Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Aufsätze. Thomas Wolfe

Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Aufsätze - Thomas  Wolfe


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aus dem Osten des Staates, war ein gutmütiges Rauhbein von zwanzig Jahren. Er war ein stattlicher Bursche, machte aber keinen gewinnenden Eindruck. Sein grober, vorgeschobener, dicklippiger Mund stand immer ein wenig offen und lächelte lose und leer; man sah seine schlechten Zähne; die Mundwinkel waren von Kautabakspeichel verschmiert. Er hatte hellbraunes, trocknes Haar, dessen widerspenstige Zotteln sich nie ordentlich legen ließen. Er zog sich auffallend an; nach dem billigen, furchtbaren Geschmack der damaligen Mode: – enge Hosenröhren, die drei Zentimeter über den Halbschuhen freiließen und heruntergerollte Socken bloßstellten; – langschößige Röcke mit einem Halbgürtel im Kreuz; – breite Umlegekragen aus gestreifter Seide. Unter dem Rock trug Jim Trivett einen Sportsweater mit den eingewirkten Nummern der höheren Lehranstalt, die er besucht hatte, ehe er auf die Universität zog.

      Jim Trivett wohnte mit drei anderen Studenten aus seiner Vaterstadt zusammen in einem Lodging-House, ganz in Eugens Nachbarschaft, etwas näher am Westtor der Universität. Die vier jungen Herren, die sich der Sicherheit und Kameradschaft halber zusammengeschlossen hatten, hausten in zwei unaufgeräumten, von kleinen gußeisernen Öfchen zu einer trocknen Backofenhitze überheizten Zimmern. Ständig trafen sie die ernsthaftesten Vorbereitungen zur Arbeit, aber sie schafften nie etwas. Man trat entschlossen ein, verkündigte, daß man auf morgen höllisch zu büffeln habe, richtete gemächlich die Bücher her, rückte die Lampe richtig, spitzte umständlich die Bleistifte, ging zu dem hochroten Öfchen und schürte tüchtig nach, rückte den Stuhl zurecht, setzte einen Augenschirm auf, putzte die Pfeife, stopfte sie, zündete sie an, zündete sie abermals an, leerte sie aus … und hörte dann mit einem Seufzer der Erleichterung, daß jemand an die Tür klopfte.

      »Rein in die gute Stube! Gott verdammt nochmal!« erschallte die gastfreie Aufforderung.

      »Hallo, Eugen! Nimm 'nen Stuhl und setz Dich!« sagte Tom Grant. Er war ein dicker, vierschrötiger Kerl, gutmütig, dumm und träg; dichtes, schwarzes Haar über der niedern Stirn; auffallend angezogen.

      »Habt Ihr geschafft?«

      »Zum Teufel ja!« rief Jim Trivett. »Geschuftet hab' ich wie der Sohn einer Hündin.«

      »Armer Junge, eines Tages wirst Du uns an Überarbeitung eingehn«, sagte Tom Grant und drehte sich langsam nach ihm um. Er schüttelte betrübt den Kopf und lachte: »Wenn Dein Alter wüßte, wie fleißig Du sein Geld verstudierst, verdammt noch mal, er bekäm' sicher 'nen Leistenbruch vor Aufregung!«

      »Du kennst Dich doch mit dem Englischen aus, Langbein«, sagte Jim Trivett zu Eugen.

      »Was er nicht weiß, kannst Du hinten auf 'ne Briefmarke schreiben'«, sagte Tom Grant.

      »Ich muß 'ne lange Klausurarbeit machen, aber mir fällt weiß Gott nichts ein«, erklärte Jim Trivett.

      »Warum sagst Du das mir?« fragte Eugen. »Soll ich sie Dir etwa schreiben?«

      »Ja«, sagte Jim Trivett.

      »Schreib Deine verdammte Arbeit selber«, sagte Eugen mit gemimter Härte. »Ich schreib sie Dir nicht. Aber helfen will ich Dir, wenn ich's kann.«

      Tom Grant wandte sich an Eugen: »Sag mal, wann ziehst Du mit dem ›harten Knaben‹ nach Exeter, Langbein?« fragte er und blinzelte zu Jim Trivett, dem »harten Knaben«, herüber.

      Eugen errötete; die Frage war ihm peinlich.

      »Jederzeit, wann's ihm paßt«, erklärte er.

      »Schau her, Langbein«, sagte Jim Trivett anzüglich grinsend. »Meinst Du das ernst oder ist es Bluff?«

      »Ich sag Dir's ja, daß ich mitmache«, sagte Eugen ärgerlich. Er zitterte ein wenig.

      Tom Grant schmunzelte schlau zu Jim Trivett hinüber.

      »Das wird 'nen Mann aus Dir machen, Eugen«, sagte er. »Junge, dann wachsen Dir Haare auf der Brust.« Er lachte unbeherrscht vor sich hin, wackelte mit dem Kopf dazu, als schüttle er sich über einen heimlichen Gedanken.

