an. »Es gibt sehr wenige Jungen«, sagte er, »denen eine solche Gelegenheit geboten wird. Und Du solltest erkenntlich sein, anstatt die Nase zu rümpfen. Höre auf mich: eines Tages wirst Du mir dafür danken, daß ich Dich gerade dorthin geschickt habe. Also: Du gehst dorthin, wo ich Dich hinschicke, oder Du gehst überhaupt nicht. Verstanden? Das ist mein letztes Wort in dieser Angelegenheit.«
Dritter Teil
XXVIII
Eugen war nicht ganz sechzehn, als er auf die Universität zog. Er war damals annähernd zwei Meter groß und wog dabei kaum mehr als 120 Pfund. Er war fast nie krank gewesen, aber das schnelle Wachstum hatte sehr an seinen Kräften gezehrt. Er war ungestüm und heftig, aber sein Vorrat an Energie war bald erschöpft. Er ermüdete schnell.
Er war ein Kind, als er fortzog, ein Kind, das viel Schmerzliches und Schlimmes gesehn hatte und ein Phantast, ein Idealist geblieben war, ein Kind, das in der Schlüsselburg seiner Träume hauste. Zwar hatte er spotten und die Nase rümpfen gelernt, aber sein geheimes Leben blieb völlig unangetastet. Immer und immer wieder war er mit den grauen Tatsächlichkeiten des gemeinen Daseins in Berührung gekommen, seine grausamen Augen hatten keine einzige Gebärde mißdeutet, sein gepreßtes und bittres Herz hatte in ihm geglost wie ein Eisenbarren in der Schmiedesse, aber all die harterworbnen Einsichten zerschmolzen wieder im Licht seiner Phantasie. Zwar war er kein Kind mehr, wenn er nachdachte, aber wenn er träumte war er eines; und das traumselige Kind war es, das die Herrschaft über sein Wesen innehatte und behielt. Vielleicht gehörte er zu einer älteren, einfacheren Art Mensch, nämlich zu den Mythenschöpfern. Für ihn war die Sonne eine herrliche Lampe, die ihm den Weg zu großen Abenteuern erhellte … Er glaubte an ein tapfres, heldisches Leben. Er glaubte an die seltnen Blumen des Zartsinns und der Menschlichkeit. Er glaubte an Schönheit und Ordnung und war überzeugt, daß er durch diese Mächte das Wirrsal des Daseins bannen könne. Er glaubte an Liebe, an die Güte und Reinheit der Frauen. Er glaubte an den Adel des Denkens und erwartete von sich selber, daß er, ganz wie Sokrates, nichts Niedriges oder Gemeines in der Stunde der Gefahr tun werde. Er stand im Überschwang seiner Jugend, so daß er glaubte, er könne nie sterben.
Vier Jahre später, als er die Universität absolviert hatte und seine Jünglingsjahre hinter ihm lagen, brannte der Kuß der Liebe und des Todes auf seinen Lippen … und er war immer noch ein Kind.
Als es schließlich feststand, daß Gants Wille in der Sache unbeugsam war, sagte Margaret Leonard zu ihm:
»Dann also mußt Du Deiner Wege gehn, Junge, und Gott schütze Dich!«
Sie