Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Aufsätze. Thomas Wolfe

Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Aufsätze - Thomas  Wolfe


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die Berge gebunden. Unser furchtbares Land hat unsere Sinne genährt. Unser Blut pulst im Herzschlag Amerikas. O dieses Land, das wir verlassen, aber nie verlieren, nie vergessen können! Wir gingen auf einer Landstraße in Cumberland, wir mußten uns bücken, weil die Decke des Himmels so niedrig hängt. Wir flohen aus London und gingen an kleinen Flüssen entlang in einem Land, das gerade groß genug und nicht größer ist. Und nirgends, wo wir hinkamen, war Weite. Erde und Himmel waren eng und nah. Und der alte Hunger kam wieder, der dunkle, furchtbare Hunger, der den Amerikaner peinigt und heimsucht, dieser Hunger, der uns zu Haus zu Verbannten und überall sonst zu Fremdlingen macht

      Im Frühjahr kam Eliza zu Helene nach Sidney zu Besuch. Das Mädchen war stiller, trauriger, nachdenklicher geworden. Ihr neues Leben hatte sie untergekriegt; in Sidney galt sie nichts. Sie vermißte Gant mehr, als sie eingestand. Und sie hatte Heimweh nach der Bergstadt.

      Eliza sah sich kritisch um.

      »Was zahlst Du für die Wohnung?« fragte sie.

      »Fünfzig Dollar im Monat«, sagte Helene.

      »Möbliert?«

      »Nein, wir mußten uns Möbel kaufen.«

      »Ich will Dir was sagen, Kind, das ist schön teuer. Und bloß fürs Erdgeschoß. Daheim sind die Mieten billiger.«

      »Ich weiß, daß es ziemlich teuer ist. Aber um Gottes willen, Mama, bist Du Dir denn klar darüber, daß wir hier im vornehmsten Stadtviertel wohnen? Zwei Straßen weiter steht der Gouverneurspalast! Und Mistress Matthews ist keine gewöhnliche Vermieterin, nein, gewiß nicht!« rief sie lautlachend aus. »Sie ist eine wirkliche, große Dame. Zu allen wichtigen Anlässen wird sie eingeladen. Ihren Namen und ihr Bild kannst Du jederzeit in der Zeitung unter Gesellschaftsnachrichten finden! Und Du weißt doch. Hugo und ich müssen Aufwand treiben. Hier ist er ein junger Mann, der gerade anfängt!«

      »Ja! Ja, ich weiß«, sagte Eliza nachdenklich. »Wie lassen sich denn seine Geschäfte an?«

      »Sein Chef sagt, daß Hugo sein bester Agent ist«, erklärte Helene. »Du weißt ja, er ist sehr tüchtig. Wir können überall anständig leben, sofern wir seine verdammte Familie los sind. Aber was mich manchmal ganz wild macht, ist, daß ich mitansehen muß, wie er sich abrackert, bloß damit sein Chef die dicken Gelder einsteckt. Der Chef, weißt Du, kriegt eine Kommission für jeden Verkauf, den Hugo abschließt.«

      »Ich will Dir was sagen, Kind«, bemerkte Eliza mit einem scheuen, halb-ernsten Lächeln, »es wäre gar nicht schlecht, wenn Hugo sein eigner Herr würde. Es hat keinen Sinn, sich für andre zu plagen. Sag mal, war' es nicht ein guter Gedanke, wenn er versuchte, die Agentur in Altamont zu bekommen? Ich glaub nicht, daß der Mann, der den Posten jetzt hat, viel taugt. Hugo brauchte sich nicht anzustrengen, um die Agentur zu bekommen.«

      Eine Pause trat ein.

      »Wir haben auch schon daran gedacht«, gestand Helene langsam. »Hugo hat ans Zentralbüro geschrieben.« Sie schwieg wieder. »Jedenfalls wäre er dann sein eigner Herr. Und das ist was wert.«

      »Nu ja«, sagte Eliza bedächtig. »Der Plan deucht mich gut. Wenn er arbeitet, dann besteht kein Hinderungsgrund für ihn, er kann dort ein glänzendes Geschäft aufbauen. Und Dein Papa hat letzthin wieder sehr über sein Leiden geklagt. Die Operation hat gar nichts geholfen; die ganze Geschichte ist wieder gekommen. Und er wäre froh, wenn er Dich wieder um sich hätte.«

      Zu Ostern kamen sie auf zwei Tage zu Besuch nach Pulpit Hill. Eliza nahm Eugen mit nach Exeter und kaufte ihm einen neuen Anzug.

      »Ich kann diese engen Hosen nicht an ihm leiden«, sagte sie zu dem Verkäufer. »Er braucht etwas Volles, so daß er mehr wie ein Mann aussieht.«

      Als er neueingekleidet vor ihr stand, mahnte sie:

      »Halt Dich grad, Junge! Nimm die Schultern zurück! Das ist ein Punkt, wo Du Dir Deinen Vater zum Vorbild nehmen kannst. Er hält sich kerzengrade. Wenn Du so krumm herumschlappst, wirst Du die Lungenschwindsucht haben, eh' Du fünfundzwanzig bist.«

      »Darf ich bekannt machen?« stellte Eugen linkisch vor. »Mister Ballantyne – meine Mutter.«

      Joseph Ballantyne, ein geleckter, rosiger Jüngling, war zum Präsidenten der Freshmen-Klasse gewählt worden.