      Jim Trivetts loses Lächeln wurde anzüglicher, deutlicher.

      »Herrje, sie werden dort denken, der Frühling wäre gekommen, wenn sie das Langbein sehn. Sie brauchen 'ne Leiter, um zu ihm 'raufzukommen.«

      Tom Grant lachte feist und laut. »Sicher!« sagte er.

      »Also wie steht's damit, Eugen?« fragte Jim Trivett unvermittelt. »Ist die Sache abgemacht? Samstag?«

      »Paßt mir«, sagte Eugen.

      Als er gegangen war, schmunzelten die beiden einander an. Durstig. Wohlgefällig. Die Verführer zur Unkeuschheit.

      »Hör mal, harter Knabe«, sagte Tom Grant. »Du solltest es lieber nicht tun. Du bringst den Jungen auf Abwege.«

      »I wo, es wird ihm nichts schaden, im Gegenteil, es wird ihm gut tun«, erklärte Jim Trivett. Er fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund, grinste.

      »'nen Augenblick«, flüsterte Jim Trivett. »Ich glaube, das ist das Haus.«

      Sie standen in einer schmutzigen, unerleuchteten Seitenstraße fast am Rande der Stadt; ihre Füße raschelten im welken Laub. Es war drei Wochen vor Weihnachten. Sie waren ungefähr zwanzig Minuten gegangen, vom Zentrum der muffigen Tabakstadt weg durch herbstlich dumpfe, nebelkalte Straßen, schließlich einen ausgefahrnen Hügel hinunter, an Hütten vorbei, in denen armes, weißes Gesindel und Neger wohnten. Nun hielten sie vor einem zweistöckigen Holzhaus. Hinter heruntergelassenen Fensterblenden brannte Licht; ein gelber Widerschein glomm in die rauchige Luft hinaus.

      »'nen Augenblick«, sagte Tim Trivett, »ich will mich erkundigen.«

      Es kamen Schritte durchs welke Laub. Ein Neger erschien vor ihnen.

      »Hallo, John!« sagte Jim Trivett fast unhörbar.

      »'nAwen', Boß!« sagte der Neger, schläfrig, ebenso leis.

      »Wir suchen das Haus von Lily Jones«, erklärte Jim Trivett. »Sind wir da recht?«

      »Ja, Suh«, sagte der Neger, »da sein es.«

      Eugen lehnte an einem Baumstamm und hörte das leise Verschwörergeflüster an. Die Nacht war weit, lauernd und lauschend wie das böse Gewissen. Seine Lippen waren kalt und bebten, er klemmte eine Zigarette dazwischen. Ihn schauderte; er schlug den Mantelkragen hoch.

      »Miss Lily, weiß sie, Sie kommen?« fragte der Neger.

      »Nein«, sagte Jim Trivett. »Kennen Sie sich aus?«

      »Ja«, sagte der Neger, »gehn Sie mit!«

      Eugen wartete unter dem Baum. Jim Trivett und der Neger gingen ums Haus und pochten an die Hintertür.

      Er wartete. Er sagte sich selbst lebwohl. Er spürte, daß er mit gezücktem Morddolch über seinem Leben stand. Er war unentwirrbar verstrickt. Ein Entrinnen gab's nicht.

      Von drinnen waren schwache Geräusche gekommen, Stimmen, Gelächter, das heisere Kratzen eines alten Grammophons. Nun verstummten sie plötzlich. Das Haus schien aufzuhorchen. Einen Augenblick später ging eine Tür, Eugen hörte eine erstaunte Frauenstimme, die leise und verwirrt fragte: »Wer ist da? Wer?«

      Gleich darauf kam Jim Trivett zurück und sagte: »Alles in Ordnung, Eugen. Komm, gehn wir 'rein!«

      Jim Trivett gab dem Neger ein Trinkgeld, dankte ihm. Eugen sah dem Schwarzen einen Augenblick in das breite, freundliche Gesicht. Es wurde ihm wärmer. Der dunkle Zutreiber hatte seine Arbeit willig und gern getan; über der gekauften, lieblosen Liebe lag der Schatten seines Wohlwollens.

      Sie gingen stillschweigend ins Haus. Eine Frau hielt die Tür auf und riegelte ab, sobald sie eingetreten waren. Sie befanden sich in einer kleinen Diele; eine Lampe mit heruntergeschraubtem Docht brannte matt im Halbdunkel. Eine Holztreppe führte zum zweiten Stock hinauf. Rechts und links waren Türen in die Zimmer des Erdgeschosses. Ein abgetragner Herrenfilzhut hing auf dem langen Kleiderhaken.

      Jim Trivett umarmte die Frau sofort, grinste, knutschte ihr die Brüste.

      »Hallo, Lily«, begrüßte er sie.

      »Jesses!« sagte sie. Sie lächelte mit grobem Mund und sah Eugen neugierig


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