      »Ei! Sind Sie mir ein gutaussehender, smarter Bursch!« sagte Eliza. Sie lächelte. »Ich möchte Ihnen ein Geschäft vorschlagen: Wenn Sie mir unter Ihren Freunden und Bekannten Kunden zusammentrommeln, haben Sie bei mir im Boardinghouse freie Station. Hier haben Sie ein paar Empfehlungskarten«, fügte sie hinzu und öffnete ihre Handtasche. »Sie könnten ein paar davon an die rechten Leute bringen und dazu ein gutes Wort für die Pension Dixieland im schönen Altamont einlegen.«

      »Ja, Madam«, sagte Mister Ballantyne langsam und verlegen. »Ich will mich gerne bemühen.«

      Mit heißem, verstörtem Gesicht sah Eugen Helene an. Sie lachte heiser, ironisch, dann wandte sie sich an den Jüngling: »Jedenfalls, Mister Ballantyne, Sie sind jederzeit willkommen! Ob aus dem Geschäft was wird oder nicht, wir werden Sie gern bei uns sehn.«

      Als Eugen dann mit Helene allein war, erwiderte sie mit einem verdrießlichen Grinsen auf seine gestammelten Einwände:

      »Ja, ich weiß, es ist unausstehlich. Aber Du kannst von Glück sagen, Du bist meistens weit vom Schuß. Kannst Du Dir vorstellen, was ich die ganze vorige Woche alles mitanhören mußte? Schlimm, sage ich Dir. Das siehst Du doch ein, nicht wahr?«

      Als Eugen am Ende des Studienjahrs heimkam – es war spät im Mai –, waren Helene und Hugo Barton ihm schon voraus gereist. Sie hausten mit Gant zusammen in der Woodson Street. Hugo Barton hatte die Altamonter Agentur bekommen.

      Die Stadt und die ganze Nation tobten vor patriotischer Raserei, chaotisch, krampfhaft und ziellos vor lauter Betriebigkeit. Der Same Attilas muß von den Söhnen der Freiheit zerstampft werden; »mit Stumpf und Stiel ausgerottet«, erklärte der Reverend Mister Smallwood. Es gab Kriegsanleihen und Staatsobligationen, große Reden wurden gehalten. Man sprach davon, daß mehr Soldaten eingezogen würden, und ein paar Yankeeregimenter sickerten ganz allmählich in Frankreich ein. General Pershing kam nach Paris und sprach: »Lafayette, wir sind da!« Aber die Franzosen blickten immer weiter nach Hilfe aus. Ben trat vor die Musterungskommission und wurde zurückgewiesen. »Schwach auf der Lunge«, sagten die Ärzte. »Nein, nicht tuberkulös. Aber Anlage dazu vorhanden. Sie wiegen zu wenig.« Ben fluchte. Sein Gesicht wurde noch mehr wie eine Klinge, dünner, grauer. Die Runzelfurche auf seiner Stirn klaffte tiefer. Er schien noch einsamer zu sein.

      Eugen kam heim in die Berge und fand sie im reichen Glanz des jungen Sommers. Dixieland war zum Teil voll von zahlenden Gästen. Und weitere trafen ein.

      Eugen war sechzehn, ein flotter Kerl, ein Student. Er bummelte nachmittags durch die fröhliche, erregte Menge mit dem Gefühl des Gehobenseins, er erwiderte die herzhaften Begrüßungen freudig, beglückt von dem gedankenlosen Bombast.

      »Man hat mir erzählt, daß Ihnen die Mädchen da unten in Scharen nachlaufen, Sohn«, gellte der Besitzer der großen Drogerie, der junge Mister Wood, dem kein Mensch etwas dergleichen erzählt hatte. »Das ist recht, Junge! Immer zugegriffen!« Er trat in seinen wohlstandglänzenden, laubenkühlen Laden. Die Fächer dröhnten.

      Wenn man alles in Betracht zieht, dachte Eugen, hab ich mich gar nicht so schlecht gehalten. Ich hab meine ersten Wunden empfangen. Ich bin ganz und heil geblieben. Ich hab das bittre Erlebnis der Liebe an mir erfahren. Ich stand allein.

      XXX

      In Dixieland war ein Mädchen namens Laura James. Sie war einundzwanzig, sah aber jünger aus. Sie wohnte bereits dort, als Eugen heimkam.

      Laura war schlank, mittelgroß, wirkte aber größer, als sie in Wirklichkeit war. Sie war gut gebaut, von schönen, festen Formen. Ihr Körper hatte etwas Frischgewaschnes, eine unbedingte Reinheit. Sie hatte sehr viel feines, sehr glattes, hochblondes Haar, das sie einfach zurückgestrichen und zu einem Stirnband geflochten um den kleinen Kopf gelegt trug. Ihre Gesichtshaut war weiß mit vielen kleinen Sommersprossen. Sie hatte sanfte, klare, katzengrüne Augen. Die Nase war ein wenig zu groß für das Gesicht und


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